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© Peter Mayr

Das Mysterium des Schaffensprozesses oder: Die jüngste Gevatterin erhält den Preis

Informationen & Karten »Die Meistersinger von Nürnberg«
 

Nach »Parsifal« 2021 und »Tristan und Isolde« im April 2022 leitet Musikdirektor Philippe Jordan am 4. Dezember mit den »Meistersingern von Nürnberg« seine dritte Wagner-Premiere an der Wiener Staatsoper. Ein Werk, das er ebenfalls an unzähligen wichtigen Bühnen – unter anderem bei den Bayreuther Festspielen – dirigiert hat und das ihm von Jugend an sehr nahestand. Kurz vor den letzten großen Abschlussproben gab er das folgende Interview.


Sie sagten einmal, dass Tristan und Isolde die Essenz von Wagners Schaffen wäre, gewissermaßen der gesamte Wagner im Fokus des Brennglases. Was sind angesichts dieses Befundes nun die Meistersinger?

PHILIPPE JORDAN Sowohl als Interpret wie als Publikum ist man bei den Meistersingern am nächsten am Wesen Wagners dran – an Wagner als Person genauso wie an Wagner als Künstler und seinem Verst.ndnis von Kunst. Es geht hier um nichts weniger als um die immer neue und zentrale Frage des Verhältnisses, der idealen Verschmelzung von Form und Inhalt einerseits und des Quells von Inspiration und Einfall andererseits. Ohne Struktur, Aufbau und Übergänge bleiben die besten Ideen lose im Raum stehen, umgekehrt wird aus der klarsten und durchdachtesten Form nie ein Kunstwerk, wenn der Einfall fehlt. Da Wagner die Einfälle bekanntlich meistens nicht einfach so zuflossen, glaubte er zeitweise aus inszenierten Wutanfällen, Hass, Gegnerschaft – bis hin zu seinem abstoßenden Antisemitismus – die Triebfeder für seine Inspirationen gewinnen zu können. Zeitlebens beschäftigte ihn die Frage nach dem Geheimnis der Genese eines Kunstwerks – und hier in den Meistersingern hat er eine schöne Antwort gegeben. Um also auf Ihre Frage zurückzukommen: Tristan und die Meistersinger gehören, gerade durch ihre offensichtliche Gegensätzlichkeit, eindeutig zusammen, sie bedingen einander geradezu. Erst in der Zusammenschau beider Werke wird endgültig verständlich, was Wagner wichtig war.


Auch wenn die Meistersinger ursprünglich als Satyrspiel zum Tannhäuser gedacht waren, sind sie also das Pendant zu Tristan und Isolde?

PHILIPPE JORDAN Das Einzige, was die Meistersinger mit Tannhäuser verbindet, ist die grundsätzliche Idee des Künstlerdramas. Ansonsten zeigt Wagner all das, was in Tristan zur Vollendung gebracht wurde, in den Meistersingern als Antithese auf: zum Beispiel Chromatik gegen Diatonik, Harmonik gegen Kontrapunkt, Tragödie gegen Komödie, Helden gegen Bürger.


Apropos Komödie: Warum hat Wagner die ausdrückliche Bezeichnung »Komödie«, die er ursprünglich sehr wohl angedacht hatte, letztendlich dann gestrichen und die Meistersinger lediglich als »Oper in drei Aufzügen« bezeichnet?

PHILIPPE JORDAN Es stimmt schon, dass man Wagner gemeinhin die komische Seite aufs Erste gar nicht zumutet – aber selbst das Rheingold und passagenweise Siegfried weisen Aspekte des Komödiantischen auf. Ich denke, dass sich die Meistersinger während des Schaffensprozesses vom Schöpfer emanzipiert haben und Wagner in der endgültigen Gattungsbezeichnung diesem Prozess Rechnung getragen hat. Und da sind wir wieder beim Geheimnis der Entstehung eines Kunstwerkes. Es ist etwas Größeres, Umfassenderes herausgekommen, als von Wagner zunächst angedacht. Dazu kommt, dass sich die großen Komödien seit den Griechen über Shakespeare bis heute von leichten Schwänken dadurch unterscheiden, dass sie die Conditio humana in ihrer ganzen Tiefe beleuchten. Nicht zuletzt darum sehe ich – auch hinsichtlich der Qualität des Textes, den man losgelöst von der Musik öffentlich in Lesungen geben kann – in den Meistersingern eine der besten deutschsprachigen Komödien. Durchaus auf derselben Höhe wie etwa Kleists Zerbrochener Krug oder Lessings Minna von Barnhelm.


