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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Suchen und finden am Fluss

Im Gegensatz zu Opern bereits verstorbener Komponisten besteht bei den Weiden die Möglichkeit, mit den Autoren – also dem Komponisten und dem Librettisten – zu sprechen. Wieweit waren Sie als Sänger der Hauptrollen in den Entstehungsprozess eingebunden?
Tomasz Konieczny: Ich habe Johannes Maria Staud im Laufe seiner Kompositionsarbeit getroffen und wir hatten so Gelegenheit, über meine Rolle – den Peter – zu sprechen. Aus diesem Kontakt sind durchaus auch Änderungen der Partie hervorgegangen. Die Sichtweise auf manches kann sehr wohl – natürlich – aus Sänger- und Komponistensicht unterschiedlich sein. Gerade darum ist es ja, wie Sie sagen, diesmal das Wunderbare, dass wir mit dem Komponisten sprechen können.
Rachel Frenkel: Es ist sogar ein Privileg! Im Falle der Philosophin Lea, also meiner Partie, waren es tatsächlich nur Kleinigkeiten. Die Rolle wäre auch ohne die kleinen Änderungen sangbar gewesen – aber wenn man schon einen lebenden Komponisten hat, dann wollte ich es auch nützen…

Gab es so etwas wie einen ersten Gedanken beim Öffnen der Noten?
Rachel Frenkel (lacht): Wie werde ich das jemals auswendig lernen? Glücklicherweise haben wir hier an der Wiener Staatsoper herausragende Repetitoren, und ich ließ mir meine Partie einspielen und hörte sie, mit den Noten in der Hand, immer und immer und immer wieder an. So wächst man musikalisch in eine Rolle hinein – und irgendwann kann man sie auswendig.
Tomasz Konieczny: Wenn man zu allererst in eine komplexe Partitur blickt, hat man schnell den Gedanken: Das wird nicht einfach umzusetzen sein. Aber gerade darum trifft man ja auch den Komponisten, um an den Herausforderungen einer Partie gemeinsam zu arbeiten.

Es braucht ja auch Zeit, sich in eine Musiksprache einzuarbeiten.
Tomasz Konieczny: Dieser Vorgang nimmt tatsächlich einiges an Zeit in Anspruch. Man muss ja, wie Rachel sagt, in die Musik hineinwachsen. Ein Beispiel: Ich habe in der Oper ein Duett mit Rachel, in dem wir über eine längere Strecke in Septimen singen. Das ist sehr ungewöhnlich, Septimen wirken dissonant und klassische Opernsänger kommen selten in die Situation, mit einem Duettpartner im Septimenabstand zu singen. Was macht man also? Man hört sich ein und man lebt sich ein. Umso schöner ist es, wenn die Arbeit, die dahintersteht, erfolgreich ist: Der Komponist kommt ja oft zu den Proben und er ist sehr zufrieden und glücklich. Es ist doch schön, wenn ein Komponist bei einer Probe „Bravo“ dazwischenruft! Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir im Sinne der Autoren agieren.
Rachel Frenkel: Es ist ja so, dass man seine Rolle nicht nur lernt, sondern dass man an sich sehr viel für seinen Beruf und sein Singen neu dazu lernt. Im Laufe der Wochen, die ich mit dieser Oper verbringe, hat sich meine Gesamteinstellung zum Operngesang in vielem verändert. Im Großen und im Kleinen. Mein Blick auf den Dirigenten etwa ist ein anderer geworden oder auch das Hören auf die anderen. Hier haben sich meine Sinne ungemein geschärft und ich habe mich als Sängerin sehr stark weiterentwickelt. Abgesehen davon… mein Deutsch ist auch deutlich besser geworden, weil ich viel Dialog zu sprechen habe.
Tomasz Konieczny: Der Dialog ist auch eine ungewöhnliche Sache! Hier in der Oper ist er sehr wichtig, und manches, was wir sprechen, soll auch elektronisch bearbeitet beziehungsweise verfremdet werden. Das haben wir noch nicht ausprobiert, aber es ist sicherlich auch etwas, was man im „normalen“ Opernbetrieb eher selten erlebt.

