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Dirigent Lorenzo Viotti im Gespräch mit Staatsoperndirektor Bogdan Roščić
Dirigent Lorenzo Viotti im Gespräch mit Staatsoperndirektor Bogdan Roščić

DIE SPANNUNG des Neuen

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Er ist erst 32 Jahre alt. Nichtsdestotrotz kann und will die Musikwelt ohne ihn nicht mehr auskommen. Seine Biographie verzeichnet schon jetzt regelmäßige Auftritte auf den wichtigsten Konzertpodien mit einigen der bedeutendsten Orchester der Welt sowie Vorstellungen an zahlreichen essenziellen Opernhäusern. Außerdem ist er derzeit Chefdirigent der Niederländischen Philharmonie und der De Nationale
Opera in Amsterdam. Nun wird der gebürtige Lausanner Lorenzo Viotti im September nicht nur sein Debüt im Haus am Ring geben, sondern zugleich eine Premiere leiten, die ein Stück weit aus dem üblichen
Rahmen fällt und gerade dadurch seit Monaten mit großer Spannung erwartet wird: Einen Musiktheaterabend mit der szenischen Umsetzung von Gustav Mahlers Klagendem Lied und den Kindertotenliedern.
Mit Andreas Láng sprach er über den Wert von risikobehafteten Projekten, der ungerechten Vernachlässigung von Frühwerken, warum er lieber keine Einspielungen produzieren möchte und das fruchtbare
Wiener Ambiente für all jene, die später den Beruf der Musikerin oder des Musikers ergreifen möchten.

Sie haben bereits die erste, dritte, vierte, fünfte und siebente Symphonie von Mahler dirigiert, im Februar kommt noch die sechste dazu und jetzt Anfang September leiten Sie in Grafenegg, gewissermaßen als Auftakt zu den Proben an der Staatsoper, wieder die »Erste«. In Ihrem Repertoire scheint Mahler einen sehr wichtigen Platz einzunehmen. Darf man Sie einen Mahler-Spezialisten nennen?

LORENZO VIOTTI Für mein Alter habe ich tatsächlich schon recht viel von Mahler gemacht – nicht zuletzt auch noch einige seiner Lieder, aber als Mahler-Spezialisten würde ich mich trotzdem nicht definieren.

Was ist ein Mahler-Spezialist?

LV Einer, der sein ganzes Leben dem Studium der Werke dieses Komponisten gewidmet hat. Das ist bei mir nicht der Fall. Aber ich liebe und begreife die Einsamkeit und Trauer, die neben einer einnehmenden, unendlich scheinenden fröhlichen Kindlichkeit allen Partituren Mahlers eigen ist. Schon in seinem eigentlichen Opus 1, der Märchenkantate Das klagende Lied, das er mit nicht einmal 20 Jahren schuf, begegnen uns in der Musik auf Schritt und Tritt jene Tränen, die bei ihm nie zu versiegen scheinen. Wenn man also als Interpret beides in sich findet, die fröhliche Naivität und das Begreifen der  Mahler’schen Trauer, dann sollte man sich unbedingt auch diesem Komponisten verschreiben. Schade ist nur, dass der heutige Musikbetrieb junge Dirigentinnen und Dirigenten drängt, von allen Komponisten gleich die bekannten, großen Stücke aufzuführen. Man macht beispielsweise von Beethoven sehr bald die »Fünfte« oder »Siebente«, aber vielleicht erst nach zehn Jahren einmal die »Erste«. Damit kommen die frühen Meisterwerke immer zu kurz. Das ist dumm und ungerecht. Schauen wir uns nur Mahlers gewissermaßen erstes Werk, Das klagende Lied, an: Im Zuge des Einstudierens war ich immer wieder aufs Neue davon ergriffen, wie klar und vollständig die Welt Mahlers hier schon zu finden ist – die Welt der dritten, der sechsten Symphonie etwa, seine große Liebe zum Gesang. Sie können sich vorstellen, wie froh ich bin, nun endlich auch dieses Stück machen zu dürfen. 

Aber es gibt sicher Details, die das Klagende Lied als Frühwerk ausweisen?

