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© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kyle Ketelsen als Don Giovanni und Philippe Sly als Leporello
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kyle Ketelsen als Don Giovanni und Philippe Sly als Leporello

Die Tücken des Aufwartens

Barrie Koskys »Don Giovanni-Inszenierung« steht ab 26. Jänner wieder auf dem Spielplan der Staatsoper. Eine der Besonderheiten dieser Produktion ist die ungewöhnliche Zeichnung der Leporello-Figur. Doch was ist der Hintergrund dieses düsteren Dieners?

»Servo di Don Giovanni« steht im Personenverzeichnis zu W.A. Mozarts Don Giovanni hinter Leporellos Namen. Damit wäre beschrieben, was Leporello in der Oper zu tun haben wird. In der Praxis ist es etwas komplizierter – im konkreten Fall der Oper, aber auch ganz allgemein: Was macht ein Diener, was macht ihn aus? Die Aufgaben und Gestalten sind vielfältig. Markus Krajewski findet in seiner Studie Der Diener (2010) eine Definition, die auf einem Zustand beruht:

»Ob sie nun als Unterlinge, Domestiken, Lakaien, Subalterne, Bediente oder schlicht als Diener bezeichnet werden, allen kommt die gleiche Aufgabe zu, nämlich ihrer Herrschaft aufzuwarten. Nach Adlung [dem Autor des Grammatisch-kritischen Wörterbuch der deutschen Mundart, 1793, Anm.] heißt das schlicht ›auf etwas warten, besonders auf eines anderen Befehl warten.‹«

Ein Diener ist also zunächst einer, der wartet. Ge- nau damit ist Leporello bei seinem ersten Auftritt in Don Giovanni auch beschäftigt. In der Introduktion zu Don Giovanni (»Notte e giorno faticar«) klagt er über Bedingungen und die Umstände seiner Arbeit, während er darauf wartet, dass Don Giovanni aus Donna Annas Gemächern kommt. Das Warten ist dabei aber nicht nur das Warten auf einen Befehl, sondern enthält selbst schon eine Tätigkeit: Die des Wachens. Leporello passt auf, er steht Schmiere, während Don Giovanni bei Donna Anna einsteigt und sie zur Not auch zu überwältigen bereit ist. Damit hat dieses ins Theater übersetzte Verhältnis zwischen Herr und Diener eine besondere Facette: Komplizenschaft.

Der Weg zu diesem besonderen Verhältnis führt durch mehrere Jahrhunderte komödiantischer Tradition. Seine Funktion als Stichwortgeber, mahnender und zugleich mitverschworener Sidekick rückt Leporello in die Nähe des Arlecchino aus der italienischen Commedia dell’arte. Er trägt aber auch noch Züge der Dienerfiguren aus der antiken griechischen Komödie: In Aristophanes’ Die Frösche (um 405 v. Chr.) begegnen wir etwa bereits einem Motiv, das auch in Don Giovanni wichtig sein wird: Mehrfach nötigt der als Herakles verkleidete Dionysos seinen Sklaven Xanthias, mit ihm die Kleider zu tauschen, um verschiedenen Gefahren zu entgehen. Wenn der als Don Giovanni verkleidete Leporello Donna Elvira die Treue verspricht, wird sie also mithilfe einer 2000 Jahre alten Theaterschimäre hinters Licht geführt.

VERFLECHTUNGEN UND INTERESSENSLAGE

Leporello hat aber in andere Abgründe zu blicken als sein antiker Vorfahre. Nachdem er seine Buffo-Introduktion beendet hat, wird er Zeuge von Don Giovannis Mord am Commendatore, dem Vater Donna Annas. In der folgenden Szene macht er seinem Herrn Vorhaltungen in bester Tradition eines Komödiendieners: Zwei »allerliebste Unternehmungen« (»imprese leggiadre«) habe Don Giovanni da veranstaltet: erst die Tochter genötigt, dann den Vater umgebracht. Die Vorhaltungen haben die Funktion, Don Giovanni zu provozieren, so lange, bis dieser Leporello Schläge androht. Sofort gibt der Diener klein bei – und alles bleibt beim Alten. Leporellos Rolle beschränkt sich dabei nicht auf das passive Akzeptieren und Kommentieren von Don Giovannis Umtrieben. An den meisten Liederlichkeiten seines Herrn ist der Diener an entscheidender Stelle beteiligt, vom angesprochenen Kleidertausch bis zum Ausrichten des Festes, mit dem Masetto von der Verführung seiner Verlobten abgelenkt werden soll.

