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© Berthold Fabricius

Was Prokofjew uns sagen wollte

Wenn Sie an ein Werk wie den Spieler herantreten: Machen Sie sich in der Vorbereitung zunächst von Ihrem bestehenden Prokofjew-Bild frei, um möglichst unbefangen zu sein, oder bauen Sie bewusst auf das auf, was Sie sich schon erworben haben?

Simone Young: Ganz frei machen möchte ich mich von meinen Erfahrungen nicht, denn Prokofjew hat eine ganz eigene, sehr persönliche Musiksprache, mit der ich mich im Laufe meines Lebens immer wieder intensiv auseinandergesetzt habe. So habe ich sehr viele seiner Werke am Konzertpodium geleitet und auch sein Ballettrepertoire dirigiert: dieses Wissen möchte ich natürlich gerne in meine Arbeit am Spieler einbringen.

Können Sie sich noch an Ihre erste Spieler-Begegnung erinnern?

Simone Young: Ja, das war eine Berliner Produktion, die Daniel Barenboim geleitet hat. Mich hat das Werk sehr fasziniert – und ich finde es sehr amüsant, dass sich auch Karoline Gruber in dieser Berliner Spieler-Produktion in das Stück verliebt hat …

Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich besonders genau mit dem Text einer Oper auseinandersetzen. Im Falle des Spielers ist der Text auf Russisch.

Simone Young: Ganz allgemein interessieren mich jene Opern sehr, in denen der Komponist entweder den Text selber verfasst oder aber in der einen oder anderen Weise mitgestaltet hat. Natürlich: Wagner. Aber auch Pfitzner mit Palestrina oder Hindemith mit Mathis der Maler. Und natürlich Verdi, der zwar seine Libretti nicht selbst verfasst hat, aber sehr intensiv mit den Librettisten arbeitete und ganz konkrete Vorstellungen vom Text und von der Handlung hatte. Doch abgesehen von diesen Fällen: Der Text ist natürlich immer von ganz großer Bedeutung, denn er hat die musikalischen Gedanken und Ideen der Komponisten ausgelöst. Er stand am Anfang. Daher gehört das exakte Textstudium einfach zur Arbeit dazu. Und dass der Text auf Russisch ist, macht es zwar nicht einfacher, ist aber kein grundsätzliches Problem. Denn ich lerne seit Jahren Russisch: Ich habe eine Lehrerin, die ich zweimal in der Woche treffe und übe daneben täglich mit einem Programm am Computer. Ich würde nicht sagen, dass ich perfekt Russisch spreche, aber ich kann mich ausdrücken und verstehe alles. Das ist als Operndirigentin bei russischen Werken eine Grundbedingung für mich!

So wie wahrscheinlich auch die Auseinandersetzung mit Dostojewski …

Simone Young: Natürlich! Wobei es da nicht nur um den offensichtlichen Inhalt, sondern auch um darunterliegende Ebenen geht. Mit meiner Lehrerin erarbeite ich mir genau, was die einzelnen Begriffe und Redewendungen in Dostojewskis Zeit bedeutet haben, welche sprachlichen Farben er eingebracht hat. Das ist sehr aufwändig und zeitintensiv – aber sehr faszinierend. Das macht meinen Beruf ja auch spannend!

Prokofjew war von seinen Interessen und seiner Persönlichkeit her sehr an Mathematik, an Katalogisierungen und Systematisierungen interessiert. Ist das ein Aspekt seines Wesens, der sich auch in der Partitur niederschlägt?

Simone Young: Was die großen Formen betrifft, so ist der Spieler ein ungemein faszinierendes Werk! Prokofjew strukturiert sehr gut und sehr genau: da gibt es zunächst die ganz großen Formen und Blöcke, die großen Linien, die sich über Szenen und Akte ziehen. Aber innerhalb der einzelnen Szenen kann er sehr kleinteilig werden. Ich würde diese Feinstruktur ein logistisches Puzzle nennen, man findet kaum eine Phrase, die länger als acht Takte ist und alle paar Takte kommt ein Tempo- oder Taktwechsel. Das Orchester hat laufend kurze Motive oder motorische Elemente, die für jeweils eine spezielle emotionale Situation oder für einen bestimmten Charakter eine Bedeutung haben. Diese Situation birgt natürlich immer ein wenig die Gefahr in sich, dass die einzelnen Szenen zerstückelt oder episodisch wirken. Prokofjew hat einen fantastischen Orchestersatz geschrieben, der aber die Herausforderung in sich trägt, aus einer Kette von einzelnen Elementen eine Linie, eine Szene zu bauen. Für das Orchester, für die Sänger – und nicht zuletzt für den Dirigenten – ist die Sache daher sehr, sehr anspruchsvoll.