Mit Ingo Metzmacher haben wir einen Musiker, der einer der führenden Dirigenten im Bereich der zeitgenössischen Musik ist. Wie sieht Ihre diesbezügliche Praxis aus?
Rachel Frenkel: In meinem bisherigen Leben hat, ehrlich gesagt, die zeitgenössische Musik bisher eine sehr kleine Rolle gespielt. Natürlich kam sie im Rahmen meines Studiums vor und ich habe an der Hochschule damit ein wenig experimentiert. Aber in der tagtäglichen Praxis sang ich sehr selten Zeitgenössisches.
Tomasz Konieczny: Ich bin ein Opernsänger, der relativ viel Musik aus unserer Zeit singt. Zentral ist da natürlich Penderecki, der großen Komponist aus meiner Heimat, dessen Lukaspassion ich schon in frühen Jahren gestaltet habe. Ein fantastisches Werk, übrigens! Für mich zählt es zum Größten überhaupt. Ich sang aber auch viel anderes, etwa in den Soldaten von Bernd Alois Zimmermann in Salzburg den Stolzius – das war auch eine sehr anspruchsvolle und herausfordernde Partie. Die zeitgenössische Musik zieht sich also durch mein Leben. Man muss sagen, dass diese großen und komplexen Partien viel von einem abverlangen, aber man muss mit einer gewissen Hartnäckigkeit dranbleiben. Bis sich eben, wie Rachel sagt, der Blick verändert und man das, was man hier umsetzt, verinnerlicht und versteht. Wir haben mit Andrea Moses eine Regisseurin in dieser Produktion, die sehr gut im Theatralen denkt – und für eine eindrucksvolle Inszenierung sorgt. Und nicht zuletzt haben wir das fantastische Orchester, das ja wirklich das größte Glück für uns Sänger ist.

Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs gab es noch keine Probe, bei der Sie die Weiden mit Orchester gesungen haben. – Bisher proben Sie ja noch mit Klavier. Ist dieses Zusammentreffen von Orchesterklang und Elektronik und Sänger ein spannender Moment?
Rachel Frenkel: Beim ersten Mal: sicherlich. Man erlebt ja wieder eine ganz neue Klangwelt. Aber ich mache es so: Anfangs konzentriere ich mich ganz auf meine Partie, und wenn ich mir da sicher bin, dann taste ich mich weiter. Bis ich das Ganze erfassen kann.
Tomasz Konieczny: Johannes Maria Staud hat uns versichert, dass vieles von dem, was wir singen, im Orchester vorkommt und wir Bezugspunkte haben. Das ist natürlich auch enorm hilfreich.

Wird bei einer Uraufführungsproduktion während der Proben generell mehr ge- und besprochen als bei einem typischen Repertoirestück?
Tomasz Konieczny: Das muss nicht mit Uraufführung oder Nicht-Uraufführung zu tun haben. Ich bin an sich ein Sänger, der Dinge sehr gerne genau bespricht. Das hat mit meiner künstlerischen Laufbahn zu tun – ich war ja zuerst Schauspieler, und im Schauspiel steht das Diskursive beim Arbeiten an wichtiger Stelle. Ich möchte Klarheit über das, was ich mache erlangen und analysiere und frage gerne. Das ist meine Arbeitsweise, die mir sehr hilft zu verstehen, was ich darstelle.
Rachel Frenkel: In meinem Fall ist der seltene und interessante Fall eingetreten, dass die Figur der Lea eine erstaunlich große Schnittmenge mit mir hat. Ich bin ihr – oder sie mir – sehr ähnlich. Natürlich, ich bin Sängerin und keine Philosophin, aber wie Lea bin ich jemand, der sehr viel nachdenkt, der das Leben über das Denken erfährt. Für mich ist die Rollenfindung diesmal daher eine wirklich ungewöhnliche und faszinierende: Ich spiele mich eigentlich selbst.

