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Was ist ein "echter italienischer Tenor"?

Tenöre gibt es viele. Und Stimmfächer auch. Hier deutsches, dort russisches, hier dramatisches dort lyrisches. Und es gibt den italienischen Tenor – den ganz besonders! Denn schmelzreicher Tenorklang, üppige Melodik und eine gewisse Italianità machen für viele das „typische“ (Klischee)-Tenorbild aus.

Aber ist es wirklich so einfach? Kann man ihn wirklich benennen und festschreiben, den „italienischen Tenor“? Der ehemalige Sängeragent und bekannte Stimmkenner Erich Seitter erläutert im Gespräch mit Andreas Láng und Oliver Láng, was es mit dem Mythos „italienischer Tenor“ auf sich hat.

Man schließt die Augen, hört ein paar Töne und sagt dann: Ganz klar, ein italienischer Tenor! Ist das so einfach? Kann man das so klar abgrenzen?

Erich Seitter: Ja, das geht, vorausgesetzt natürlich, man hat einen gewissen Erfahrungsschatz, auf den man zurückgreifen kann. Es lässt sich – zunächst einmal ganz grob – feststellen: Es existieren Idealbilder eines italienischen, eines deutschen, eines französischen, eines russischen Tenors. Verdi, und damit sind wir im Zentrum der italienischen Oper, hatte beim Komponieren sicherlich bestimmte Sänger im Hinterkopf, einen bestimmten Ton im Ohr. Und für diese Stimmen hat er seine Partien konzipiert, komponiert. Dieser Klang wurde dann über Generationen weitergepflegt – und wurde zur Tradition.

Wenn man Sie nun fragt: Welchen Klang haben Sie im Ohr, wenn Sie an einen „typischen“ italienischen Tenor der Vergangenheit denken? Dann antworten Sie …

Erich Seitter: … Giuseppe Di Stefano und Franco Corelli. Natürlich gibt es viele mehr, aber diese sind für mich italienische Tenöre par excellence. Der eine, Di Stefano, war lyrisch, romantisch, später ein bisschen jugendlich dramatisch, und Corelli war der zentrale heroische italienische Tenor

mit dem sinnlichen Glanz, dem Vollklang, den offenen Vokalen und mit einer lockeren Inbrunst. Und natürlich Pavarotti! Auch mit diesen offenen,

sehr vom Kopfklang gesteuerten Klängen. Pavarotti und Corelli haben übrigens das deutsche Repertoire nicht angefasst. Sie wussten, dass sie

das nicht bedienen konnten. Es ist eben etwas anderes.

Aber was ist dieses Italienische? Ist es eine Sache der Technik?

Erich Seitter: Das beginnt schon, wenn man genau hinhört, mit der Sprache. Vereinfacht ausgedrückt: Russische Sänger singen zum Beispiel eher vom Kehlkopf, die italienischen frei strahlend. Das kommt von der Sprache, im Italienischen von den offenen Vokalen und den Assimilationen. Natürlich gibt es dafür eine aus langer Tradition herführende Gesangstechnik.

Wie langlebig ist eine italienische Stimme mit entsprechend guter Technik?

Erich Seitter: Sie ist langlebig, solange der Sänger seine Grenzen einhält. Man muss – wie überall – im Rahmen seiner Möglichkeiten bleiben. Ich würde sagen: Man kann eine Grenzpartie haben, aber diese dann nur gelegentlich, mit Bedacht singen. In der Realität des Opernbetriebs ist es allerdings so, dass genau diese dann überall verlangt wird. Das andere scheint nicht mehr so interessant.

Ein kluger italienischer Tenor: Was darf er singen, was muss er weglassen? Verdi, Puccini ... wo sind die Grenzen?

Erich Seitter: Wenn er ein richtiger Verdi-Tenor ist, dann kann er, wenn er sein Repertoire beherrscht, so viel, dass er auch anderes singen kann. Also auch Puccini, etwa einen Pinkerton, einen Rodolfo (wenn er das c hat). Damit tut er sich nicht weh. Wenn einer Radames singt, dann geht auch Calaf. Er muss allerdings beim Verismo womöglich ein wenig aufpassen.

Was geht gar nicht?

Erich Seitter: Eine Grenzfrage ist eine Partie wie der Otello. Nicht nur der erste, stimmlich intensive Auftritt, sondern etwa auch das Schwurduett

– da kann sich einer, der keine sichere Technik und stabile Stimme hat, schaden.

Was sind die ersten Anzeichen dieses Schadens?

Erich Seitter: Nun, zuerst nützt sich die Höhe ab, und es braucht mehr Druck und Kraft, auf sie zurückzugreifen. Und das schadet der Stimme natürlich noch mehr.

Worin liegen nun die Unterschiede zwischen einem Verdi- und einem Puccini-Tenor? Beide sind italienisch.