In Barrie Koskys Inszenierung wird der Aspekt der Komplizenschaft früh zentral ins Bild gerückt. Don Giovanni, der in der zweiten Szene zu fliehen versucht, hat in dieser szenischen Umsetzung kein Schwert, überhaupt keine Waffe, um sich gegen den auftauchenden Commendatore zu verteidigen (oder ihn anzugreifen). Als er in Bedrängnis kommt, ist Leporello zur Stelle. Er versucht, den Commendatore von hinten zu überwältigen und reicht dann Don Giovanni schnell die einzige Waffe, die auf der kahlen Felsfläche, auf der diese Inszenierung spielt, zu finden ist: Einen Stein. Den erschlagenen Commendatore nehmen die beiden in die Mitte, und es entsteht ein verstörendes Tableau, in dem die drei noch die folgende Szene hindurch verharren: das Gespräch, in dem Leporello Don Giovanni Vorhaltungen macht, findet direkt am Körper des Toten statt.

Damit verstärkt die Regie einen Grundton des Librettos: Sie entlarvt Leporellos Vorwürfe, die dieser in der vierten Szene des ersten Aktes variieren wird (»la vita che menate è da briccone«), als Farce. Das »Lumpenleben« des Don Giovanni steht und fällt mit Leporellos Bereitschaft, ihm »aufzuwarten«. Und wenn Letzterer in seiner ersten Arie singt, er wolle das Leben eines »gentiluomo« führen, dann weiß er, so könnte man weiterspinnen, aus eigener Beobachtung ganz genau, was das alles mit sich bringen kann.

DAS PRINZIP DES VATERS

Barrie Koskys Regie beschränkt sich im Folgenden nicht auf die Spiegelung des Librettos und der Musik in der szenischen Aktion, entscheidet sich aber auch nicht für ein Konterkarieren oder ein szenisches Gegenerzählen. Vielmehr vertieft sich der Regisseur in die Konstellation zwischen den beiden Charakteren, die er bei ihrem ersten Aufeinandertreffen von der klassischen Komödientradition weg- und viel näher aneinander herangeführt hat. Was er vorfindet, sind die Brüche in der Figur: Leporello ist genau betrachtet noch kein Charakter, der aus psychologischer Moti- vation heraus handeln würde, aber auch kein bloßer Commedia-dell’-arte-Typus mehr, der einfach seine »lazzi«, seine komischen Nummern, zum Besten gibt. An den Bruchlinien zwischen beidem hat sich Barrie Kosky in der Arbeit mit seinen Darstellern besonders häufig aufgehalten. Dabei entwickelte sich vor allem die Leporello-Figur entscheidend weiter. Im Gespräch für das Programmbuch zu Don Giovanni beschreibt der Regisseur die Transformation seines Leporello-Gedankens in der Zusammenarbeit mit seinen Sänger-Darstellern Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Philippe Sly  (Leporello):