Lea ist ein sehr politischer Mensch. Trifft das auch auf Sie zu?
Rachel Frenkel: Bisher habe ich versucht, mich möglichst wenig mit Politik zu beschäftigen. Natürlich: Ich gehe zu Wahlen. Aber im Grunde hatte ich oft das Gefühl, gar nicht so viel an der Politik an sich ändern zu können. Also habe ich mich in eine glückliche kleine Familienblase zurückgezogen und den Kontakt mit Politik minimiert. Durch das Rollenstudium und die Auseinandersetzung mit Lea bin ich gezwungen, tiefer in die politische Welt einzutauchen. Wir werden sehen, wieweit das eine Auswirkung auf mich haben wird.
Tomasz Konieczny: Staud hat mit den Weiden ja an sich eine politische Oper geschrieben, die sich mit dem Erstarken der Rechten auseinander setzt. Da es in dem Werk auch um gesellschaftliche Phänomene geht, müssen wir alle einen genauen Blick auf die Gesellschaft werfen und auf das, was in Europa passiert. Ich finde es ja bemerkenswert, wie genau Staud und der Librettist Durs Grünbein die Charaktere gezeichnet haben. Man trifft auf sehr präzise umrissene Figuren, die markant dargestellt werden.

In Ihrem Fall ist die Figur ein Künstler: Peter.
Tomasz Konieczny: Peter, der sehr erdig und diesseitig ist und aus einer traditionsverhafteten Familie kommt.

Lea, die Philosophin und Peter, der Erdige: passt das zusammen?
Rachel Frenkel: Eben nicht. Und durch die Reise in die Heimat von Peter, in der Lea nach ihren Wurzeln sucht, brechen die Unterschiede auf.
Tomasz Konieczny: Wobei Peter anfangs ja versucht, in die Welt seiner Geliebten Lea vorzudringen beziehungsweise dort auch heimisch zu werden. Er will das auch, scheitert allerdings ganz augenscheinlich daran. Seine Erziehung, seine Wurzeln sind zu stark und die Gedankenwelt von Lea zu weit entfernt. Er scheitert sogar doppelt: Er kann seine Welt nicht verlassen und die Beziehung zerbricht.

Wenn er aber nicht in seine Heimat zurückk.me – hätten die beiden eine Chance?
Rachel Frenkel: Das ist die Frage. Ich persönlich glaube, dass zwei Menschen, die eine tragfähige Beziehung eingehen, auch einen ähnlichen Blickwinkel auf das Leben, die Fragen des Lebens und die Gesellschaft haben sollten. Im Grunde also eine Wertegemeinschaft. Das ist bei den beiden nicht gegeben. Die Wurzeln von Peter sind sehr stark – aber es gibt Menschen, wenn auch wenige, denen es gelingt, sich von den Einflüssen ihrer Erziehung und Familie vollkommen frei zu machen. Man kann nicht sagen, wie es ausgegangen wäre, wenn die Reise nicht stattgefunden hätte.
Tomasz Konieczny: Sie sind an sich sehr unterschiedlich, nicht nur politisch. Seine Eltern sind ihm zwar peinlich, aber auf der anderen Seite ist er mit Lea auch nicht zufrieden. Eigentlich wünscht er sich eine Frau, die ganz anders ist. Die Frage ist auch immer, wieweit es überhaupt Liebe ist, was sich zwischen den beiden abspielt. Peter spricht einmal von Liebe, aber ich denke, die Beziehung ist an sich noch sehr jung – vielleicht ist es zu früh, von echter Liebe zu sprechen.
Rachel Frenkel: Sie fühlt sich von ihm stark angezogen und liebt ihn – anfangs – schon. Glaube ich zumindest.

Für Lea ist die Flussreise eine Suche nach ihrer Identität. Was gewinnt sie eigentlich durch das Ganze?
Rachel Frenkel: Eben ihre Identität. Sie findet ihre Wurzeln, die sie anfangs von sich fern halten wollte. Sie flieht nicht mehr vor ihnen und vor der Vergangenheit ihrer Familie. Und das ist doch eine ganze Menge!

Das Gespräch führte Oliver Láng


Die Weiden | Johannes Maria Staud - Durs Grünbein
Uraufführung: 8. Dezember 2018
Reprisen: 11., 14., 16., 20. Dezember 2018

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