Wenn wir schon beim Text sind, kann die Barform der Meistersinger-Dichtung nicht unangesprochen bleiben.

Zumal es beim Stollen-Stollen-Abgesang-Auf- bau eines Bars, weit über die rein sprachliche Ebene hinausgeht. Hans Sachs erklärt es Walther im dritten Aufzug sehr eindrücklich: Es geht um die Vereinigung des Gegensatzes, aus dem etwas Neues entsteht: »Das rechte Paar« aus dem die Kinder hervorgehen – womit wir wieder beim Thema Form-Inhalt wären. Wagner hat die Barform übrigens nicht nur in den Meistersingern, etwa im Stolzing- und im Beckmesserlied verwendet. In »Wotans Abschied« in der Walküre – um nur ein Beispiel zu nennen – taucht sie ebenfalls sehr schön ausgeführt auf. Überhaupt ist die Barform nicht nur für die mittelalterlichen Meistersinger von Bedeutung, sondern für die gesamte klassische Musik.


Sie haben in den Proben darauf hingewiesen, dass Sie Eva ebenfalls als Meisterin sehen, ja sogar als die eigentliche Meisterin. Warum?

PHILIPPE JORDAN Zunächst erfüllt sie nur die Funktion der inspirierenden Muse, indem sie Walther zu seinem Lied entzündet. Aber wenn im dritten Aufzug, knapp vor dem unbeschreiblich großartigen Quintett, der Tristanakkord als Eigenzitat Wagners erklingt, wird weit mehr ausgedrückt als Sachs’ Erkenntnis, dass eine Verbindung zwischen ihm und Eva traurig ausgehen würde. Schon mit dem Ausruf Evas »O Sachs! Mein Freund« einige Partiturseiten früher, bricht aus Eva eine Musik heraus, wie sie vorher und nachher in der gesamten Oper nicht wieder auftaucht. Plötzlich sind wir in der Musiksprache von Tristan und Isolde, ein Urerlebnis Evas bahnt sich hier seinen Weg. Ihre Loyalität und Freundschaft zu Sachs gipfeln in ihrer Danksagung, in ihrer Bestätigung, dass sie alles vom Meistersinger Sachs gelernt hätte. Ihr »Durch dich gewann ich, was man preist, durch dich gewann ich, was ein Geist, durch dich erwacht, durch dich nur dacht ich edel, frei und kühn; du ließest mich erblühen« betrifft natürlich nicht nur ihr Frausein, sondern auch ihr künstlerisches Verständnis. Wagner setzt besagten Tristanakkord auf das Wort »bang« in Evas Satz »Euch selbst, mein Meister, wurde bang«, weil Sachs spätestens durch diesen Ausbruchs Evas deren übergroße künstlerische Potenz begreift. Bang nicht aus Liebe allein, sondern bang durch Anerkennung, Respekt. Nicht umsonst lässt er sie, die er nun als jüngste Gevatterin tituliert, daraufhin das nachfolgende Quintett eröffnen. Und wie wunderbar sublimiert, transzendiert sie ihr »Beklommenheitsmotiv« vom Beginn der Szene, und damit ihre persönliche Lebenssituation beim Übergang zum Quintett in eine der schönsten Melodien der gesamten Oper! Zugleich zeigt sie sich auch als talentierte Dichterin, wenn sie die einzelnen Worte der »Seligen Morgentraumdeutweise«, also des eben gefundenen Titels von Walthers neuem Lied, jeweils an den Beginn der einzelnen Verse der von ihr angestimmten Melodie setzt. Walthers oft zitierter Ausspruch in der letzten Szene, sein »Nicht Meister! Nein! Will ohne Meister selig sein!« soll eine Verbeugung vor Eva symbolisieren. Walther will – was er öffentlich nicht sagen kann – ihr den Kranz zuerkennen, ihr der wahren Meisterin.


