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Über „das Klopfen an die Pforte“ in Shakespeare‘s "Macbeth"

Schon in meinen Kindertagen hatte mich eine Stelle in Macbeth immer sehr berührt. Es war jene: Das Klopfen an die Pforte (Burgtor), das dem Mord an Duncan folgt, welches auf meine Gefühle eine Auswirkung hatte, die ich mir nicht erklären konnte. Dieser Effekt hatte zur Folge, daß es dem Mörder eine seltsame und eigenartige Erhabenheit und tiefe Feierlichkeit verlieh; aber wie auch immer ich dies zu verstehen versuchte, ich konnte es mir nicht erklären, warum es diese Wirkung hatte.

Hier unterbreche ich für einen Moment, um den Leser zu ermahnen, nicht seinem Verstand nachzugeben, wenn er in Opposition zu anderen Fähigkeiten seines Geistes steht. Der bloße Verstand, so brauchbar und unentbehrlich er sein mag, ist die schwächste menschliche Fähigkeit, der man am meisten vertraut – was für das tägliche Leben ausreichen mag, nicht jedoch für philosophische Zwecke.

Von den zig –tausend Beispielen, die ich anführen könnte, will ich nur eines darlegen. Es soll bitte jemand, der nicht im Voraus in die Kenntnisse der Perspektivlehre eingeweiht wurde, eine ganz einfache Situation nach den Regeln dieser Kunst mit ein paar groben Strichen zeichnen: Zum Beispiel zwei Wände, die rechtwinklig zueinander stehen – wie etwa die Häuser auf beiden Seiten einer Straße von einer Person gesehen werden, die am Ende dieser Straße steht. Nun, im Prinzip wird er dazu kaum in der Lage sein – es sei denn, die Person hat zufällig anhand von Bildern studiert, wie Maler diesen Effekt erzeugen. Aber warum? Er hat all das täglich gesehen. Der Grund ist, daß er es seinem Verstand erlaubt, die Augen zu beherrschen. Der Verstand, der jedoch nicht über intuitive Kenntnisse der Gesetze optischer Wahrnehmung verfügt, kann nicht vermitteln, warum eine Linie, die bekanntermaßen horizontal verläuft, nicht als horizontale Linie erscheint: Eine Linie, die nicht im rechten Winkel zur senkrechten steht, würde ihm vermitteln, daß diese Häuser alle einstürzen. Folglich zeichnet er die Häuserreihe horizontal aber er hat keinen Erfolg mit dem erwünschten Effekt. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, welches zeigt, daß der Verstand die Augen entmündigt, ja daß der Verstand die Augen vielmehr sogar ausblendet: Der Betreffende glaubt dem Verstand mehr als seinen Augen, und, aber der Narr bemerkt nicht, daß seine Augen diese Realität widerspiegeln. Er weiß nicht, daß er das gesehen hat, was er täglich gesehen hat – und deshalb hat sein Bewusstsein nichts gesehen.

Doch weg von dieser Abschweifung. Mein Verstand konnte mir keineswegs erklären, warum das Klopfen an die Pforte in Macbeth irgendeine Wirkung haben sollte, direkt oder indirekt. In der Tat, mein Verstand sagte mir deutlich, daß es keine Wirkung haben könne. Aber ich wusste es besser; ich fühlte es und ich wartete und hielt an diesem Problem fest, bis neue Erkenntnisse dazu mir bei der Lösung halfen.

Zuletzt gab ein Mr. Williams im Jahr 1811 sein Debut auf der Bühne von Ratcliffe Highway (Vorort von London) und beging jene unvergleichlichen Morde, die ihm seinen brillanten und unsterblichen Ruhm verschafft haben.

Morde übrigens, die - wie ich feststellen muß - in einer Hinsicht eine unschöne Auswirkung hatten. Den wirklichen Kenner der Mordkunst verwöhnten sie sehr und machten ihn unzufrieden mit allem, was seitdem in dieser Hinsicht getan wurde. Alle anderen Morde verblassen bei diesem tiefen Karmesinrot des Mordes, und wie ein Liebhaber dieser Kunst einst sagte: "Es hat sich nichts getan seit jener Zeit, wirklich nichts Nennenswertes." Aber das ist falsch, denn es ist unsinnig von allen Menschen zu erwarten, daß sie große Künstler seien, zur Welt gekommen mit dem Genie eines Mr. Williams.

