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© Uwe Hauth

Von Lohengrin zu Meistersinger in zehn Minuten

Im vergangenen Juni fand die Premiere von Carl Maria von Webers an der Wiener Staatsoper seit langem vom Spielplan absenten Freischütz statt. Im September steht diese wichtige romantische Oper wieder am Spielplan. Der Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, Sebastian Weigle, der an der Wiener Staatsoper zuletzt Lohengrin leitete, übernimmt die neue Vorstellungsserie.

Herr Maestro Weigle, dieses Interview findet am Tag einer von Ihnen dirigierten Lohengrin- Vorstellung statt. Die meisten Sänger geben – naheliegender Weise, um die Stimme zu schonen – an Aufführungstagen nicht besonders gerne Interviews. Sie nehmen das eher locker. Wie schaut denn ein gewöhnlicher Vorstellungstag für Sie aus?

Sebastian Weigle: Das ist immer unterschiedlich. Wenn ich in Frankfurt, wo ich als GMD an der Oper arbeite, dirigiere, gibt es manchmal sogar an Premierentagen Proben – von einem vollkommen anderen Stück. Das mag – zugegebenermaßen – Geschmackssache sein, aber mich persönlich stört das nicht. Hauptsache, ich habe am Nachmittag des Vorstellungstags einen ruhigen Moment. Ich würde auch ganz salopp sagen: Wenn Sie mir heute vor der Vorstellung zehn Minuten geben und Sie tauschen Lohengrin gegen Meistersinger: ich werde nicht in Ohnmacht fallen. Das geht natürlich nur mit einem Stück, das in meinem Repertoire ist und ich muss es wirklich gut kennen und die Partitur gleich zur Hand haben. Aber wenn das so ist, dann wäre ein rascher Stücktausch für mich halb so schlimm.

Aus der Antwort höre ich heraus, dass Sie kein besonders nervöser Dirigent sind.

Sebastian Weigle: Mit Nervosität habe ich zum Glück gar nicht zu kämpfen.

Überhaupt nicht?

Sebastian Weigle: Überhaupt nicht. Es kribbelt ein bisschen, ich sage mal: eine freudige Erregung. Zum Beispiel heute: Ich freue mich einfach auf dieses fantastische Orchester! Die Musiker hören wahnsinnig gut zu und haben eine große Freude an der Sache. Das macht meine Vorfreude wiederum noch größer. Bei Sängern ist es natürlich anders, die müssen ihre Stimme schonen und wenn sie im Gespräch ein bisschen emotionale Themen anschneiden, dann ist die Stimme bereits „benutzt“. Und die soll ja möglichst frisch sein.

Was passiert in diesen angesprochenen zehn Minuten, oder sagen wir: in dieser Viertelstunde. Sie erfahren: Heute nicht Lohengrin, sondern Meistersinger. Sie haben die Partitur. Was machen Sie genau?

Sebastian Weigle: Ich würde aus der Rekapitulation heraus – da war diese schwierige Stelle, da dieser Übergang – kurz in die Partitur reinschauen und mich orientieren. Aber das ist es auch schon. Und dann einfach machen, musizieren. Wenn die Musiker das Stück beherrschen und der Dirigent auch, dann kann sogar ohne Probe Immenses passieren. Wenn man von einander etwas erwartet und fordert, dann entspringt daraus auch ein enormer Spaß.

Der Spaß am Spontanen.

Sebastian Weigle: Und daran, dass es jedesmal ein bisschen anders klingt. Das ist das Schöne an dem Beruf, dieses Immer-anders-Sein. Ist ja viel schöner, als einfach eine CD einlegen, die klingt Montagabend genauso wie Sonntagfrüh. Live musizieren zu können ist ein großes Geschenk.

Diesen September dirigieren Sie den Freischütz. Muss man sich als deutscher Dirigent an diesem von Richard Wagner so titulierten Nationalstück abarbeiten? Oder ist der Freischütz eine Oper wie jede andere? Ich habe den Eindruck, dass vielen deutschen Musikern dieses Werk besonders am Herzen liegt.

Sebastian Weigle: Grundsätzlich nehme ich jedes Werk, das ich dirigiere, sehr ernst, selbstverständlich auch die Werke der deutschen Romantik und daher auch den Freischütz. Ich gehe mit dem Stück aber genauso um wie mit anderen Stücken. Also: Ich schaue mir den Text an und analysiere, wie er in der Musik verarbeitet wurde. Es stellen sich Fragen: Was trägt dazu bei, eine spezielle Atmosphäre für diese Arie oder jenes Vorspiel zu schaffen? Dann versuche ich, in die Gedankenwelt von Carl Maria von Weber einzutauchen. Auf dem Weg nach Dresden habe ich in Pillnitz, wo Weber lebte, gerne ein wenig Halt gemacht, um gewissermaßen direkt am Ort des Geschehens zu sein. Diese Luft zu riechen, möglichst nach einem Regen, das macht etwas mit einem. Man kann das Wohnhaus von Weber besuchen: ich gucke zwar nicht hoch, wie zu einem Schrein, aber ich denke mir schon: Was für ein Künstler und Komponist, was für Ideen hatte er! Vieles davon ist fast schon beethovenesk!

