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© Franz Neumayr

Unser Ensemble: Rafael Fingerlos im Porträt

Immer wenn ein neues Ensemblemitglied an die Wiener Staatsoper engagiert wird, geht ein Raunen durch das Haus. Zunächst: Wie singt er oder sie? Wie wirkt er auf der Bühne? Aber auch: Wie fügt er sich ein? Kurzum: Wie ist „der Neue“ so? Erster Eindruck beim Bariton Rafael Fingerlos: Leuchtkraft. Offenheit. Eine Freude an der Musik, in all ihren Ausdrucksformen. Eine Freude am Auftreten. Eine Freude an der Qualität.
Und: Begeisterung. Dieses Wort kommt ihm häufig unter, wenn er über Oper, Lied oder ganz allgemein über Gesang spricht. „Be-geistern“, meinter, „bedeutet doch, jemanden mit Geist erfüllen. Und das bedeutet wiederum: jemanden berühren.“ Das Berühren und Berührt-Werden ist es, was ihm an seinem Beruf, er korrigiert: an seiner Berufung, besonders wichtig erscheint. Dieses Feuer, das ihn erfüllt, weiterzugeben. Genauso, wie er sich gerne von anderen Kollegen berühren, begeistern lässt. Ein Sänger, der eine schöne Phrase singt, dem eine persönliche Interpretation gelingt – das ist es, was Fingerlos fasziniert.
Aber! Moment! Gibt es da nicht etwas wie Konkurrenz? Zumindest den Fachkollegen gegenüber? Den Gleichaltrigen? Eben, den Konkurrenten? Ehrlichen Blicks schiebt Fingerlos die Frage beiseite. „Ich muss sagen: nein. Ich freue mich einfach darüber, wenn einem etwas gelingt und einer etwas gut macht. Egal, ob es sich um einen Sänger handelt, einen Instrumentalisten, einen Bäcker oder Tischler. Bewundernswert ist es immer, wenn eine Sache hohe Qualität hat und in einem etwas auslösen kann. Es heißt ja stets, dass man in der Oper Ellbogen braucht und diese auch einsetzen muss. Aber das stimmt nicht. Wenn einer gut ist, dann findet er seinen Platz – und es ist Platz für alle da. Wenn man Ellbogen einsetzt und die anderen beäugt, dann kommt Angst ins Spiel. Und mit der Angst kommen unweigerlich auch negative Gedanken.“
Negative Gedanken, die liegen ihm spürbar gar nicht. Auch nicht die „Versportlichung“ des Opernbetriebs, wie er kritisch anmerkt. „Bei Wettbewerben erlebt man das oft, dass es ausschließlich um ein ,besser‘, um einen ,Ersten‘ und ,Besten‘ geht. Aber Oper ist da anders. Jeder ist auf seine Art einzig und besonders.“ Gerade darum auch ist Fingerlos zurückhaltend, wenn es um ein Nachahmen geht. „In Details ist es sicherlich sinnvoll, rein funktionell zu schauen, wie ein sehr guter Sänger an gewisse Fragen herangeht. Aber Nachahmung als solche ist ein Weg, der immer in eine Sackgasse führt. Ebenso wie Verstellung. Wenn man seine Stimme zum Beispiel abdunkelt, um älter und reifer zu wirken, dann wird man damit nicht gut fahren. Denn die Natur lässt sich nicht betrügen und man ist ja, wer man ist. Und gerade dieses Jemand-Sein ist das Schöne an der Kunst! Also versuche ich zu klingen wie ich bin. Ganz bewusst und gehe ganz bewusst meinen Weg.“ Und mehr noch: Dieses Eigenständige, dieses Selbst-Bewusste – im Sinne von: sichselbst bewusst sein – ist der eigentliche Urgrund seines Singens. Nämlich: „Meinen ganz persönlichen Klang zu entwickeln.“ Das, weiß Fingerlos, ist letztlich ein echtes und sinnvolles Alleinstellungsmerkmal. Gerade heute, wo international eine solche Anzahl an guten Stimmen verfügbar ist. Daher auch, versichert er, erdrücke ihn die Masse an Sänger-Angeboten auf YouTube und anderen Kanälen nicht. Denn wiederum: Wenn man ganz selbst ist, bekommt man ganz automatisch seine persönliche, unterscheidbare Kontur.