»Ich habe Don Giovanni und Leporello lange Zeit einfach als zwei Seiten einer Medaille gesehen. Die Doppelgesichtigkeit, das Doppelgängerprinzip, das auch schon öfter in Inszenierungen zu sehen war. Inzwischen glaube ich, dass sich das Verhältnis nicht darauf beschränken lässt. Unsere Version hat sich im Lauf der Proben sehr stark entwickelt, vor allem aus dem Spiel und der besonderen Konstellation zwischen Philippe Sly, unserem Leporello, und Kyle Ketelsen, unserem Don Giovanni. Nach einer Szene sagte ich zu Philippe: Es ist großartig, wenn du so mit Don Giovanni spielst, als wärst du ein Junge und er dein Vater. Du bewunderst und hasst ihn zugleich, und erlaubst ihm, dich zu erniedrigen, weil du seine Anerkennung willst. Daran haben wir gearbeitet, und so hat sich auch in das klassische Verhältnis von Meister und Sklave das Prinzip des Vaters eingeschrieben.«

Das »Prinzip des Vaters« zieht sich als Gedanke durch die ganze Inszenierung. Barrie Koskys interpretierendes Theater ist aber keines der Wortwörtlichkeit; es ist wichtig, dass das »Prinzip des Vaters« ein besonderes Verhältnis anzeigt, das verschiedene Aspekte enthält, von biblischen Bildern bis zu psychoanalytisch gedachten Verbindungen zwischen Figuren. Und so ist auch bei der Idee des Vater-Sohn-Verhältnisses zwischen Leporello und Don Giovanni das »Als ob« wichtig. Es geht nicht darum, ein Verwandtschaftsverhältnis zu behaupten; vielmehr findet der Regisseur eine emotionale Verbindung zwischen den beiden Figuren, die die Frage beantworten kann, die sich an den Bruchlinien der Leporello-Figur ergibt: Was hält Leporello eigentlich bei Don Giovanni?

Im Finale nach Don Giovannis Höllenfahrt kündigt er an, sich in der Osteria einen besseren Herrn suchen zu wollen (»A trovar padron miglior«, 3. Akt, letzte Szene). Den Dienst bei Don Giovanni hatte er schon bei seinem ersten Auftritt als eigentlich unzumutbar beschrieben (»Notte e giorno faticar, per chi nulla sa gradir, piove e vento sopportar, mangiar male e mal dormir«, 1. Akt, Introduktion) – die Regie nimmt nun das Angebot an, Gründe dafür zu finden, warum Leporello den Weg in die Osteria nicht schon sehr viel früher genommen hat.

Die entstandene Nähe des Dieners zu seinem Herrn respektive zur Macht lässt sich in komisch angelegten Nummern wie der Registerarie (»Madamina, il catalogo è questo«, 1. Akt, 5. Szene) sehr gut als eine Ähnlichkeit zu demselben anlegen, die die sadistische Farbe des Komischen betont. In Koskys Don Giovanni ist die Ähnlichkeit aber immer ein Sich-Ähnlich-Machen, wie sich Leporellos Handlungen generell aus seinem speziellen Verhältnis zu Don Giovanni heraus erzählen. Die Anziehungskraft Don Giovannis, das große Thema des Don-Juan-Topos, hat hier eine besondere Ausprägung bekommen, als eine Hassliebe, die Leporello bis zum bitteren Ende an seinen Herrn bindet. Um jeden Preis die Aufmerksamkeit des anderen erlangen, ihm gleich werden wollen und ihn zugleich verachten, sich von ihm buchstäblich auffressen lassen – all das zeigt dieser Leporello in Barrie Koskys Inszenierung, die die Dienerfigur über den Boden ihrer Tradition in ungeahnte Regionen führt. Die Arbeit kann als ein Beispiel dafür gelten, wie auch Figuren aus sehr bekannten Opernwerken immer wieder neue Farben annehmen können, die sich aus der genauen Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen durch inspirierte Künstlerinnen und Künstler ergeben.


DON GIOVANNI
26. / 29. Jänner / 1. / 3. / 6. Februar 2023
Musikalische Leitung Antonello Manacorda
Inszenierung Barrie Kosky
Bühne & Kostüme Katrin Lea Tag
Licht Franck Evin
Mit
Kyle Ketelsen / Ain Anger / Slávka Zámečníková /
Dmitry Korchak / Kate Lindsey / Philippe Sly / Isabel Signoret / Martin Häßler