Neben dem Quintett heben Sie in allen Gesprächen über die Meistersinger das Vorspiel zum dritten Akt immer wieder gesondert hervor.

PHILIPPE JORDAN Tatsächlich ergreift mich dieses Orchesterstück, das vieles aus dem dritten Aufzug vorbereitet, durch sein unglaublich tiefempfundenes, anrührendes Nachsinnen über den Weltenlauf und das Mensch-Sein an sich, jedes Mal neu. Das im Schusterlied angerissene »Wahnmotiv« erfährt hier eine Fortführung, Blech und Fagott stimmen den »Wach-auf«-Chor der Festwiese an, der von Eva gestaltete, bereits angesprochene wundervolle Übergang zum Quintett, erklingt. Und Wagners Hommage an Johann Sebastian Bach wird einmal mehr greifbar: Wir hören in diesem Vorspiel beispielsweise eine Fuge, die genauso gut aus Bachs Kunst der Fuge sein könnte.


Der Leipziger Richard Wagner hat also Bach besser gekannt als es viele seiner Zeitgenossen taten.

Mendelssohn hat die Matthäuspassion sicherlich in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit zurückgeholt. Das heißt aber nicht, dass dieses Werk und Bachs Schaffen generell gänzlich verschwunden gewesen wären. Wagners Idee des Musikdramas basiert sicher nicht nur auf Gluck, Mozart, Beethoven und der französischen Grand opéra, sondern hat eine wichtige Wurzel in den Bach’schen Passionen. Das Wechselspiel von Evangelist-Akteure, die Dramatik der großen Turbachöre, ja sogar die Sprache der Passionen hinterließen bei Wagner deutliche Spuren – und hinsichtlich der Fugen, der Kontrapunktik und den Chorälen natürlich ganz besonders in den Meistersingern.


Es wäre aber ganz falsch, bei den Meistersingern aufgrund von Diatonik, Choral und Fuge von einer tonalen Kehrtwende Wagners zu sprechen.

Natürlich wäre das falsch. Wenn im »Fliedermonolog« in den Hörner das Lenzmotiv ertönt und die Streicher dazu ein Tremolo sul ponticello spielen, nimmt Wagner im klanglichen Ausdruck sogar den Impressionismus vorweg. Die Quartschichtung in der Prügelszene erinnert sogar an Schönbergs 1. Kammersinfonie und die Verwendung des Dominantseptnonakkords beult die damals traditionelle Tonartensprache auf sehr originelle Weise aus.


Die Schlussansprache von Hans Sachs ist spätestens durch den nationalsozialistischen Terror geschichtlich belastet. Wie damit umgehen?

Ich wundere mich, dass das »Für deutsches Land das deutsche Schwert!« aus dem Lohengrin deutlich weniger hinterfragt wird. Ich glaube, dass man die Schlussansprache richtig lesen sollte. Es geht hier um Werte, es geht darum, dass Neues immer nur durch das Vorhandensein des Früheren entstehen kann – sei es durch Weiterführung, sei es durch bewusste Opposition. Das Vernichten und Fallenlassen dessen, was über Jahrhunderte gewachsen ist, kann in der Kunst kein vernünftiger Weg sein – gerade in unserer heutigen globalisierten Welt ist das Hochhalten der eigenen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, wie dies Sachs fordert, von ungeheurer Wichtigkeit. Und das ist die Botschaft. Nicht auf dem Wort »deutsch« liegt die Betonung, sondern auf dem Wort »echt«. Echt im Sinne von authentisch.


DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
4. (Premiere) / 8. / 11. / 15. / 20. Dezember 2022
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung Keith Warner
Bühne Boris Kudlička
Kostüme Kaspar Glarner
Licht John Bishop
Video Akhila Krishnan
Choreographie Karl Alfred Schreiner
Mit u.a. Michael Volle / David Butt Philip /
Hanna-Elisabeth Müller / Georg Zeppenfeld /
Wolfgang Koch / Christina Bock / Michael Laurenz