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© Peter Mayr

Ausflug in die Seelenwelt

Informationen und Karten »Tristan und Isolde«
 

Noch während der Schlussproben für die Wozzeck-Neuproduktion begannen die Proben für die Tristan und Isolde-Premiere im April. Musikdirektor Philippe Jordan setzte sich somit zugleich mit zwei Schlüsselwerken der Operngeschichte auseinander. Im Gespräch mit Oliver Láng leuchtet er in die düsteren Ecken von Tristans Unterbewusstsein, erzählt über den Giftschrank Richard Wagners und dessen Vorliebe für Nebelkerzen.

Adorno meinte einst, dass man keinesfalls eine Verbindung zwischen Meistersinger und Wozzeck finden könne, womöglich aber eine zwischen Tristan und Wozzeck. Sie dirigieren dieser Tage Wozzeck und bereiten Tristan vor – können Sie Adornos Sicht etwas abgewinnen?

PHILIPPE JORDAN Die Verwandtschaft liegt bereits in der Anlage der Werke, beides sind »dunkle« Opern. Vor allem aber tragen sie beide, wenn auch in unterschiedlichen Graden, die Auflösung der traditionellen Harmonik und des tonalen Systems in sich. Natürlich: Tristan ist ein tonales Stück, und immer, wenn ich von einer Wozzeck-Probe in eine Tristan-Probe wechsle, kommt mir die Partitur wie von Mozart oder Haydn vor. Aber nichtsdestotrotz leitete Tristan die »Krise« der Tonalität, die Auflösung des traditionellen harmonischen Systems ein. Und das führte 60 Jahre später zum Wozzeck.

Die Neuerung betraf aber nicht nur die Harmonik, sondern auch das Wesen des Werks. Carl Dahlhaus sprach von einer Ursprungsurkunde der musikalischen Moderne.

PJ Ja, Wagner schuf im Grunde fast so etwas wie eine neue Gattung. Tristan ist ein inneres Theater, ein Seelentheater. Man erlebt keine große äußere Geschichte, sondern der Blick verweist unter die Oberfläche, hinter das tatsächliche Tun. Wenn man diese beiden Elemente – neue Harmonik und Verlagerung des Geschehens ins Innere – zusammennimmt, dann kann man wirklich von einem Urknall sprechen. Der Tristan war die Auflösung der theatralen Konzeption, er war eine Sublimierung des Ring des Nibelungen: denn dessen Essenz findet man im Tristan. Wurde im Ring die Nummernoper aufgegeben – wenn auch die einzelnen Szenen zumeist noch deutlich voneinander abgesetzt sind –, so wird im Tristan die Idee der unendlichen Melodie, in der überganglos eines zum nächsten führt, viel konsequenter durchgeführt.

Doch wie kam es zu diesem Schritt? Hatte es mit Tristan zu tun oder war Wagner einfach an einem Punkt, an dem er Neues versuchen wollte?

PJ Es hat ohne Zweifel mit dem Stoff zu tun! Man darf nicht vergessen, dass er in diesem zeitlichen Umfeld auch an Siegfried und den Meistersingern arbeitete. Und in den Meistersingern herrscht ja Diatonik vor.

All das führte dazu, dass Tristan ein Mythos der Operngeschichte wurde. Dieser Mythos beginnt ja schon beim einleitenden »Tristan-Akkord«, wenngleich dieser, für sich alleine genommen, ja gar nicht so außergewöhnlich ist.

PJ Wagner war auch dann ein Genie, wenn es darum ging, Nebelkerzen zu werfen. Denn er hat den berühmten »Tristan-Akkord«, also als Gunther erscheint, spielt das Orchester den Akkord fortissimo. Auch im Parsifal findet man ihn. Wagner hat ihn immer wieder herangezogen. Was mich aber am Beginn von Tristan fast noch mehr beeindruckt, ist die Verbindung von zwei Motiven: das sogenannte »Leidensmotiv« den harmonischen Aufbau dieses Akkords, ja nicht erfunden oder als erster verwendet. Dieser kam ja schon früher immer wieder vor, etwa bei Beethoven im langsamen Satz seiner 5. Klavier- sonate in c-Moll oder im Schumann-Cellokon- zert – dort sogar mit derselben Weiterführung wie bei Wagner. Der große Unterschied ist, dass Wagner den Akkord gleich zu Beginn des Stückes einsetzte und nicht irgendwo zwischendrin, als Übergang. Mit dieser Position bekam der Akkord eine Signalfunktion, eine besondere Bedeutung. Man fragte sich: Was meint er? Der Akkord war also ein großes Fragezeichen, das dramaturgischen Sinn hatte.

Im Sinne von: Wir hören eine Dissonanz, die keine klassische Auflösung findet und fühlen, dass es hier um ein Suchen an sich geht?

