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Szenenbild aus »Der Rosenkavalier«
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

DER OCHS IST AM ENDE DER ESEL

Der G’scheitere, heißt es, gibt nach, der Esel fällt in den Bach. Das Kind denkt: Wer so redet, irrt. Warum in aller Welt sollte ein Esel sein, wer sein Recht behauptet, statt klein beizugeben? Lieber in den Bach fallen als dastehen mit leeren Händen! Marie von Ebner-Eschenbach sah in der Nachgiebigkeit der Gescheiten die Weltherrschaft der Dummheit begründet. Ob sie wohl bedacht hat, dass die Besserwisser auf taube Ohren stoßen? Mag einer noch so hell sehen, bleibt er doch verdächtig, wo er auf Dingen beharrt, die sich den Blicken der andern entziehen – und sei er noch so bewandert und meinte er’s noch so gut, ist er in deren Augen nichts als ein Friedensstörer. Kassandra lässt schön grüßen. Wäre der Kluge weise, er nähme gelassen hin, was er nicht ändern kann, und ließe das Eifern sein und rechnete auf die Einsicht. Was heute besiegelt steht, zeigt sich am nächsten Morgen in einem neuen Licht. Es gilt das Weltgesetz, dass uns beinahe alles, woran wir uns heute klammern, einst durch die Finger rinnt und letztlich nichts von Bestand bleibt, was uns zu eigen scheint, wie die Burgen der Kindheit, gebaut aus Klötzchen und Sand, im Werden nichts als Werden, doch im Moment der Vollendung nur noch Fragen der Zeit. Die Vor- und Nachsicht des Weisen ermächtigt den Dummen nicht. Sie weiß um die Beschränktheit jeder irdischen Macht gegen die höhere Fügung, das ewige Stirb und Werde. Das Wissen um den Abschied bewahrt uns vor Enttäuschung. In Rainer Maria Rilkes Sonette an Orpheus heißt es: »Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter / dir ...«, und an anderer Stelle: »Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose / nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn ...«, und, wieder anderswo: »O wie er schwinden muss, dass ihr’s begrifft! / Und wenn ihm selbst auch bangte, dass er schwände. / Indem sein Wort das Hiersein übertrifft ...«


Erst die Endlichkeit setzt das Leben ins Maß. Die Güte des Schicksals bestimmt, wer es bedenkt und bemeistert. Wer Geliebtes freigibt, wird nicht verlassen sein, wird es auf ewig besitzen. Der Kindskopf will durch die Wand, unfähig zum Verzicht, hält das Geliebte fest, selbst wenn es ihm dadurch bricht. Der Rosenkavalier: ein fabelhaftes Lehrstück über den Triumph der Nachsicht über den Starrsinn. Seine Botschaft lautet, nicht Muskeln noch Schneid zu brauchen und auch keine große Klappe, um es in einer Welt immerwährenden Wettstreits am Ende zu etwas zu bringen. Das scheinbar Schwache siegt über das scheinbar Starke. Die Musikkomödie – ein Gleichnis über das Lieben, oder jedenfalls das, was wir die Liebe nennen, Leidenschaft und Begierde, Selbstsucht, Lächerlichkeit, die geschlechtliche Gier und das Ringen um Würde.


Die Marschallin, eine verheiratete Frau in ihren Dreißigerjahren, meint sich am Verblühen und stößt den Geliebten von sich, um den geahnten Abschied tapfer vorwegzunehmen. Sie ist sich bei aller Macht über den hörigen Knaben ihrer Ohnmacht bewusst gegen den Gang der Zeit, und lässt sich nicht erweichen vom Weinen Octavians, der nicht voraussehen kann, dass er es ist, der verlässt. Sie macht den Jüngling zum Mann, einem Mädchen zum Gatten. Andrerseits ist da der Ochs, ein Kleinadel-Don-Juan, berechnend in Heiratsdingen, unfähig, sich zu bescheiden – »Macht das«, fragt er und spielt auf seine Hochzeit an, »einen lahmen Esel aus mir?«. Mit Blick auf die baldige Ehe packt ihn erst recht die Lust, unter dem Zaun zu grasen. In seiner blinden Gier verschaut er sich in den Knaben, der sich als Zofe verkleidet. Das ausgelassene Spiel der verliebten Naturen! Und doch, zwischen Walzer und Wollust sticht grau die Moral hervor: Abenteuer sind flüchtig, und was aus der Ordnung fällt, darf nicht in Erfüllung enden. In Ordnung kommen heißt hier, sich in die Ehe zu fügen. So verwundert es nicht, dass unser Schwerenöter neben dem sanften Jüngling und seiner klugen Geliebten als der Dumme dasteht: Sein bodenloser Geschlechtsdrang gerät zur lachhaften Posse. Der Ochs ist am Ende der Esel.


Hugo von Hofmannsthal war ein Heiratsverfechter, sprach von der Metamorphose von einer Art Präexistenz zum geläuterten Ich. Aber was ist mit dem Du? Kein Zweiergespann der Welt ist schon die Krönung der Liebe, schon gar nicht als warmes Asyl eines unsteten Geistes, der sein häusliches Süppchen umso begieriger schlürft, je weiter er ausschwärmen will. Und schmäht nicht der Treue den Lüstling, weil er ihn heimlich beneidet? Selbst wenn die Ehe gelingt: Der Schritt vom Ich zum Du glückt nur im weiteren Sinn, wo ein Paar danach strebt, die Zweisamkeit zu entsiegeln. Nicht Ein- oder Unterordnung in starre Geschlechterrollen und staubige Konventionen taugen heute als Muster sozialer Vollkommenheit, sondern umfassende Liebe, die nicht den Stillstand will, sondern Lernen und Wandlung. Es braucht nicht den Ring noch den Denkstein. Schon was Dauer behauptet, verweist auf Vergänglichkeit. Ewig ist nur das Wort, das alles im Werden bedingt und unser Hier und Jetzt beglaubigt und übertrifft. Und finden wir uns einst wieder mit leeren Händen, bleibt uns immerhin der Name der einstigen Rose.


Text von Anna Baar