Es gibt in der Oper keine großen Arien …

Simone Young: … der längste Monolog dauert dreieinhalb bis vier Minuten. Es ist ein Konversationsstück, mit vielen raschen Wendungen. Prokofjew hat mit der überlieferten Arientradition gebrochen.

Fehlt Ihnen inmitten dieses Konversationsstücks nicht dann und wann eine abgeschlossene, traditionelle Form wie eine Arie?

Simone Young: Ich dirigiere so viele unterschiedliche Opern, da kann ich mich an anderen Abenden in den Arien ausbaden. Beim Spieler vermisse ich nichts!

Sie sagten, dass das Orchester einzelne thematische oder motorische Elemente in Verbindung mit bestimmten Figuren oder Situationen spielt. Kann man – in einem sehr weiten Sinne – von einer Art Leitmotivik sprechen?

Simone Young: Wenn man den Begriff sehr weit fasst, dann ja. Es gibt einige Figuren, die man – mehr oder weniger – einer Person zuordnen kann: vor allem bei Alexej ist das der Fall. Zum Beispiel gibt es ein Liebesthema, das allerdings nur 16 Takte lang ist und dann gleich wieder verschwindet. Oder auch eine Art „Nervositätsthematik“. Und so weiter. Das sind jedoch nur kleine musikalische Wegweiser durch das Stück. Aber: Viele Figuren werden durch die Musik beschrieben und definiert: Der Marquis ist schnell, hat viel Text, dessen echte Bedeutung gut verhüllt wird. Der General ist bombastisch, laut, pedantisch – es ist aber alles nur Show. Und Blanche ist eine Art Soubrette.

Und Polina?

Simone Young: Polina ist jene Figur, die ich am interessantesten finde. Bei den Proben reden wir viel über ihren Charakter, weil er so schwer zu beschreiben und zu erfassen ist. Das ist schon bei Dostojewski so: Alexej sagt immer wieder, dass er sie einfach nicht versteht und sie nicht begreifen kann. Und ich habe den leisen Verdacht, dass auch Prokofjew sie nie so ganz verstanden hat. Das ist das Faszinierende an ihr! Sie verbreitet eine Aura des Mysteriums und man hat immer das Gefühl, dass man nicht ganz an sie herankommt. Das zeigt Prokofjew an ihren musikalischen Figuren: Bis auf ganz wenige Ausnahmen steigt sie immer mit einem eigenen, neuen Tempo ein, übernimmt keine musikalischen Phrasen, sondern gibt immer eine neue Stimmung vor. Und ihre Musik ist immer um zehn Prozent emotionaler, als es der Text voraussetzen würde. Ich denke, Prokofjew wollte uns damit sagen, dass Polina in einer emotional überdrehten Empfindung lebt – und das praktisch die ganze Zeit.

Also eine sehr ungewöhnliche Frauenfigur.

Simone Young: Sie ist keine Heldin, keine Märtyrerin, sie liebt und sie leidet, sie steuert und wird gesteuert. Manche ihrer Phrasen sind von einer atemberaubenden Schönheit, drei, vier Takte – und dann sind sie wieder weg. Das sind Momente, die im Stück eine lyrische Schönheit durchblitzen lassen.

Denken Sie sich bei solchen Momenten nicht: Verweile Augenblick, du bist schön …

Simone Young: Doch, natürlich! Ich muss mich fragen: Wie bringe ich diese Momente zu einer Aussage, wenn sie nur so kurz sind? Ich werde in solchen Situationen immer auf die Farben von Oboe, Flöte und Klarinette setzen, also Instrumente, die mit Polina mitsingen und eine gewisse Wärme verbreiten.

Liest man in Prokofjews persönlichen Aufzeichnungen, so schien er beim Spieler auf zwei Dinge besonders stolz zu sein: Auf die Transparenz in der Orchesterbehandlung und das „gänzlich Neue“ – wie er es nennt – in dem ganzen Stück.

