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© Guido Werner (Andrè Schuen) & Chris Gonz (Hanna-Elisabeth Müller)

DER GRAF & DIE GRÄFIN

INFORMATIONEN & KARTEN »LE NOZZE DI FIGARO«
 

DER GRAF 

Text Andrè Schuen

Der Graf ist aus meiner Sicht ein Mensch, der in eine Welt hineingeboren wurde, die ihm stets alles nur Erdenkliche geboten hat. Daher ist er es auch gewohnt, auf nichts verzichten zu müssen. Etwas nicht zu bekommen – das scheint ihm geradezu unvorstellbar und bringt ihn völlig auf die Palme: er flippt aus. Dieses Ausflippen ist übrigens eines seiner ganz allgemeinen Charaktermerkmale, es passiert immer wieder, etwa auch, wenn man ihm das Gefühl gibt, sich nicht richtig verhalten zu haben. Das ist musikalisch nicht ganz ungefährlich. Denn man gerät in Versuchung, diesen andauernden Zorn auch stimmlich durch ein »Draufhauen« zu zeigen – und das ist auf Dauer nicht gesund.

Im ersten Teil der Figaro-Trilogie, dem Barbier von Sevilla, wird deutlich, dass der Graf Rosina, also die spätere Gräfin, durchaus geliebt hat – und ich denke, dass er es immer noch tut. Aber leider ist er ein Schürzenjäger und hat neben seiner Gattin zahlreiche Affären; das ist vielleicht nicht im Laufe seiner (gar nicht so langen) Ehe passiert, sondern war von Anfang an so. Vieles an seinem Charakter ist übrigens in keiner Weise »historisch«, sondern heutig.

Immer stellt sich bei ihm die Frage, wie ehrlich sein »perdono« am Schluss ist. Darf man ihm glauben? Da habe ich meine Zweifel! Im Moment meint er es sicherlich so. Doch wird es nicht lange dauern, bis er alles vergessen hat und wieder so weitermacht wie zuvor. Und dennoch! Ich finde es wichtig, dass man nicht außer Acht lässt, dass er zwei Seiten hat. Die üblen erlebt man in der Oper: Er ist jähzornig, betrügt, behandelt seine Frau mehr als schlecht, hat sich nicht unter Kontrolle. Die guten Eigenschaften sieht man in Nozze nicht, doch muss er etwas haben, was die Gräfin an ihn bindet – und ich glaube auch, dass sie ihn nach wie vor liebt. Sicherlich kann er, oder zumindest konnte er, liebevoll, einnehmend, überzeugend sein. Und er ist auch nicht so dümmlich, wie er immer wieder gezeigt wird: Sein Problem ist, dass er durch seine Leidenschaft geblendet wird und dann zu keiner Reflexion in der Lage ist. Ein neutraler Blick auf die Welt: das ist ihm nicht gegeben. Im Übrigen ist der Graf für mich ein sehr junger Mann, in der Zeit der Handlung etwa 18 oder 19 Jahre? Oder vielleicht ein bisschen drüber, wenn man ihm ein paar Jahre Ehe mit Rosina gibt, aber jedenfalls jung. Und weil die Vorgeschichte, der Barbier von Sevilla angesprochen wurde: Mit dem Barbier, also Figaro, verbindet ihn kein enges Freundschaftsverhältnis. Er hat ihn zwar gebraucht, um an Rosina heranzukommen, doch nun, auf dem Schloss, benötigt er ihn nicht mehr so dringend, also ist das Verhältnis entsprechend abgekühlt. »Buddies« waren sie aber ohnedies nie, auch nicht im Barbier. Das Spannende an der Figur ist ihre Vielfältigkeit, sind die zahlreichen Dimensionen: Der Graf kann zornig sein bis zum Exzess, dann bis zur Fassungslosigkeit ernüchtert, gleich darauf wieder wütend. Das Duett mit Susanna im dritten Akt ist wirklich schön und lyrisch, unmittelbar darauf folgt das gänzlich anders ausgestaltete »Hai già vinta la causa« und dann das Sextett, das ganz im Stil einer Opera buffa gehalten ist. Es ist also ein ständiges Hin und Her, das der Graf durchlebt, er ist eine Figur, die viele Seiten erkennen lässt, wenn man erst einmal das einfache Bild des nur oberflächlichen Charakters hinter sich gelassen hat.

Der Bariton Andrè Schuen, der als Opern- und Liedsänger internationale Erfolge feiert, trat u.a. bei den Salzburger Festspielen, in Graz, Madrid, am Theater an der Wien, in Tokio, Hamburg, Paris und London auf. An der Wiener Staatsoper debütierte er 2020 und sang bisher u.a. in der Premiere von Eugen Onegin die Titelfigur, weiters Olivier und Graf Almaviva.

