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© Marco Borggreve

Zwischen Pflicht und Liebe

Als blutjunge Anfängerin im ersten Engagement im Schillertheater NRW, bekam ich eine sehr kurzfristige Aufgabe, nämlich die „Stimme von oben“ für die Neuproduktion von Verdis Don Carlo.

Ich hatte Don Carlo noch nie gehört, hatte gleich die Generalprobe zu singen und keine Ahnung wie die Musik um meinen (kurzen, aber wunderschönen) Einsatz herum klingen würde. Wahrscheinlich kennt jeder von Ihnen dieses Werk und wundert sich, dass eine professionell ausgebildete Sängerin so offensichtlich ahnungslos war bezüglich eines der größten Werke eines der größten Komponisten jemals!
Das kann ich relativ leicht beantworten: Ich hatte mir während meines Studiums zur Aufgabe gemacht, mich vorerst nur mit den Opern zu beschäftigen, die in absehbarer Zeit auf mich zukommen könnten... und das war definitiv nicht Don Carlo... Zu erklären ist diese Entscheidung mit meiner Begeisterungsfähigkeit für gute Musik, die mich durchaus dazu verführte, manchmal Rollen zu üben, für die ich (noch) nicht reif genug war, oder sagen wir: die mit einem fundierteren Ausbildungs- stand einfacher werden würden... Und es gab genug begeisternde, aber passendere Aufgaben zu jener Zeit ...
Zurück zur „Stimme von oben“: Ich lernte also diese wunderschönen Phrasen in aller Eile und erfuhr, dass ich in dieser Inszenierung auf der Bühne sichtbar inmitten des Chores positioniert war, das heißt auswendig singen musste. Ich hatte mir das Motiv unmittelbar vor meinem Einsatz gemerkt und der Dirigent versicherte, mir ein deutlich sichtbares Zeichen zu geben, wenn ich loslegen sollte... Es konnte also nicht viel schiefgehen.
Doch, auweia, besagtes Motiv wird im Autodafé gefühlt unzählige Male wiederholt und die „Stimme von oben“ kommt erst kurz vor Schluss. Ich war also das gesamte Autodafé lang in unerträglicher Hochspannung! Als es endlich soweit war, hatte ich das Gefühl, einen 2000m-Lauf absolviert zu haben. So war das Autodafé und die damit verbundene Möglichkeit die Kollegen währenddessen zu beobachten im Grunde der Auslöser, dass ich mich in die Rolle der Elisabetta verliebt habe! Tatsächlich studierte ich die Rolle einige Zeit später dann für die Eröffnungspremiere des neu erbauten Opern- hauses in Oslo.
Im Autodafé hatte ich das Gefühl eines aufgespannten Netzes gespürt zwischen Macht und Unterdrückung, Liebe und Hass, Himmel und Hölle, Stärke und Schwäche, Leben und Tod, während die Figuren irgendwo in diesem Netz hängen, herumstrampeln oder eben stillhalten.
Von dort aus breitete ich mich quasi aus an den Anfang und ans Ende der Rolle, hin zur glücklich unbeschwerten hoffnungsvollen Zeit in Fontainebleau und zur Unausweichlichkeit des Endes am steinernen Grabmahl Karls V.
Elisabettas große Arie im 4. bzw. 5. Akt ist so einzigartig komponiert, dass sie diese Extreme verdeutlicht wie kaum ein anderes Stück. Diese extreme Amplitude mit den großen Intervallsprüngen erfordert auch rein sängerisch einen nach allen Seiten aufgespannten und dennoch in sich flexiblen Körper, quasi, als würde man sich nach allen Seiten an den nicht zu erweichenden harten Marmor des Grabes anlehnen, damit man sich innerlich weiten kann. Was mich immer wieder fasziniert, ist Elisabettas Gespür für Pflicht im politischen Kontext und die ihr von Verdi zugedachte reine Liebe zu Carlos. Ihre Stärke als Frau und ihre Schwäche als Liebende. Das blühende junge Wesen und die in sich selbst jede Leidenschaft ersticken müssende Königin. Von den verschiedenen Fassungen bevorzuge ich die 5-aktige italienische Version. Denn im Fontainebleau-Akt kann man eine Unbeschwertheit zeigen, dadurch die verschiedenen Welten, die Elisabetta erlebt. Auch wenn die ursprüngliche Fassung in französischer Sprache war, spüre ich, wie sehr die italienische der Kompositionsweise Verdis entspricht.

Mein Rollenverständnis würde sich im französischen wandeln zu einem weicheren Charakter, abgesehen von der unterschiedlichen Stimmbehandlung. Zudem stelle ich es mir entsetzlich vor, Gefahr zu laufen, versehentlich von einer Sprache in die andere zu wechseln. Letztlich mag ich mich in Aufführungen gerne einfach fallen lassen, so entstehen künstlerisch die allerschönsten Momente!


Giuseppe Verdi | Don Carlo 
6., 9., 12. September 2019

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