Simone Young: Sagen wir es so: Zu jener Zeit, als er den Spieler schrieb, war vieles an dieser Oper neu. Als die Oper uraufgeführt wurde – und das war ja deutlich später – war manches nicht mehr ganz so ungewöhnlich. Aber selbst als er am Spieler schrieb, existierten schon Pelléas et Mélisande und Ariadne auf Naxos. Wobei sich immer die Frage stellt, ob und wie genau er diese Werke kannte. All diese kammermusikalisch wirkenden Opern waren ohne Zweifel Einzelfälle in der damaligen Zeit ... Ich für meinen Teil denke ja, dass die französische Schule durchaus eine Wirkung auf Prokofjew hatte. Die Mischung der Instrumentenfarben – Harfe, Klavier, Flöte, Bassklarinette und Kontrabässe zum Beispiel: das ist schon sehr französisch!

Und wie „russisch“ ist das Ganze?

Simone Young: Das Stück ist allein schon durch die Dostojewski-Vorlage sehr russisch. Es ist eine wunderbare und sehr genaue Milieu- und Menschenstudie – eben aus einem russischen Blickwinkel heraus.

Und die Musik? Steht sie in einer entsprechenden Kompositionstradition?

Simone Young: Ich würde einmal sagen: sie steht in Prokofjews eigener Tradition. Der Spieler ist eindeutig seine hochpersönliche Musiksprache. Aber ob er wirklich von den russischen Komponisten des 19. Jahrhunderts beeinflusst wurde ist schwer zu sagen. Natürlich war ihm Tschaikowski vertraut, dessen Pique Dame ist, allein schon aufgrund der Thematik, mit dem Spieler verwandt. Wobei Tschaikowski ohne Frage eine ganz andere Welt ist: Seine Opern sind noch deutlich in Nummern gegliedert, selbst wenn mitunter Konversationsteile vorkommen. Prokofjew hingegen brach – wie schon erwähnt – aus diesen traditionellen Formen aus.

Lässt sich sein Stil, das gerade genannte „Prokofjewhafte“ definieren?

Simone Young: Ich würde sagen: Dieses kräftig Auftretende, diese motorische, vorwärtsdrängende Energie. Und dann die kurzen, herrlichen, lyrischen Phrasen, bei denen man vor Schönheit geradezu geblendet wird. Bestimmte Instrumentenkopplungen, die für einen besonders warmen, aber auch transparenten Klang sorgen: etwa der Zusammenklang von Violinen, Klarinetten, Solo Horn und Bratsche.

Und gibt es einen Moment, der ganz spezifisch für den Spieler ist?

Simone Young: Das ist schwierig, weil die Charaktere sehr unterschiedlich sind. Aber wenn man nach dem Charakteristischen sucht, dann würde ich sagen: das Liebesthema. Ein wunderschönes Motiv, das eine intensive Sehnsucht ausdrückt. In dem Stück sehnen sich ja alle nach etwas… eigentlich gibt es keinen einzigen, der mit seiner Situation zufrieden wäre. Vielleicht am ehesten der Marquis. Aber die anderen suchen alle etwas und findet es nicht. Am Ende gehen sie weg und es fehlt etwas, was sie zu finden gehofft hatten. Das war es, was uns Prokofjew vielleicht sagen wollte. Es geht um die Sehnsucht …

Der Spieler ist kein bekanntes Werk. Wenn jemand fragte, warum er in die Vorstellung kommen soll…

Simone Young: … wer in Wien kennt das Ballett Romeo und Julia nicht? Und wer diese Musik mag, soll in den Spieler kommen! (lacht) Nein, im Ernst: Es ist eine wunderbare Musik, eine fantastische Geschichte, eine kluge Inszenierung. Und wir haben großartige Sänger. Linda Watson ist dem Wiener Publikum gut bekannt, Misha Didyk ist der beste Alexej auf der Welt: Er kennt jedes noch so kleine Detail – und ist dennoch offen für Neues. Elena Guseva: Eine wunderbare junge Sängerin, die perfekt für die Polina ist: sie hat eine geheimnisvolle Aura, bleibt aber dennoch ganz natürlich. Sie ist einfach die Polina. Dazu das herrliche Ensemble der Staatsoper in vielen mittleren und kleineren Rollen – es ist einfach eine Freude, hier an diesem Spieler zu arbeiten.

Oliver Láng


Der Spieler | Sergej Prokofjew
Premiere: 4. Oktober 2017
Reprisen: 7., 10., 14., 17., 20. Oktober 2017
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Werkeinführungen: jeweils eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Gustav Mahler-Saal