Nun wird man sich erinnern, daß beim ersten dieser Morde von Ratcliffe Highway (im Jahre 1811) an der Familie Marr, sich der gleiche Vorfall (ein Klopfen an der Tür bald nach Beendigung der Verrichtung der Tat) ereignete, den der Genius Shakespeare erdacht hatte; und alle guten Kritiker und erhabenen Dilettanten erkannten das Glück der Shakespeare‘schen Einfälle, sobald sie realisiert waren. Hier war also ein neuer Beweis, daß ich Recht hatte, meinem Gefühl mehr zu vertrauen als meinem Verstand, und ich begann von neuem, mich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Schließlich löste ich es zu meiner eigenen Zufriedenheit; meine Lösung lautet folgendermaßen: Mord in seiner gewöhnlichen Form – wenn unsere Sympathie gänzlich der ermordeten Person gilt – ist eine grobe und scheußliche Tat; und aus diesem Grund – daß die Tat oder dieser nämlich das Interesse ausschließlich auf den natürlichen jedoch auch niedrigen Instinkt lenkt, mit dem wir am Leben kleben: Ein Instinkt, der- da er unentbehrlich für das Grundprinzip der Selbsterhaltung - derselbe ist für alle Lebewesen. Es ist ein Instinkt, weil er alle Unterschiede aufhebt und der den größten Menschen auf die Ebene eines Käfers, auf den wir treten, degradiert und der die menschliche Natur in ihrer elendesten und erbärmlichsten Gestalt offenbart.

Eine derartige Eigenschaft würde den Zwecken eines Dichters wenig dienlich sein.

Was muß er dann tun? Er muß das Interesse auf den Mörder lenken. Unsere Sympathie muß bei ihm sein: Natürlich meine ich eine Sympathie des Verständnisses, eine Sympathie, mit der wir seine Gefühle erfahren und begreifen können – nicht jedoch eine Sympathie des Mitleids oder der Zustimmung. Im Opfer sind aller Hader, die Gegensätze von Leidenschaft und Willen durch eine überwältigende Panik vernichtet; die Angst vor dem plötzlichen Tod trifft es "mit steinerner Keule". Aber in dem Mörder, den der Dichter für angemessen hält, muß ein großer Sturm von Leidenschaft wühlen - Eifersucht, Ehrgeiz, Rache, Hass, welche in ihm eine Hölle offenbaren. Und in diese Hölle werden wir jetzt schauen.

In Macbeth hat Shakespeare seinem enormen und übermäßigen Genie entsprechend gleich zwei Mörder eingebracht: Wie gewöhnlich bei ihm sind sie auffallend unterschiedlich; aber obwohl bei Macbeth die Zweifel stärker sind als bei seiner Frau, seine Raubtierseele nicht so ausgeprägt ist und seine bösen Instinkte erst von ihr geweckt werden müssen – kann man, da beide schließlich in die Schuld eines Mordes verwickelt sind, die außerordentliche Mordlust in beiden Seelen vermuten. Das ist es, was zum Ausdruck kommen musste; weil es den Figuren innewohnt und sie als Antagonisten dem harmlosen Wesen ihres Opfers, "dem gütigen Duncan entsprechend zu gestalten“ und den "tiefen Höllengrund seines Mordes" besonders deutlich zu machen. Wir sollen fühlen, daß die menschliche Natur- das heißt " die göttliche Natur der Liebe und Gnade, die den Herzen aller Geschöpfe innewohnt und die den Menschen nur selten entzogen wird"- verloren ist, verschwunden, ausgelöscht und daß das Böse ihren Platz eingenommen hat. Und dies ist schon in den Dialogen und Monologen großartig gelungen.