 

DIE GRÄFIN

Text Hanna-Elisabeth Müller

Immer wieder kann es verblüffen, wie aktuell und heutig die Figuren Mozarts und Da Pontes sind. Nehmen wir das Beispiel der Gräfin: Wer hat nicht im Bekanntenkreis jemanden, der oder dem es ähnlich geht wie ihr? Dieses Feststecken in einer Beziehung, das emotionale Gebundensein, die Unfähigkeit, sich von einer Person zu lösen: das ist so gegenwärtig wie leider auch alltäglich. Die Gräfin ist sich bewusst, wie ihr Ehemann sich verhält – und dennoch bleibt sie bei ihm, was nicht nur gesellschaftliche Gründe hat. Warum also? Weil sie ihn nach wie vor liebt! Denn warum sonst würde eine Frau all seine Eskapaden mitansehen? Diese Liebe kommt einerseits aus der Vorgeschichte, also dem Barbier von Sevilla, in der die bestehenden Widerstände gegen ihre Heirat die beiden zusammengeschweißt haben. Aber man darf andererseits nicht vergessen, dass er kein Tölpel ist, sondern ein imposanter und souveräner Mann, der durchaus eine Wirkung auf sein Gegenüber hat. In den Konversationen merkt man, wie klug er ist und wie schnell im Denken. Und wenn man einen klugen Menschen vor sich hat, dann ist er interessant. Und wenn er interessant ist, dann wird er auch attraktiv. Mit anderen Worten: Der Graf ist schon ein attraktiver Ehemann, wenn es die vielen Abers nicht gäbe... Und genau aus dieser Liebe heraus, an die sie sich nach wie vor hält, möchte sie am Ende seine Bitte um Verzeihung glauben. Sie klammert sich an diesen Strohhalm, selbst wenn sie im Inneren weiß: er wird sich nicht ändern. Das ist übrigens auch ihre einzige Schwäche, die in der Oper gezeigt wird: dass sie sich in dieser Hinsicht so klein macht!

All das wissend ist es dennoch wichtig, die Gräfin vor zu viel Trauer und Lethargie zu bewahren. Sie ist nie in einem aussichtslosen Leidenszustand, sondern hat sich eine Helligkeit und eine Leichtigkeit bewahrt. In den berückenden Legato-Bögen ihres Gesanges muss immer auch ein wenig Hoffnung durchschimmern und man muss spüren, dass sie doch nie vor dem Leben kapituliert. Hier finden wir sicherlich auch noch Anteile der Rosina (aus dem ersten Teil der Trilogie), wie man in ihrer Klugheit und ihrem Pläneschmieden ebenso ihr jüngeres Ich wiedererkennt. Die Gräfin hat sich natürlich verändert, steht sie doch jetzt an der Spitze der Hierarchie, was sich auch durch eine klare gesellschaftliche Über- und Unterordnung zwischen ihr und Susanna zeigt. Die beiden könnten, unter anderen sozialen Bedingungen, Freundinnen sein, aber in diesem Fall bleibt immer eine Schranke. Susanna – übrigens die einzige Vertraute im Schloss, die sie hat – bleibt die Dienerin, da darf man nicht zu viel hineininterpretieren. Auch zu Figaro wahrt die Gräfin im Gegensatz zum Barbier von Sevilla eine relativ große Distanz. Wie aber steht sie zu Cherubino? Zu ihm fühlt sich die Gräfin durchaus auf einer körperlichen Ebene hingezogen, belässt es aber bei einem mehr oder weniger harmlosen Flirt – wobei die Gräfin selbst ja keine ganz harmlose Person ist. Aber sie hat zu viel Respekt vor der Ehe und vor dem Grafen, als dass sie mit Cherubino wirklich etwas riskierte. Ein großer Unterschied zum Verhalten ihres Gatten! Das alles fügt sich zu der – nach meiner Meinung – komplettesten Figur der Oper: man kann im Laufe des Abends die Gräfin in all ihren Facetten, wie in einer 360-Grad-Aufnahme erleben. Genial von Mozart und Da Ponte geschaffen!

Hanna-Elisabeth Müller singt unter anderem an der Bayerischen Staatsoper, der New Yorker Metropolitan Opera, der Mailänder Scala, bei den Salzburger Festspielen, in Paris, Zürich, Hamburg und Baden-Baden. An der Wiener Staatsoper war sie sie bisher als Pamina sowie u.a. in den Premierenproduktionen von Don Giovanni (Donna Anna) und Die Meistersinger von Nürnberg (Eva) zu hören.