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© Irène Zandel
William Youn

»Ein Mount Everest für Pianisten«

Mit dem Wiener Staatsballett kommt am 27. April in der Wiener Staatsoper ein Meisterwerk zu einem Opus Summum der Klavierliteratur zur Premiere: das Ballett »Goldberg-Variationen« des Schweizer Choreographen Heinz Spoerli zu Johann Sebastian Bachs gleichnamiger Komposition. Am Klavier ist mit William Youn in allen Vorstellungen des Programms einer der herausragenden Pianisten unserer Zeit zu erleben. Im Interview spricht er über Bachs Komposition und die besonderen Herausforderungen, die »Goldberg-Variationen« für den Tanz zu spielen.

Bachs »Goldberg-Variationen« BWV 988 gelten in ihrer kompositorischen Meisterschaft, ihrem geistigen Gehalt, aber auch in ihren spieltechnischen wie konditionellen Herausforderungen als ein Gipfelwerk. Was bedeutet Ihnen diese Komposition?

WILLIAM YOUN Ich muss sagen, dass ich zunächst sehr wenig Bach im Konzert gespielt habe. Wenn ich ein Stück studiere, dann frage ich mich immer sehr intensiv, warum ein Melodieverlauf so und nicht anders ist, warum eine Pause an einer solchen Stelle steht ... Erst, wenn ich das Gefühl habe, eine Partitur ganz durchdrungen zu haben, kann ich mich auf der Bühne frei fühlen. Vor Bachs »Goldberg-Variationen« hatte ich lange sehr großen Respekt und dachte, dass ich sie intellektuell erst völlig erfassen müsse, bevor ich sie im Konzert spielen könne. Das war vor etwa acht Jahren. Ich habe dann sehr intensiv an ihnen gearbeitet und schließlich entdeckt, wie emotional diese Musik ist, wie sehr sie mich bewegt, wie viel ich erlebe, wenn ich sie spiele. An einem Werk wie den »Goldberg-Variationen« wächst man – und sie wachsen mit einem.

Sie spielen die »Goldberg-Variationen« auf dem Klavier – nicht nur in den Aufführungen des Wiener Staatsballetts, in denen das Klavier im großen Saal der Wiener Staatsoper auf jeden Fall das richtige Instrument ist.

WILLIAM YOUN Die Frage nach dem Instrument ist natürlich eine zentrale, nicht zuletzt, weil wir alle so gerne das hören würden, was Bach gehört hat – seine Klangvorstellung. Aber es gibt natürlich einen Grund, wieso sich das Klavier, anders als andere Instrumente, immer weiter entwickelt hat. Das Cembalo hat sehr viele Grenzen: nicht nur im Klang und im Volumen, sondern auch in seinen Möglichkeiten, was die Geläufigkeit und das Aushalten von Tönen angeht. Wegen des größeren Widerstands beim Anschlag kann ich auf einem Cembalo nie das Tempo erreichen, das ich auf einem modernen Konzertflügel erreichen kann, ich kann aber das Tempo auch nicht so extrem zurücknehmen, denn der Cembaloton klingt nicht so lange nach wie ein Klavierton. Bei den »Goldberg-Variationen« hat das Cembalo natürlich den Vorteil, dass durch seine zwei Manuale vieles viel problemloser zu realisieren ist als auf dem Klavier, auf dem durch das nötige Überkreuzen der Hände viele Passagen spieltechnisch extrem anspruchsvoll sind. Ich spiele aber Bach sehr gerne auf dem modernen Konzertflügel, bietet mir dieser doch eine große Palette an Farben, Ausdrucksmöglichkeiten und Nuancen, einen ganz anderen Gestaltungsraum als das Cembalo. Hinzukommt, dass seine Musik so universell ist, dass sie auch in anderen Versionen sehr gut funktioniert, von den »Goldberg-Variationen« gibt es zum Beispiel eine ausgezeichnete Bearbeitung für Streichtrio. Bach lässt uns sehr viel Spielraum. Bei Mozart, Beethoven, Schubert gibt es eine Interpretation, die heute mehr oder weniger Standard ist, man kann radikaler spielen, die Dynamik übertreiben, der Notentext ist aber in dieser Hinsicht sehr genau fixiert. Bei Bach ist das etwas anders. Ich kann die Aria aus den »Goldberg-Variationen« sehr, sehr langsam spielen – und sie funktioniert trotzdem.

In der Wiener Staatsoper spielen Sie die Aria mit 30 Variationen nun nicht pur auf der Konzertbühne, sondern werden als Pianist den Tänzerinnen und Tänzern des Wiener Staatsballetts zum Partner. Was hat Sie gereizt, diesem Projekt zuzusagen?