PJ Genau das. Im Tristan geht es ja um die Spannung und die Nichtauflösung dieser. Das ist das eigentliche Thema. Das Sehnen, das Wünschen, das ist fast wichtiger als die eigentliche Handlung. Es dreht sich ja gar nicht um Liebe, sondern um die Sehnsucht nach Liebe. Um die Sehnsucht nach dem Tod. Würde die Liebe erfüllt, wäre die Spannung dahin. Das gesamte Tristan-Vorspiel ist übrigens in a-Moll geschrieben, die Vorzeichen, alles deutet darauf hin. Nur: Es kommt nicht zum a-Moll-Akkord. Auch hier wird etwas aufgebaut, dessen Einlösung bis zuletzt nicht stattfindet. Eine Dauerspannung. Mit anderen Worten: Sehnsucht.

Sie sprachen vorhin von der Signalwirkung des »Tristan-Akkords«. Hat Wagner ihn außerhalb dieser Oper auch noch eingesetzt? Oder ist er exklusiv?

PJ Nein, der Akkord wurde zu seinem neuen Spielzeug. Wir treffen ihn erstaunlich oft an. In der Götterdämmerung etwa, wenn Siegfried mit der aufsteigenden Sext und dazu das chromatisch aufsteigende »Sehnsuchtsmotiv«. Wir hören im Grunde keine Melodie, sondern zwei Motive, die sich über dem Akkord verbinden.

Zum Tristan-Mythos gehört ja auch, dass Wagners heimliche Liebe, Mathilde von Wesendonck, die reale Sehnsucht während der Tristan-Arbeit verkörperte.

PJ Eine Sehnsucht, die in meinen Augen in keiner Affäre gipfelte. Ich denke, sie hat in ihm sehr viel ausgelöst, es handelte sich um eine Seelenverwandtschaft, sie inspirierte ihn: Da war es, das Ausbrechen-Wollen aus der Konvention, aus Bindungen, aus der Ehe. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass, wäre die Liebe zu Mathilde in Erfüllung gegangen, der Sehnsuchts-Antrieb verloren gegangen wäre, der ihn dazu brachte, diese Oper so zu schreiben.

Hat der Versuch, mit den Konventionen zu brechen auch zu einer Entsprechung in seiner Kompositionsarbeit geführt? In dem Sinne, dass er sich einer Regellosigkeit zuwandte?

PJ Das denke ich gar nicht. Zwar war er in seiner Fantasie frei, aber die Komposition selbst ist formvollendet. Nichts ist da willkürlich. Alles unglaublich geschickt gebaut und kalkuliert. Jede Szene hat ihren Tonarten-Raum, den sie, egal wie moduliert wird, nie verlässt. Und dieser Tonarten-Raum hat eine sehr klare Form, wenn man das genauer untersucht.

Tristan ist, was die Orchesterbehandlung betrifft, symphonisch gedacht. Wagner selbst meinte zu Ludwig Schnorr, dem ersten Tristan, dass das Symphonische zwar vorherrsche, es aber – wenn es richtig gebracht wird – nicht als solches wahrgenommen werden wird. Sondern sich die Aufmerksamkeit ganz auf die Sängerinnen und Sänger lenkt.

PJ Natürlich, es ist ja eine Oper. Und diese lebt vom Gesang und dem Text im Gewebe mit dem Orchester. Das Atemberaubende ist freilich, dass Wagner beides schafft: das Symphonische und die Oper. Ließe man die Stimmen weg, könnte der Orchesterpart über weite Strecken alleine stehen. Wagner bedient beide Ebenen. Spannend finde ich, dass er in der Behandlung der Stimmen italienisch denkt. Natürlich, das Orchester ist sehr groß und die Partien unglaublich lang. Aber von der Linienführung her befinden wir uns erstaunlich nahe am Belcanto.

Hat sich das angesprochene Gewebe bei Tristan geändert? Gibt es einen Unterschied im orchestralen Ausdruck im Vergleich mit den Meistersingern?

PJ Die Meistersinger sind das Gegenteil von Tristan, wie zwei Seiten einer Medaille. Tristan ist das Nachtstück, Meistersinger das Tagstück, Tristan die Tragödie, Meistersinger die Komödie, Tristan die Harmonik und die Chromatik, Meistersinger der Kontrapunkt und viel Diatonik. Natürlich niemals absolut, auch Tristan ist kontrapunktisch, auch die Meistersinger sind harmonisch. Aber im Vordergrund stehen jeweils andere Aspekte.

Nun die Frage nach der Bezeichnung »Handlung«. Lässt sie sich musikalisch argumentieren?

PJ Es ist ja immer spannend, wie Wagner seine Stücke beschreibt. Von »Romantischer Oper« bis zu »Bühnenweihfestspiel«. Tristan hat eine Sonderposition, denn wie vorhin gesagt, bietet sie wenig äußeres Geschehen, stattdessen eine Auslotung der sich verändernden Seelenzustände. Es ist eben kein Musikdrama, es ist eben keine romantische Oper und auch kein Festspiel. Es ist eine Analyse der menschlichen Innenwelten. Und wenn man darauf achtet, wie genau Wagner die psychischen Vorgänge seiner Figuren in Musik gießt, wie fein er diese ausführt, dann ist das eben eine innere »Handlung«. Eine schöne Bezeichnung, finde ich.