Nun erbitte ich die Aufmerksamkeit des Lesers. Wenn der Leser jemals seine Frau, Tochter oder Schwester bei einem Ohnmachtsanfall erlebt hat, wird er wahrscheinlich beobachtet haben, daß der berührendste Moment derjenige ist, in dem ein Seufzen und Regen das Zurückkehren der Kräfte ankündigt. Ähnliches passiert, wenn der Leser einmal in einer großen Hauptstadt an einem Tag war, wenn dort zufällig ein Held der Nation in einem pompösen Leichenzug zu Grabe getragen wird. Und wenn der Leser zufälligerweise nahe dieses Leichenzuges seinen Weg nahm, in der Stille und Leere der Straßen und beim Stillstand der täglichen Geschäftigkeit die tiefe Betroffenheit verspürt hat, die die Herzen aller ergriffen hat, und wenn er dann hört, wie die totengleiche Stille aufgebrochen wurde vom Geräusch der Räder, die sich vom Geschehen entfernten, wie sich das flüchtige Bild auflöst - dann wird ihm bewusst, daß ihn in keinem Moment das völlige Unterbrechen, der Stillstand des Alltags so betroffen gemacht hat, wie in jenem Moment, als die Unterbrechung wich und der Alltag plötzlich wieder einsetzte.

Jede Tat, gleich welcher Art, wird erst nachvollziehbar, gar messbar und erst verständlich durch die Reaktion, die ihr folgt. Nun beziehen wir diese Aussage auf Macbeth. Hier galt es, wie ich sagte, das Aussetzen des menschlichen Herzens nach dem Einzug des Teuflischen in das menschliche Herz aufzuzeigen. Eine andere Welt öffnet sich; und die Mörder sind dann dem Bereich des Menschlichen, der menschlichen Wünsche, der menschlichen Ziele enthoben. Sie sind verwandelt: Lady Macbeth ist entweibt und Macbeth hat vergessen, daß er von einer Frau geboren wurde. Beide entsprachen sie dem Bild des Teufels; und plötzlich öffnet sich die Welt der Teufel. Aber wie soll dies mitgeteilt und offenbart werden? Damit sich eine neue Welt öffnet, muß die alte Welt eine Zeitlang verschwinden. Mörder und Mord müssen isoliert werden, abgetrennt werden durch einen unermesslichen Shakespeare Abgrund von dem gewöhnlichen Auf und Ab des menschlichen Treibens und eingeschlossen werden in eine tiefe Einsamkeit; man muß spüren, daß das tägliche Leben plötzlich anhält, in Schlaf versinkt, in Trance, in einen schrecklichen Waffenstillstand verfällt; die Zeit muß gelöscht, die Verbindung zur Außenwelt aufgehoben werden; und alles muß, zurückgezogen in sich selbst, in eine tiefe Ohnmacht fallen und allem Irdischen entsagen. Deshalb geschieht es, wenn die Tat vollbracht ist, wenn das dunkle Werk perfekt ist, dann löst sich diese dunkle Welt auf wie in einem prunkvollen Wolkenspiel: Man hört das Klopfen an der Pforte, und es wird hörbar, daß die Reaktion darauf beginnt; die menschliche Natur ist zurück und macht einen Rückgriff auf das Teuflische: Die Pulse des Lebens beginnen wieder zu schlagen; und so wie das Leben zurückkehrt, bemerken wir mit Schrecken die furchtbare Kluft, in der es versunken war.

Oh, erhabener Dichter! Deine Werke sind nicht wie die anderer Menschen; sie sind nicht nur große Kunstwerke, sie sind wie Naturerscheinungen, wie Sonne und Meer, Sterne und Blumen, wie Reif und Schnee, Regen und Tau, Hagelsturm und Donner; und wie diese muß man sie erforschen, streng mit sich selbst und in der Gewissheit, daß nichts an ihnen zu viel oder zu wenig, nutzlos oder zögerlich ist, aber daß wir, je weiter wir bei unseren Entdeckungen fortschreiten, desto mehr Beweise finden werden für einen Plan und ein in sich selbst vollendetes Ganzes, wo der flüchtige Blick nur einen Zufall erahnt hatte.

Übersetzung: Carlo F. Pichler

Der Essay „On the knocking at the gate in Macbeth“ von Thomas De Qiuncey ist 1823 im „London Magazine“ erschienen.