WILLIAM YOUN Die »Goldberg-Variationen« sind ein großer Tanz. Sie stehen im ¾-Takt, enthalten Tanzsätze wie die Sarabande, das Menuett, die Gigue, eine Polonaise – und es ist eine Musik voller Lebensfreude. Als die Anfrage für Heinz Spoerlis Ballettproduktion kam, habe ich mich sehr gefreut. Ich kannte einige seiner Werke bereits aus Zürich, wie seine Ballette zu den Cellosuiten von Bach – und war nun sehr gespannt, wie es ihm gelingt, diesem Mount Everest für Pianisten mit Bewegung zu begegnen, diese Musik zu visualisieren.

Was macht das mit Ihrer Interpretation?

WILLIAM YOUN Wir hatten in Wien intensive Proben und ich habe sehr schnell gemerkt, dass sich das Stück für mich durch die Choreographie verändert. Ich meine damit nicht nur, dass das Tempo für die Tänzerinnen und Tänzer natürlich stabil sein muss. Darüber wird immer viel gesprochen, aber es geht noch um ganz anderes: Zum Beispiel darum, dass der Tanz die Stille, aus der Musik ja auch besteht, mit Bewegung füllt, also den »Takt der Stille« zählt, was dieser eine andere Bedeutung, aber auch eine andere Ästhetik gibt. Die »Goldberg-Variationen« für den Tanz zu spielen, heißt für mich deshalb auch ein anderes Zeitgefühl zu bekommen. Auf dem Konzertpodium kann ich über diese Fragen selbst bestimmen und tue das aus einer Vorstellung heraus, die ich aus dem langen Nachdenken über diese Musik entwickelt habe, der sehr intimen, engen Beziehung zu einem solchen Meisterwerk, die man durch die Arbeit daran gewonnen hat. Jetzt aber bin ich Teil einer Compagnie und ich spiele die »Goldberg-Variationen«, wie wenn ich Kammermusik spiele. Es ist ein Dialog mit dem, was ich auf der Bühne sehe. Und was ich da sehe, sind nicht nur Menschen, die tanzen, sondern ich sehe Bachs Musik. Das ist eine sehr interessante Erfahrung. Für mich haben die »Goldberg-Variationen« sehr viel mit Zeit zu tun, mit einem bestimmten Menschenbild. Jede Variation ist wie ein neuer Tag. Man selbst ist immer man selbst, aber jeder Tag bringt etwas Neues. Und ganz am Ende kehrt Bach mit der Wiederholung der Aria wieder an den Anfang zurück. Es ist dieselbe Musik und doch eine völlig verwandelte durch all das, was man über die 30 Variationen erlebt hat. Es ist eine Reise durch ein ganzes Leben – und das sehe ich auch in Heinz Spoerlis Choreographie.

Sie stammen aus Korea, sind als Jugendlicher in die USA übergesiedelt, um Ihr Klavierstudium in Boston zu vervollkommnen, sind dann Schüler von Karl-Heinz Kämmerling in Hannover geworden. Heute leben Sie in München. Wo fühlen Sie sich Zuhause?

WILLAM YOUN Ich muss zugeben, dass ich nicht in solchen Kategorien denke. Ich hatte nie Heimweh nach Korea, was nicht heißt, dass es mir nicht fehlt, es ist meine Heimat. Aber ich bin der Musik so

verbunden. Ich lebe als Pianist.

Was verbindet Sie mit Wien?

WILLAM YOUN Es ist für mich immer besonders, in Wien zu sein – nicht nur wegen der großen Musiktradition, sondern auch ganz persönlich, weil es für mich die erste Stadt war, als ich nach Europa kam – damals habe ich hier einen Meisterkurs bei Karl-Heinz Kämmerling besucht. Inzwischen habe ich auch mehrfach im Wiener Konzerthaus gespielt. Die »Goldberg-Variationen« nun in einer so umfangreichen Serie in einem Haus wie der Wiener Staatsoper aufzuführen, ist eine besondere Gelegenheit.

Was sind Ihre weiteren Projekte?

WILLAM YOUN In Wien gestalte ich am 3. Mai im Konzerthaus zusammen mit dem Schauspieler Johannes Silberschneider das Mittagspausen-Konzert, ich habe einige Kammermusikprojekte u.a. mit Nils Mönkemeyer, mit dem ich sehr eng zusammenarbeite, aber auch mit Linus Roth, Julian Steckel und der Komponistin Konstantia Gourzi. Ein sehr großes Projekt ist meine Beschäftigung mit Franz Schubert. Ich habe im vergangenen November meine Einspielung aller seiner Klaviersonaten abgeschlossen, nun folgt u.a. ein Zyklus mit allen Sonaten in insgesamt acht Konzerten innerhalb von 14 Tagen in Taipeh.

Das Gespräch führte Anne do Paço