Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik
© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor
Arne Vandervelde, Ioanna Avraam, Marcos Menha, Alexey Popov in »24 Préludes« (Alexei Ratmansky)

Abstraktes Ballett voller Geschichten

Alexei Ratmanskys 24 Préludes eröffnen den dreiteiligen Ballettabend Begegnungen, der ab Sonntag, 21. Mai, wieder in der Volksoper zu sehen ist. Im Interview spricht der international renommierte Künstler über seine Choreographie.

24 Préludes ist eine Choreographie zur gleichnamigen Musik von Frédéric Chopin. Sie haben sich allerdings nicht für die Klavierversion, sondern für die Orchestrierung von Jean Françaix entschieden. Wie kam es dazu?

AR: In der Ballettwelt verbindet man Chopin immer mit Jerome Robbins. Zwischen diesen beiden Künstlern besteht eine intensive Verbindung und meiner Meinung nach ist Robbins der beste Interpret von neoklassischem Ballett zu Chopins Klaviermusik. Als ich Jean Françaix’ Orchestrierung von 1967 fand, hat sie mich sofort in eine andere Richtung geführt. Sie ist nicht »straight forward«, sondern erlaubt mir und den Tänzer:innen ein wenig über die Stränge zu schlagen. Viele Menschen mögen sie nicht, fühlen sich sogar von ihr angegriffen, aber ich empfinde sie als intelligent, witzig, theatral, zeitgemäß. Chopin ist sehr emotional, das kann ich mit der Orchestrierung unterstreichen, aber auch Kanten und zuweilen komische Momente addieren, die ich in der Musik höre. Die Reflektion der Überemotionalität des klassischen Balletts wird mit einer gewissen französischen Ironie verbunden – Chopins Romantizismus des 19. Jahrhunderts mit einer Interpretation aus dem 20. Jahrhundert. Diverse Schichten treffen so aufeinander.

Die Choreographie ist pure Bewegung, die auf die verschiedenen Stimmungen der Musik reagiert. Aber es gibt auch narrative Andeutungen, wenn beispielsweise ein Paar einen Streit auf der Bühne austrägt.

AR: Mir ging es nicht um das Installieren einer Handlung, sondern um verschiedene Situationen, in denen sich die Tänzer:innen wiederfinden. Die Grenze zwischen Erzählerischem und Abstraktem inspiriert mich sehr und ich war fasziniert davon, ein abstraktes Ballett voller Geschichten zu kreieren. Diese Hinweise oder Andeutungen einer Geschichte nutze ich als eine Farbe in einer abstrakten Palette. Es gibt keinen roten Faden, auch die Charaktere der Tänzer:innen verändern sich während des Stückes. Es geht um das Tragen von Maskierungen – voll von Emotionen und in verschiedenen Situationen –, welche die Tänzer:innen auf- und absetzen. So wie in den alten Theaterwelten der Commedia dell’arte oder des Kabuki Theaters war mir eine symbolische Interpretation einer bestimmten Emotion wichtig. Die Tänzer:innen agieren wie Jongleure, die sich zwischen den Masken bewegen und die ihnen die Möglichkeit geben, immer jemand anderes sein. Das choreographische Material ist tanztechnisch wie künstlerisch sehr anspruchsvoll. Es ist Schrittmaterial, das im Klassischen verankert ist, aber auch die Phrasierung ist sehr wichtig. Ich möchte, dass die Tänzer:innen sich wohlfühlen, zugleich birgt die Reise des Ensembles durch das Ballett sehr viele Herausforderungen und ich beobachte gerne, wie sich die Tänzer:innen mit ihnen auseinandersetzen. Es geht um Ausdauer, Koordination, eine emotionale Bandbreite.

Die klassische Balletttechnik ist die Basis Ihrer Werke. Sie befinden sich aber stets auf der Suche nach einem zeitgenössischen Zugang zu dieser. Wie erreichen sie diese moderne Sensibilität im Klassischen?

AR: Bis zu einem gewissen Grad reflektiere ich meine eigenen Bewegungsqualitäten aus den Erfahrungen meiner Zeit als aktiver Tänzer. Ich habe zum Beispiel einen lang gestreckten Rücken und diesen in meiner Körpersprache zu nutzen, interessiert mich sehr. Ich suche nach einer dreidimensionalen Qualität in den Tänzer:innen. Sie sollen den Raum um sich herum in Gänze spüren. Die Mischung von Schritten der Danse d’école mit einer modernen Koordination ist das Ziel meiner Arbeit – zum Beispiel muss ein:e Tänzer:in eine klassische Beinhaltung einnehmen, soll aber im Oberkörper modern, also frei beweglich sein. Manchmal ist es schwierig, dieses Gespür aus den Tänzer:innen herauszukitzeln. Wenn sie klassisch arbeiten, müssen sie sich an viele Regeln halten, aber ich möchte diese Regeln brechen.

Wie wichtig sind Ihnen die Tänzer:innen und der Dialog mit ihnen für den Kreationsprozess?

AR: Das Material eines Balletts wird ihr eigenes. Wir Choreographen können nur durch die Tänzer:innen sprechen. Mein Ziel ist es, sie zu inspirieren, sie für das Material zu interessieren und zu ermutigen, sich auch mit den Widerständen ihres Körpers auseinanderzusetzen. Wenn Tänzer:innen immer noch mit dem Material kämpfen, wenn das Publikum bereits im Saal sitzt, ist das nicht gut. Ich entwickle eine Idee zu einer Musik und im Probenprozess geht es darum, Lösungen zu finden. Manchmal gebe ich diese vor und manchmal finden die Tänzer:innen sie selbst. Es ist eine Bündelung aller Kräfte, ihrer und meiner.

Eine andere Welt, in der Sie sich bewegen, ist die Einstudierung klassischer russischer Handlungsballette des 19. Jahrhunderts, die auf der intensiven Recherche historischer Quellen beruhen. Ist die Arbeit an einer eigenen Choreographie für Sie die Möglichkeit, freier zu sein und das Klassische »loszulassen«?

AR: Diese Welt ist die andere Seite meiner Arbeit, aber beide sind miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Ich möchte niemals vom Klassischen weggehen. Ich benutze es, es erweitert mein Vokabular und mein Verständnis. Früher war die Beherrschung eines Kunsthandwerks ein intensiverer Prozess. Künstler:innen haben Jahre damit verbracht, etwas zu vollenden. Heute ist das nicht mehr so. Wir arbeiten sehr schnell, in drei bis vier Wochen kann ein Ballett entstehen. Es ist nicht mehr möglich, sich so viel Zeit für eine Kreation zu nehmen. Aber so können wir uns auch nicht um jedes Detail kümmern. Bei der Recherche der historischen Notationen entdecke ich dieses Künstlertum, was wir heute vermissen, wieder. Choreograph:innen genießen keine eigene Ausbildung, zwar gibt es Institutionen, in denen man Choreographie lernen kann, aber wie es für eine:n Maler:in der beste Weg zu Lernen ist, ins Museum zu gehen und ein Meisterwerk zu kopieren, so ist dies auch für Choreograph:innen die beste Ausbildung. Zumindest mir half das Studieren der historischen Originalstrukturen: Wie viele Minuten benötigt man für die Mise en Scène, wie viele Minuten für den puren Tanz, was ist die perfekte Balance?

Das vollständige Interview finden Sie im Programmheft Begegnungen. Das Gespräch führte Nastasja Fischer.

Weitere Infos & Karten