Sagt man Wagner, denken viele an Leitmotivik. Diese kommt im Tristan zwar auch vor, ist aber weniger präsent.

PJ Spannend ist, dass es ebenso viele Leitmotive gibt wie im Ring. Nur ist Wagner im Ring sehr konkret, da gibt es »Speer-«, »Schwert-« und »Walhallmotiv«. Im Tristan geht es mehr um Begriffe wie »Leidensmotiv«, »Sehnsuchtsmotiv«, »Verhängnismotiv«, »Sühnetrankmotiv«, es steckt viel mehr Symbolik dahinter. Die Motive ähneln sich zum Teil, werden umgestellt, dadurch bekommen sie etwas Nebulöses, Atmosphärisches. Ich bin mir sicher, dass Wagner das genau so wollte: Das Unscharfe hervorheben, das Ungreifbare in den Vordergrund rücken.

Betrifft dieses Ungreifbare alle Figuren gleichermaßen? Gibt Wagner ihnen allen eine ähnliche Klangwelt?

PJ Man sieht, dass Wagner Tristan und Isolde eher der chromatischen Welt zuordnet, wohingegen er König Marke die Moll-Tonarten zuweist, Kurwenal in die Nähe eines kirchentonalen Feldes rückt und Brangäne diatonisch-harmonisches Material gibt, wenn auch mit chromatischen Färbungen. Das alles natürlich niemals absolut, aber durchaus als Tendenz wahrnehmbar.

Und gibt es auch eine Trennung der Orchester- und Bühnenorchester-Welten?

PJ Ja, der Bühnenorchester-Klang ist sehr klar. Das ist eine »normale« konventionelle Opernspra- che. Wenn es am Ende des 1. Aufzugs den Tag mit C-Dur betont, dann ist das einer der wenigen hellen Momente in der Oper. Auch die Hörner im 2. Aufzug, die klanglich die Jagdgesellschaft darstellen, gehören dem »Diesseits« an. Wagner trennt hier sehr deutlich.

Wagner meinte einst, den 3. Aufzug können man praktisch nur mit geschlossenen Augen oder scherzend begegnen.

PJ Der 3. Aufzug ist wie ein Psychokrimi, man dringt Schicht für Schicht tiefer ins Dunkel der Seele Tristans ein, in sein Unbewusstes. Das Fazit ist, dass all diese Todessehnsucht immer in ihm war, die tote Mutter, der tote Vater, die Überdeckung des Schmerzes durch die Suche nach Erfolg und Bestätigung. Und man begreift, dass die beiden vielleicht gar nicht lieben, sondern nur sterben wollen und endlich ihren Seelenpartner gefunden haben – und das führt sie in den Tod. Und das sind ja die beiden »letzten« Dinge: die Liebe und der Tod. Beide transzendieren uns, gehen über jede Ratio hinaus. Wagner arbeitet genau mit diesen beiden Begriffen. Kein Wunder, dass es uns bewegt.

Eine Tatort-Folge in den 1980er Jahren drehte sich darum, dass eine Dame tagaustagein nur den 2. Aufzug von Tristan und Isolde hört und dadurch in erotische Stimmung gerät. Hat der Tatort recht? Ist Tristan erotische Musik?

PJ Absolut! Es ist eine bestens zusammengesetzte Mixtur. Geradezu ein Giftschrank, den Wagner da öffnet. Unglaublich geschickt kalkuliert, sehr raffiniert dosiert, damit es wirkt. Da ist er ein echter Hexenmeister, der die richtigen Gifte kennt, die man nicht auf Rezept bekommt. Mich fasziniert immer wieder, wie genial er arbeitet. Ein Beispiel: Nachdem der Liebestrank genossen wurde, hört man im Orchester, wie der Trank langsam wirkt, wie er sich ausbreitet und die flirrenden Klänge, ja die ganze Atmosphäre des zweiten Aktes verweisen auf diese geradezu narkotische Wirkung. Wagner schafft da eine einzigartige, in den Bann ziehende Klangwelt, die mit allem aufgeladen ist, was Tristan und Isolde empfinden.

Und wie gehen Sie als Dirigent mit diesen Klängen um? Wie sich davor schützen?

PJ Grundsätzlich gibt es keinen Wagner-Abend, der nicht aufwühlte. Bei Tristan sind es freilich besonders viele Augenblicke, die einen berühren. Da muss man versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren und wie ein Kapitän auf See den Durchblick haben, sonst läuft das Schiff unweigerlich auf Grund oder landet in einem Felsenriff.