LV Das möchte ich eigentlich erst beantworten, wenn ich das Stück mit dem Orchester und den Sängern fertig erarbeitet habe. Beim Lesen einer Partitur erfährt man sicherlich sehr vieles: Ich erkenne die Technik der Orchestrierung, weiß, dass Mahler gerade diese Partitur mehrfach überarbeitet hat, in puncto Instrumentierung transparenter geworden ist und einige Dopplungen gestrichen hat. Andererseits: auch in der ersten und dritten Symphonie finden wir zahllose instrumentale Dopplungen. Das war einfach sein Stil. Wie gesagt: Die Klangwelt Mahlers ist hier schon fertig zu finden. Solche Aspekte erkenne und erfahre ich beim Studium der Partitur – aber durch das gemeinsame Musizieren wird dann oft zusätzlich Anderes, Ungeahntes enthüllt. Also bitte um Geduld bei dieser Frage. 

Aber aufgeführt wird vom Klagenden Lied die unveränderte, mutigere Urfassung?

LV Ja – unter anderem mit den sechs Harfen und dem Fernorchester. (lacht) Nun gibt es doch ein beachtliches, bereits vorhandenes Opernrepertoire.

Was interessiert Sie an diesem Projekt, an der Kompilation von zwei Werken, die in dieser gemeinsamen Form ursprünglich nicht für das Musiktheater gedacht waren?

LV In einem Musiktheater werden neben den Balletten Stücke aufgeführt, die, grob gesprochen, gemeinhin als Oper bezeichnet werden und deren Handlungen man zumeist mehr oder weniger gut kennt. Das heißt, der Überraschungsgrad selbst bei einer Neuproduktion eines bekannten Titels ist für alle Beteiligten wie für das Publikum letztlich natürlich geringer als bei einer Uraufführung. Dazu kommt – insbesondere in einem Repertoirehaus – dass vieles nicht so intensiv geprobt werden kann, wie es notwendig wäre. Wir wissen, wie sehr gerade Gustav Mahler als Operndirektor unter dieser unveränderbaren Tatsache  gelitten hat. Der Vorgang des insgesamten Kreationsprozesses, die Intensität des Erarbeitens ist also bei einer Uraufführung – und als solche verstehe ich auch diese szenische Umsetzung und Vereinigung
der beiden Mahler-Werke – notgedrungener Weise sicherlich deutlich höher, als im sogenannten Normalfall. Selbsterständlich ist auch das Risiko des Scheiterns größer und ich bin überzeugt, dass wir alle während der Probenarbeit mehr als einmal Überraschungen erleben werden. Aber das hält das Theater als solches jung und gerade deshalb liebe ich dieses Projekt und gerade darum ist es notwendig!

Schon Richard Wagner postulierte: »Kinder schafft Neues!«

LV Wie recht er hatte! Man ist früher mehr Risken eingegangen. Heutzutage haben viele Musik-Institutionen zu große Angst davor, dass keine Karten verkauft werden. Also spielt man lieber zum tausendsten Mal einen der populären Titel mit bekannten Sängerinnen und Sängern, womöglich ohne große Probenarbeit. Aber das ist der Tod unserer Kunst! Es kommt nicht nur auf die Titel an, sondern auch auf die Kommunikation. Gerade Corona hat dazu geführt, dass so manche Institution plötzlich mit einem Publikumsmangel zu kämpfen hat. Diese unleugbare Tatsache hat andererseits vielleicht das Gute, dass wir gezwungen sind, deutlicher zu vermitteln, warum es einen Mehrwert hat, warum es auch für zukünftige Generationen wichtig sein wird, sich Zeit zu nehmen für eine Aufführung, warum es ein unbezahlbarer Gewinn ist zwei,drei, vier Stunden in einem Opernhaus abzusitzen und dafür sicherlich auch mehr zu bezahlen als für Netflix. Wir müssen Antworten auf solche Fragen geben – und gerade dieses Mahler-
Projekt der Staatsoper ist so eine Antwort.Für mich ist dieses Debüt definitiv mit einem höheren Stresspegel verbunden, als wenn ich mit einer bekannten Oper zum ersten Mal vor das Staatsopern-Publikum träte. Aber für uns Musiker ist es wichtig, Stress zu haben, aus dem Alltagstrott aufgescheucht zu werden, unsicher zu sein über das Ergebnis – denn nur so können wir Besonderes und Neues erreichen.

