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© Lina Jushke

ASMIK GRIGORIAN

→ Asmik Grigorian singt die Titelpartie in Puccinis Manon Lescaut.

Manon Lescaut

Über Asmik Grigorian zu sprechen ist nicht einfach. Warum? Weil sie für mich eine der vielschichtigsten und komplexesten Künstlerinnen der Gegenwart ist – und das auf vielen Ebenen. Ich habe sie in vielen ihrer Rollen gehört – von der Chrysothemis bis zur Tatjana –, wobei sie in der letzten Zeit mit Richard Strauss, Richard Wagner und Alban Berg mehr und mehr auch ins deutsche Fach gegangen ist. Vielen ist ihre außerordentliche Salome bei den Salzburger Festspielen in besonderer Erinnerung geblieben, und gerade diese Rolle, in der ich sie nicht nur in Salzburg, sondern auch am Moskauer Bolschoi erleben durfte, ist ein gutes Beispiel für ihre große Flexibilität: Im Oktober 2021 sang sie hier an der Wiener Staatsoper zweimal Tatjana in Eugen Onegin und war nur drei Tage später in Moskau zu hören – eben als Salome. Allein daran sieht man, mit welcher Selbstverständlichkeit sie zwischen extrem weit voneinander entfernt liegenden Rollen wechseln und welch unterschiedliche Fächer sie in kürzester Zeit ausfüllen kann. Und mit welcher Intelligenz sie an diese enorm schwierige Strauss-Partie geht, wie klug sie ihr Material einsetzt und wie sie all die Herausforderungen meistert, bis hin zum fast 20minütigen Schlussgesang, der wirklich alles abfordert – das ist immer wieder aufs Neue beeindruckend! So mancher konnte sich eine Asmik Grigorian als Salome anfangs gar nicht vorstellen, weil man die Partie oft dramatischer im Kopf hat, sie aber hat ihren persönlichen Weg gewählt, mit profunder Technik und großer Klugheit. Und einem international für Furore sorgenden Resultat. 2010 sang sie in allen Teilen von Puccinis Trittico und zeigte damit eine verblüffende Bandbreite: von der leichten Lauretta in Gianni Schicchi über die lyrische Suor Angelica bis zur dramatischen Giorgetta in Il tabarro. Ein Musterbeispiel und Idealfall in einem. Denn es zeigt, wie bravourös eine Sängerin das gesamte Gesangs- und Emotionsspektrum beherrschen kann und wie unterschiedliche Charaktere sie an einem einzigen Abend darzustellen vermag. Es ist ja beim ähnlich gelagerten Fall, Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, oft so, dass wenn eine Sängerin alle vier Frauenrollen singt, sie entweder stärker zur Olympia oder zur Antonia neigt. Grigorian aber gelang es beim Trittico, ein Mittelmaß zu finden, das allen drei Figuren entsprach. Und Mittelmaß ist nicht im Sinne einer Abwertung gemeint, sondern im Sinne der perfekten Balance, einer idealen Kongruenz.

Und ich denke dabei nicht nur an das Stimmliche, sondern auch das Darstellerische. Asmik Grigorian erfüllt die Idealvorstellung einer Sängerschauspielerin, schafft also eine absolute Durchdringung der musikalischen und szenischen Gestaltung sowie eine Verknüpfung dieser beiden Aspekte. Ja, ich denke, sie fordert eine entsprechende Inszenierung sogar ein! Es geht ihr nämlich nicht nur um ein prima la musica, sondern um das Gesamtpaket. Und wenn sie – bildlich gesprochen – dafür auf dem Kopf stehend oder mit einer Rückwärtsrolle singen muss, sie macht es, solange es der Wahrhaftigkeit einer Rollengestaltung nützt. Ein Dmitri Tcherniakov oder ein Krzysztof Warlikowski sind daher perfekte Regisseure für sie, denn das Gefordert-Werden fördert wiederum ihre Entfaltungskraft. Um den Rahmen ein wenig abzustecken: Asmik ist eine grandiose Marie in Wozzeck, gleichzeitig, wie man an unserem Haus hören konnte, eine faszinierende Cio-Cio-San in Madama Butterfly, ich habe sie als grandiose Senta in Bayreuth gehört, als wunderbare Rusalka und und und. Sie ist risikofreudig, aber klug genug, kein Risiko um jeden Preis einzugehen: so singt sie nicht jede Partie, nur um sie gesungen zu haben. Sondern ausschließlich jene, die ihr entsprechen. Aber welche Rolle sie auch gestaltet, schneller als bei vielen anderen erkennt man nach wenigen Takten ihre Stimme, die so unverwechselbar wie aufregend ist. Und ihr Wesen ist in gleichem Maße von einer großen Selbstkritik wie von einer bemerkenswerten Bescheidenheit geprägt. Ein Letztes: Nicht nur die Breite ihres Repertoires, auch die Variationsdichte der Rollengestaltung ist verblüffend. Niemals erlebt man bei ihr zweimal exakt dieselbe Figur auf der Bühne, stets arbeitet sie weiter an einem Charakter, findet neue Blickwinkel, auch neue musikalische Aspekte. Gerade dieses ewige Weiterentwickeln und Verfeinern ist nicht nur ein Kennzeichen dieser großen Sängerin, sondern macht den Beruf – und das Opernerlebnis an sich – zu etwas Besonderem.