Erich Seitter: Das ist eine sehr diffizile Frage. Die Partien des Verdi-Tenors liegen meistens in der hohen Mittellage, das heißt im hohen Passaggio zwischen es und as, das ergibt dann auch die berühmten Verdi-Kantilenen, die sehr breit gesungen werden müssen. Der Puccini-Tenor liegt in der Tessitura ein wenig darunter, braucht aber extreme Spitzentöne. Riccardo im Maskenball ist für das Verdi-Tenorfach ein gutes Beispiel. Oder Radames:

hohe Mittellage, mit Kopfregister. Oder Alfredo. Duca liegt hingegen schon ein bisschen höher, ist aber auch das erste, was die Sänger im Laufe ihrer Karriere nicht mehr singen wollen. Übrigens müssen Verdi-Tenöre ein gutes Durchhaltevermögen haben. Otello wiederum ist die Ausnahme, da hat sich Verdi am deutschen Fach orientiert.

Aber es gibt vor Verdi ja noch eine ganz andere Form des italienischen Tenors …

Erich Seitter: Ja, und es gibt heute einen ganz herausragenden Vertreter dieses Bereichs: Juan Diego Flórez. L’elisir d’amore, Sonnambula, Regimentstochter, Cenerentola, Italiana in Algeri, also all die Rossini-, Bellini-, Donizetti-Opern. Das muss sehr schlank, sehr kopfig gesungen werden. Tenöre die dieses Fach beherrschen, haben meist eine lange Karriere, denn ihre Stimme sitzt von Natur aus sehr hoch. Sie kommen also „von oben.“ Gefährdeter sind ganz allgemein die ehemaligen Baritone im italienischen Tenorfach, die sich die Höhe erarbeiten müssen.

Wieweit zählen manche Opern von Mozart zum italienischen Fach? Ist ein Don Ottavio etwas für einen italienischen Tenor?

Erich Seitter: Da ist eine Tradition nicht weitergeführt worden. Italienische Tenöre, wenn sie richtig geführt werden, sind für die passenden Mozart-Opern großartig. Bis in die 50er-Jahre hatte Mozart bei vielen Sängern in Italien allerdings einen Stellenwert wie Cimarosa oder Pergolesi. Riccardo Muti und Claudio Abbado haben sich da beachtliche Verdienste in der Mozart-Pflege erworben. Manche großen Tenöre des italienischen Fachs haben Mozart gesungen: Pavarotti etwa den Titus und Idamante, oder auch Luigi Alva. Diese Partien passen ja auch für solche Stimmen sehr gut, nur wird das in Italien im Allgemeinen als weniger attraktiv angesehen.

Aber der deutsche Tamino ist dann doch etwas anderes als ein Ottavio?

Erich Seitter: Ja, Tamino ist wie Belmonte, also eine Weiterführung vom ursprünglich deutschen Singspiel zur großen deutschen Volksoper.

Wo aber liegt gesanglich der Unterschied: „Bildnisarie“ gegen „Il mio tesoro“?

Erich Seitter: Tamino ist gesetzter und man darf die Töne nicht schleifen. Bei „Dies Bildnis ist bezaubernd schön …“ darf es kein Portamento geben. Hingegen: „Il mio tesoro“, da braucht es ein wenig Portamento. Und die „Bildnisarie“ ist „trockener“, was mit der Sprache zu tun hat. Mit anderen Worten: Stilistisch anders, aber sicherlich stimmcharaktermäßig ähnlich.

Sie sprachen von der (italienischen) Portamento-Technik: Wieweit ist das eine technische Frage?

Erich Seitter: Ich glaube, dass das Portamento, also das Verbinden zweier oder mehrerer Töne, auch mit dem Atem zu tun hat, insofern ist es eine Frage der Technik. Aber es reicht über die Technik hinaus und betrifft den Stil. Die Callas etwa hatte anfangs damit ihre Schwierigkeiten, sie musste „Nachhilfe“ bei Tullio Serafin nehmen. Portamento ist ja nicht nur ein Verbindungsbogen, sondern eine Sache der Gestaltung.

Es gibt aber auch universelle Tenöre, wie etwa Plácido Domingo, die viele unterschiedliche Fächer singen. Wie sieht da die Entwicklung aus? Wie streng ist die Einteilung „italienisch“, „deutsch“ etc. heute, wie war es früher?

Erich Seitter: In den 60er- und 70er-Jahren hat man für die italienische Stagione die italienischen und südamerikanischen Sänger geholt, für das deutsche Fach die Windgassens und so weiter. Danach kamen die universellen: Jon Vickers etwa, der sehr vieles gesungen hat, Domingo natürlich und heute, einmalig, der großartige Jonas Kaufmann, der nicht nur Siegmund und Florestan singt, sondern auch ein vollblütiger Latin-Lover-Tenor ist, mit Fanciulla, Carlos, Tosca, Forza. Der Universellste war übrigens Nicolai Gedda. Vom Vokalen, Technischen und Stilistischen her: unvergleichlich. Sogar Operette konnte er singen – und das auch noch gut! Ganz streng wurden die Fächer aber nie genommen, es handelt sich eher um Tendenzen. Und im Grunde ist es immer auch eine Frage von Angebot und Nachfrage.