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Der Mythos eines Genies

Wagners Ring des Nibelungen ist bis heute eines der größten zusammenhängenden Musiktheater-Schöpfungen die jemals für die Bühne erdacht wurde – eine weltumspannende, offen kapitalismuskritische Parabel über den unversöhnlichen Gegensatz von Macht und Liebe. Dementsprechend groß sind die Herausforderungen und Erwartungen an jedes Opernhaus, das sich der Aufgabe einer musikalischen wie szenischen Neuinterpretation stellt. Im Dezember 2007 fiel an der Wiener Staatsoper mit der Walküre der Startschuss für eine Neuproduktion der Tetralogie, mit der Regie des gesamten Vierteiles war Sven-Eric Bechtolf betreut worden, der zuvor mit seiner Umsetzung von Strauss‘ Arabella einen erfolgreichen Einstand feiern konnte.

In der Vorbereitungszeit machte sich Bechtolf intensiv mit allen literarischen Vorlagen und philosophischen Strömungen vertraut, die Wagner nachweislich im Laufe seiner rund 25jährigen Arbeit am Ring beeinflussten. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Rolf Glittenberg und der Kostümbildnerin Marianne Glittenberg, ging es Bechtolf nicht zuletzt darum, den von Wagner geschaffenen (neuen) Mythos zu befragen und zugleich abzubilden. Der Zuschauer blickt demgemäß in dieser Inszenierung, wenn er auf die Bühne schaut, direkt in den Kopf, besser in die Gedankenwelt Richard Wagners, in der sich bereits Vorhandenes, Vorgefundenes mit Neuem zu etwas Nie-Dagewesenem mischt.

Anlässlich des Walküren-Streams einige Gedanken Bechtolfs, die er damals währen der Probenarbeit formulierte:

„Der Ring ist, glaube ich, sehr viel auf einmal. Das ist seine Qualität und sein Problem. Seine Entstehung teilt sich ja auch auf zahllose Lebens- und Erkenntnisepochen Richard Wagners auf. Daher kann man nicht sagen, dass der Ring zum Beispiel nur schopenhauerianisch oder ausschließlich von Feuerbach beeinflusst ist oder welchen Einfluss Nietzsche tatsächlich genommen hat, von Proudhon, Herwegh oder Röckel, um nur einige zu nennen, ganz zu schweigen. Ist der Ring romantisch, aufklärerisch, philosophisch, revolutionär, kulturfeindlich, pessimistisch, utopisch? Ja, von allen etwas. So funktioniert eine rein politische Lesart des Rings wie sie George Bernard Shaw exemplarisch geleistet hat zwar für das Rheingold, die Walküre hingegen ist eine mythologisch-psychologische Liebegeschichte und – zumindest was Wotan betrifft – eine Entwicklung der Willensphilosophie Wagners, der man mit ideologischen oder gar politische Interpretationen nicht mehr gerecht wird.

Vielleicht ist diese Vielgestaltigkeit nicht seine Schwäche, sondern im Gegenteil der Ausweis seiner Welthaltigkeit. Vielleicht tut man dem Ring Unrecht, wenn man versucht, ihn „festzunageln“. Es wird jedenfalls unendlich viel verhandelt und das auch noch auf zahllosen Ebenen. Ich weiß nicht einmal, ob Wagner sich überhaupt über all das bewusst war, oder ob er manches nur erahnt oder erfühlt hat. So sind zahlreiche tiefenpsychologische Aspekte enthalten, die der Zeit weit voraus sind und die sich, wie so vieles im Ring, zwar der Interpretation am Schreibtisch anbieten, sich aber nicht so einfach auf einer Bühne darstellen lassen.

Die Grundfrage, die man sich stellen muss, lautet: Halte ich die Dunkelheit dieses Werkes aus? Unter Dunkelheit verstehe ich das Opake, Undurchsichtige, Traumhafte, in die Welt E.T.A. Hoffmanns-Ragende, gar nicht so sehr das Pessimistische. Ich denke: Man sollte sich dieser schillernden Obskurität stellen. Es hat wenig Sinn zu versuchen, das Ganze zu entschlüsseln und zu säkularisieren: Ein Kunstwerk ist eben immer auch etwas Enigmatisches – und das sollte man akzeptieren.

Als Regisseur wird man dann auf die harte Prüfung gestellt, nicht dem Reflex zu gehorchen, den Ring ununterbrochen zu kommentieren. Sondern Bilder herzustellen, die die Vielgestaltigkeit des Werkes mittransportieren, ohne dem Zuschauer das Gefühl zu geben, nicht mehr das Stück, sondern nur noch die Assoziationsketten des Regisseurs zu bewundern. Ich glaube nicht, dass Wagner uns vorschlägt, alles auf eine Meta-Eben interpretativ aufzuschlüsseln. Wie immer sich ein Regisseur aber auch entscheiden mag, Wagners Figuren sind plastisch, lebensnah und lebenswarm, sie zwingen uns, ihnen zu folgen, ihre Konflikte sind nachvollziehbar und ohne längeres Sinnen als unsere Konflikte erkennbar. Es ist eben nicht so, dass das nur Ideenträger sind, dazu war Wagner zu sehr Dramatiker.

Für mich ist der Ahnungsbereich, nicht der Konstruktionsbereich spannend – also das Unbewusste und nicht das Bewusste. Aber auch ganz simple Fragen: Wie ist das Verhältnis zwischen den Figuren? Wieso reagiert eine Person so und nicht anders? Erstaunlicherweise sind oft die kleinen, kammerspielhaften Szenen, die in diesem Sinn interessant sind. Das Schwierige ist auch, Wucht und Finesse in nur einen Ausdruck zu bekommen. Ich möchte aber auch immer darauf hinweisen, dass jemand sich all das ausgedacht hat, es ist uns der Ring ja nicht von der Hand der Ewigkeit überantwortet worden. Der Ring hat nicht recht, er ist keine Ersatzreligion.

Ich glaube, wenn man es schaffen würde, dass die Zuschauer ein bisschen den Weg abgehen, den man selber gegangen ist, Lust bekämen, das Erlebte, Gehörte und Gesehene ein wenig auf sich zu beziehen, über sich und den Menschen in dieser fundamentalen Weise mit-nachzudenken, ohne dass man sie dazu mit dem Nudelholz gezwungen hätte, wäre das sehr schön.