Ist Beethoven Ihr Ausgangspunkt bei der Weber- Interpretation?

Sebastian Weigle: Zumindest kann man manche Passagen so angehen. Aber das dann doch wieder aufweichen, weil der Freischütz ungeheuer romantisch ist. Man darf sich da die Freiheit nehmen und soll sie sich auch nehmen, zwischendurch die Musik fließen zu lassen, dem Tonfall und der romantischen Sprache zu folgen.

Und Wagner ist der Endpunkt? Darf Wagner durchklingen?

Sebastian Weigle: In unserer heutigen Sicht haben wir das Recht, auch die späteren Entwicklungen – wir wissen ja, wie es musikalisch weitergegangen ist – einzubringen. Dieses Wissen um die späteren Entwicklungen macht die Sache ja farbiger und spannender. Warum soll ein Weber nicht schon zu Wagner gucken?

Sie sprachen von der musikalischen Romantik. Was ist dieses Romantische? Die Freiheiten, die man sich nehmen kann?

Sebastian Weigle: Man ist in der Interpretation freier und die Klangzusammensetzung ist ein bisschen anders als etwa bei Beethoven. Es gibt zum Beispiel viel mehr die Einmischung von Klarinetten, die neben den Hörnern offenbar ein Lieblingsinstrument von Weber waren.

Die Hörner sind beim Freischütz enorm wichtig. Das muss Ihnen, als ehemaliger Hornist, sehr zusagen?

Sebastian Weigle: In dieser Oper passiert im Horn tatsächlich sehr viel! Gerade wenn es um Naturschilderungen geht, dann – und das geht bis zum amerikanischen Film – ist ein Horn ja nie wegzudenken. Es hat einen so romantischen, weichen, schwebenden Klang, es ist dynamisch so vielschichtig einsetzbar, es fügt sich in einen Holzbläsersatz ebenso ein wie in einen Blechbläsersatz. Ich liebe das Horn und habe es 15 Jahre professionell gespielt – und natürlich auch diese Oper sehr oft. Auch daher schätze ich den Freischütz, Sie haben recht.

Nun kennen Sie den Freischütz aus der Musikerperspektive wie auch aus jener des Dirigenten. Ist da bei einer neuen Aufführungsserie noch Unerwartetes zu finden?

Sebastian Weigle: Jedesmal, wenn ich die Partitur aufschlage, entdecke ich neue Aspekte, stoße auf Stellen, die mir auf diese Art noch nicht aufgefallen sind. Das ist ja gerade das Schöne an meinem Beruf, dass ich zum einen immer wieder nachforschen darf und zum zweiten auch Einflüssen aus unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt bin. Ein anderes Orchester bringt Dinge ein, an die ich bisher nicht gedacht habe. Oder ein erfahrener Studienleiter – was ist das für ein Schatz! Was die alles wissen! Ich versuche, das alles in mich aufzunehmen, es ist ja tatsächlich Gold wert, was es an Wissen und Sichtweisen gibt. Manches schreibe ich mir sogar auf, damit es gewahrt bleibt …

Eine andere Art sich schnell über unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zu informieren sind zahlreiche digitale Kanäle – Stichwort Youtube. Hören Sie sich da auch manchmal um?

Sebastian Weigle: Ich bin ja sehr dankbar, dass es diese Dinge gibt und dass da so viel zu finden ist. Speziell bei Werken, die ich nicht, oder zumindest nicht gut kenne. Da lohnt es sich schon, ein wenig zu schauen, was für Interpretationszugänge existieren.

Wie gehen Sie mit diesen Zugängen um? Stecken Sie einfach das Feld ab oder versuchen Sie dahinter zu kommen, warum ein Dirigent etwas so und nicht anders gemacht hat?

Sebastian Weigle: Das ist eine interessante Frage … Tatsächlich ist es so, dass ich manches einfach nur anhöre und anderes durchaus analytisch zu ergründen versuche. Es kommt irgendwann immer der Punkt, an dem ich das alles zur Seite schiebe und meinen Weg suche. Und der ist, wie schon angesprochen, jedesmal neu. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass ich hin und wieder eine nagelneue Partitur kaufe, um einen unverstellten Blick auf ein Werk zu bekommen. Das tut mitunter ganz gut.

Der Juni-Freischütz-Dirigent Tomáš Netopil meinte, dass er als musikalisches Grundkonzept den Freischütz besonders leicht klingen lassen will. Könnten Sie eine allgemeine Intention formulieren?

Sebastian Weigle: Ach das sind so gefährliche Fragen, weil man bei der Antwort leicht ins Oberflächliche kommt. Worauf man beim Freischütz immer zu achten hat, ist eine große Vielfalt zu erzielen. Ich möchte einerseits eine gewisse Gravität zeigen, auch richtig geerdet mit Kraft und Gewicht. Dann auch das Tiefschwarze und Düstere. Aber dann wiederum auch eine tänzerische, luftige Leichtigkeit. So, als ob man Seidenfäden spannte. Und manchmal eine kleine Perle platzen ließe. Jedenfalls probiere ich einen Spagat zwischen den Stimmungen. Das empfinde ich als sehr spannend!

Das Gespräch führte Oliver Láng


Der Freischütz | Carl Maria von Weber
8., 11., 14. September 2018

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