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Wenn Semyon Bychkov das Konzertpodium oder den Orchestergraben betritt und den Stab zum Auftakt hebt, weiß das Publikum was es erwarten darf: Ein Fest der Farbenpracht, eine enorme Intensität der Klangrede, ein absolutes Eintauchen in die Detailtiefe der jeweiligen Partitur. Friedrich Guldas Diktum, dass man jeden Ton spielen sollte, als ob es ums Leben ginge, wird bei Bychkov Realität. Das konnte auch das Staatsopernpublikum bei all den Premieren, Wiederaufnahmen und Repertoirevorstellungen erleben, die er durch seine Interpretationen veredelte. Nun kehrt Bychkov mit jenem Werk wieder, mit dem er vor etwas mehr als 20 Jahren im Haus am Ring debütiert hat: mit Strauss’ Elektra. Zeit für ein Gespräch.

Strauss hat sich mit der Komposition der Elektra recht schwer getan, fürchtete eine zu große Ähnlichkeit mit Salome – nichtsdestotrotz haben diese Mühen keine Spuren in der Partitur hinterlassen.

Semyon Bychkov: Viele große Schöpfer haben die Sorge, sich zu wiederholen, gerade weil sie stets bestrebt sind, Neues zu vollbringen. Das ist absolut verständlich und betrifft nicht nur Richard Strauss. Aber trotz aller Ängste gelang Strauss von der Salome zur Elektra ein gewaltiger Fortschritt: in der Komplexität der Klangsprache, in der Struktur des Werkes selbst, in der Orchestration. In einem gewissen Sinne hat Strauss bezüglich der Tonalität mit Elektra die fernsten Galaxien erreicht und für sich erkannt, dass er, sollte er noch einen Schritt weitergehen, mit einem Male außerhalb des Raumes, jenseits der Schwerkraft wäre. Also machte er bei seiner nächsten Oper Rosenkavalier eine Richtungsänderung – keinen Rückschritt wohlgemerkt – für die er dann schmerzhaft attackiert wurde, als ob er die Moderne verlassen hätte. Aber wer sich die Mühe macht, die harmonische Textur des Rosenkavalier genauer zu untersuchen, wird merken, dass sie ähnlich komplex ist wie jene der Elektra.

Aber bei allem Fortschritt steht "Elektra" trotzdem noch in der Wagner-Nachfolge.

Semyon Bychkov: Vereinfacht gesagt, wandelt jeder auf den Spuren seines Vorgängers und hat zugleich die Chance, sich auf dessen Schultern zu stellen und neue Welten zu erklimmen: Denken wir nur an das Verhältnis Schubert-Beethoven oder Brahms-Beethoven. Oder Strawinski, der für alle, die nach ihm kamen, eine Herausforderung darstellte. Und ja, Strauss war diesbezüglich keine Ausnahme, Wagners Einfluss kann und soll gar nicht geleugnet werden.

Strauss hat "Elektra "auf das kongeniale Theaterstück Hofmannsthals geschrieben – also, von kleineren Veränderungen abgesehen, einen bestehenden Text verwendet. Trotzdem hat man beim Anhören immer das Gefühl von prima la musica. Warum?

Semyon Bychkov: Im Grunde – allen klugen Diskussionen über dieses Thema zum Trotz – gilt ja bei jeder Oper: prima la musica! Die Musik transportiert den Inhalt und wird den Hörer, selbst wenn er den Text nicht versteht, berühren. Auch dann, wenn das Libretto schwächer wäre, kann die Musik ihre Wirkung entfalten. Natürlich, wenn die Dichtung gut ist, dann umso mehr. Aber, wie gesagt: prima la musica.

Obwohl Strauss das gesungene Wort, gerade auch in der "Elektra", im Orchester oft klangmalerisch illustriert …

Semyon Bychkov: Alles was bei Strauss im Orchester passiert, ist im selben Augenblick ein Spiegel von dem, was auf der Bühne gesungen wird. Und umgekehrt bilden die Gesangsstimmen oft einen Spiegel der orchestralen Struktur. Warum? Weil das Orchester bei Strauss fast nie bloße Begleitfunktion besitzt, sondern eine Klangwelt kreiert, die Teil der Erzählung ist. Man muss aber dazu sagen, dass das Orchester bei Strauss sehr häufig auch den nicht ausformulierten Subtext mitliefert.

Ein ganz anderes Thema: Wie bindend sind die Metronomangaben in der "Elektra" für den Dirigenten?

Semyon Bychkov: An diesen Metronomangaben erkennt man, dass Strauss ein großer Dirigent war – denn er hat sie befolgt, aber eben nicht sklavisch. Ihm war bewusst, dass zum Beispiel unterschiedliche Ausübende, unterschiedliche Instrumente einen je anderen Atem brauchen, um ein Phrase zu gestalten, er wusste um den Einfluss der Akustik usw. Mit anderen Worten: Die Metronomzahlen sind für den Dirigenten – den Komponisten und die Musik kennend – so etwas wie eine Straßenkarte, die ihm hilft, von einem Punkt zum nächsten zu kommen.

Im Falle der Elektra gibt es auch eine Reihe an historischen Aufnahmen – wie stehen Sie zu diesen?

Semyon Bychkov: Das ist immer eine sehr persönliche Frage. Manche Interpreten bevorzugen es, sie nicht zu kennen, weil sie fürchten, beeinflusst zu werden und den eigenen Weg zu verfehlen. Ich finde historische Aufnahmen ungemein interessant, nicht nur jene von Strauss-Werken. Sie zeigen uns, wie sich das Verständnis von Musik im Laufe der Zeit wandelt. Wenn jemand in den 1970er-Jahren zum Beispiel Beethoven so interpretiert hätte, wie etwa der große Arthur Nikisch auf Einspielungen aus den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, dann wäre der Betreffende für musikalisch unzurechnungsfähig gehalten worden. Andererseits zeigt uns eine Aufnahme auf denen Mahler am Klavier den ersten Satz seiner 5. Symphonie spielt, wie limitiert ein Komponist in der Verschriftlichung seiner Musik ist und vermittelt uns zugleich den eigentlichen Geist, die Absicht, die hinter dem Notenbild steht. So gesehen sind historische Aufnahmen – auch von Zeitgenossen berühmter Komponisten – von unschätzbarem Wert, weil sie uns das Gefühl einer Epoche näher bringen, von der wir uns schon weit entfernt haben.

Eine Abschlussfrage: Gibt es einen Moment in "Elektra", den sie besonders schätzen?

Semyon Bychkov: Nein. Ich bin ein wenig wie Lohengrin, der die bedingungslose Liebe sucht. Wenn ich einen Komponisten und sein Werk liebe, dann vollständig und so kommt mir der Gedanke an Highlights gar nicht. Zumal vom ersten Ton an alles miteinander unseparierbar verbunden ist. Ein großes Werk ist also immer eine organische Verbindung jeder einzelnen Sekunde. Eine wunderbare Architektur.

Das Gespräch führte Andreas Láng


Elektra | Richard Strauss
6., 9., 12., 15. Februar 2020

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