Mahler gab zu, dass selbst für den Schöpfer stets ein Rest von Mysterium in einem Kunstwerk verbleiben wird. In welchem Maße gilt das auch für den Interpreten?

LV Für den Interpreten gilt das noch viel mehr. Denn die Interpretin, der Interpret ist in einem gewissen Sinne blind. Was wir nämlich machen, ist immer nur ein Versuch. Ich kann ein Prélude von Chopin 200 Mal zur Aufführung bringen, um dann nach Jahren draufzukommen, dass ich noch nicht alles in dem Stück ausgeleuchtet habe. Dieses Suchen und Finden und Weitersuchen verleiht dem Ganzen auch eine wichtige Portion Magie! Wissen Sie, gerade deshalb sträube ich mich dagegen, CD-Aufnahmen zu produzieren. Ich mag einen Francis Poulenc oder einen Johannes Brahms noch so gut kennen – ich möchte meinen jeweils aktuellen Interpretationsstand nicht konservieren.

Aber vielleicht später einmal?

LV Vielleicht auch nie. Ich empfinde es nicht als Notwendigkeit, ganze Zyklen einzuspielen, nur weil ein berühmtes Label eine Zusammenarbeit anbietet. 

Aber wenn in 80, 90 Jahren Leute gerne etwas von Lorenzo Viotti hören wollten, wäre es doch schade, wenn keine Aufnahmen vorliegen.

LV Möglich, aber dann werde ich ja schon tot sein. (lacht) Nein, im Ernst, vielleicht ist es wichtiger, dass man später davon spricht, dass die Konzerte oder Opernvorstellungen von mir ein Erlebnis waren, als wenn ich die x-te CD eines Werkes vorlege. Seien wir ehrlich: Die meisten Aufnahmen, selbst von den ganz großen Dirigenten, werden Jahrzehnte später ohnehin kaum noch gehört.

Eine letzte Frage: Sie haben auch in Wien, unter anderem am Konservatorium, der heutigen Privatuniversität in der Johannesgasse, studiert. Warum gerade hier?

LV Ich hatte in Lyon neben Gesang und Klavier auch ein Schlagwerkstudium absolviert. Aber Bertrand de Billy, mit dem ich gut befreundet bin, riet mir, nach Wien zu gehen, weil hier das Leben und die Atmosphäre für einen Musikstudenten optimal wäre: Jeden Tag Aufführungen an der Staatsoper, der Volksoper, im Musikverein, im Konzerthaus und an zahlreichen anderen Orten. Nirgendwo sonst, könne man
so ein breites Angebot wahrnehmen. Ich war ja dann auch kein besonders guter Student im herkömmlichen Sinn. Meine erste Aufnahmsprüfung am Konservatorium habe ich gar nicht bestanden und so studierte ich an der Musikuniversität weiter Schlagwerk, um den Wiener Klang besser kennen zu lernen. Und ich war fast jeden Tag am Stehplatz oder auf billigen Plätzen in den diversen Musiktempeln, habe im Singverein unter Dirigenten wie Boulez und Harnoncourt gesungen, durfte im Staatsopernorchester als Schlagwerker substituieren und habe dabei gelernt, wie wichtig für die Gesamtfarbe eines Klanges die sogenannten Nebeninstrumente wie Harfe, Triangel, Tuba sein können. Ich durfte sogar im Notenarchiv der Staatsoper mitarbeiten und Orchesterstimmen einrichten. All diese Erfahrungen waren meine Schule! Ich war der Meinung, dass ich die Psychologie der anderen Seite verstehen muss, wenn ich eines Tages ein Ensemble leiten möchte. Und Bertrand de Billy hatte recht behalten – einen besseren Ort
als Wien zur Vorbereitung für meinen Beruf hätte ich nie finden können.


VON DER LIEBE TOD
Das klagende Lied. Kindertotenlieder.

29. September / 2. / 5. / 7. / 10. / 13. Oktober 2022
Musikalische Leitung Lorenzo Viotti
Inszenierung Calixto Bieito
Bühne Rebecca Ringst
Kostüme Ingo Krügler
Licht Michael Bauer
Mit Vera-Lotte Böcker / Tanja Ariane Baumgartner / Daniel Jenz / Florian Boesch
→ Die Einführungsmatinee zu dieser Premiere findet am 18. September mit Mitwirkenden der Produktion statt. Moderation Bogdan Roščić.