Diese Kontur hat sich auf recht direktem Weg herangebildet. „Eine Verkettung mehrerer glücklicher Zufälle“, nennt Fingerlos seinen künstlerischen Lebenslauf. Am Anfang standen eine musikalische Familie und eine Jugend, in der Volksmusik, viel Fußball, Chorsingen und die umfangreiche klassische Plattensammlung seines Vaters eine gewichtige Rolle spielten. Dann kam eine Rockband dazu und über die Rockband der Weihnachtswunsch nach ein paar professionellen Gesangsstunden. „Um ein wenig mehr über meine Stimme zu erfahren“. Die Gesangslehrerin witterte blitzschnell das Talent und schickte ihren Jung-Schüler als bald zum ersten Wettbewerb, bei dem dieser mit einem engagierten Programm – Papageno, Schuberts Ungeduld, einer Arie aus dem Messias und einer Uraufführung – einen Preis mit nach Hause nahm. Von da an wurde die Sache konkreter. „Bis dahin habe ich frisch von der Leber weg gesungen und Musik als Dilettant – in der besten Form – betrieben. Dilettant kommt ja vom italienischen „diletto“, also Freude, Genuss, Vergnügen. Ich habe alles auswendig gesungen, Volksmusik und Jazz nach Gehör betrieben. Dieser Bereich war also ganz gut ausgebildet, nun aber kümmerte ich mich um jene Aspekte, die noch etwas unterbelichtet waren.“ Nebenbei, um etwas „Ordentliches“ zu machen, ließ sich der ehemalige Zivildiener als Berufssanitäter ausbilden und absolvierte, zumindest für ein halbes Jahr, das Kindergartenkolleg. Immer deutlicher wurde der Plan, Musik zum beruflichen Lebensinhalt zu machen. „Es gab neben der Sängertätigkeit auch noch einen Plan B, Plan C, Plan D – und alle hatten mit Musik zu tun.“
Wie aber war der Übergang vom freien und freudigen Dilettanten zum Berufssänger? „Zuvor fandich Musik so schön, weil sie für mich frei war undeinfach Spaß gemacht hat. Dann kam das Professionelle dazu, wo ich vieles wiederfand, was ich zuvorschon – unbewusst – versucht hatte. Und dann ist es mir gelungen, den ursprünglichen Spaß wieder zu finden. Nun aber mit dem Wissen um das, was stimmtechnisch eigentlich passiert.“ Nach dem Abschluss des Studiums am Wiener Konservatorium, Auftritten bei den Salzburger Festspielen, in Dresden, Madrid und den Niederlanden landete er bald an der Wiener Staatsoper. Sein eigentliches Debütan diesem Haus – Fingerlos hatte schon zuvor bei einem Gastspiel in Japan den Harlekin gesungen – fand am 1. Jänner 2017 statt. Kurzfristig sprang er für einen erkrankten Kollegen als Dr. Falke in der Fledermaus ein. „Ich war wie ein Pferd im Stall, das endlich raus will. Ich wollte einfach nur auf die Bühne und den Leuten zeigen, wie sehr mich das, was ich mache, begeistert. Und es war für mich wirklich begeisternd: Meine Frau, meine Familie war anwesend und das Ganze wurde wie ein musikalisches Fest.“ Nervosität? „Meine erste Szene ist wie im Flug vergangen, Herbert Lippert als Eisenstein ist ein fantastischer Partner, da hat das Spielen einfach Spaß gemacht. Nervös wurde ich erst beim Brüderlein, als ich mit dem Ensemble und dem Chor auf der Bühne stand. Da wurde mir bewusst, was da eigentlich passiert …“ Passiert ist jedenfalls an diesem Abend nur Gutes, der Funke ist übergesprungen, das Debüt gemeistert: Mit Qualität, Persönlichkeit – und Begeisterung.

Oliver Láng