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Starke Frau, liebender Held

Samson ist ein bekannter Charakter: in der biblischen Geschichte wird ja einiges aus seinem Leben berichtet, vieles hat in die Oper keinen Eingang gefunden. Über Dalila ist weit weniger bekannt. Ist das für die Dalila-Sängerin ein Mangel – oder eine Chance zu mehr Freiheit?

Elīna Garanča: Im Grunde versuche ich zu jedem Charakter den ich darstelle eine Hintergrundgeschichte zu finden und denke mir, wenn nötig, auch etwas dazu aus: eine Vergangenheit, eine Motivation, einen Antrieb. Das braucht es von Anfang an – ich möchte, dass die Figur schon bei ihrem ersten Auftritt interessant ist. Bei Dalila ist es ja tatsächlich so, dass wir sehr wenig über sie wissen. Woher kommt sie? Wer hat welche Macht über sie – und warum? Hat sie einen Glauben – und wenn ja: welchen? Wie ist ihr Verhältnis zum Oberpriester? Alles ist ziemlich nebelhaft. Da muss ich mir eben viele Fragen stellen und bin gefordert, die Bühnenfigur zum Leben zu erwecken. Das ist durchaus eine sehr schöne Arbeit – und macht die Proben auch spannend!

Bei Samson ist es einfacher: Er ist ein biblischer Held. Ich frage dennoch: Ist er überhaupt ein Held?

Roberto Alagna: Sicher, natürlich! Für mich ist er der größte Held der Bibel. Als ich Kind war, erzählte mir meine Großmutter die bekannten Geschichten aus der Bibel nach: Und in ihrer Fassung wurden die einzelnen Bilder noch farbenreicher, üppiger, ausufernder. Alles, was in der Bibel stand, war in ihrer Erzählung noch größer, beeindruckender, fantastischer. Und Samson wurde bald zu meinem liebsten Helden. Das ganze Drumherum: Die Geschichte seiner Haare, die man nicht schneiden durfte, seine große Kraft, seine Größe und Ehrlichkeit: das war alles so sympathisch! Und warum? Weil Samson nicht nur enorm stark war, sondern auch eine gewisse Fragilität hatte. Wir lernen in der Bibel ja wie er auch Schwäche zeigte. Abgesehen davon scheint er mir bis heute ein nobler Charakter: Sein Flehen zu Gott um Vergebung hat ja keine persönlichen Gründe, sondern er bittet um Macht, um seinem Volk helfen zu können.

Samson ist gut. Wie ist aber Dalila?

Roberto Alagna: Ich denke, sie ist einer der eifersüchtigen Charaktere in der Operngeschichte. Sie will Samson töten, nur aus Eifersucht auf seine Größe und Stärke. Er liebt seinen Gott, er will seinem Volk helfen und Philister sind nicht stark genug, um ihn zu besiegen. Da kommt Dalila, sie ist wunderschön, hat Charme, ist einfach unwiderstehlich. Sie ist stärker als Samson. Und darüber fällt er.

Elīna Garanča: Ich bin mir da – natürlich – nicht ganz so sicher. Zumindest möchte ich es nicht so einfach darstellen. Vielen der großen, starken, prägnanten Frauenfiguren, ich nenne sie jetzt einmal „Klischeepartien“, also Carmen, Dalila, Amneris und so weiter, wird sehr schnell der Stempel der „bösen Frau“ verpasst. Ich möchte da allerdings ein bisschen mehr in die Figur hineinbringen und sie nicht nur einfach böse spielen. Das Schwarzweiß muss ja nicht sein. Sie ist ein komplexer Charakter, und das interessiert mich!

Jenseits von Gut und Böse: Wie ist das Verhältnis der beiden zu verstehen?

Elīna Garanča: Es passiert, was manchmal im Leben passiert: Man trifft auf jemanden, auf den man so nicht vorbereitet war. Und daraus entwickelt sich etwas, was immer größer wird – und es kommt zu einem Schneeball-Effekt. Alles was geschieht, muss ja am Anfang so nicht geplant gewesen sein. Sondern es passierte einfach.

Es ist aber, zumindest das ist sicher, Liebe im Spiel?

Roberto Alagna: Er liebt sie, das steht außer Frage. Und er liebt sie nicht nur aus ganzem Herzen, sondern er liebt sie auch bis zum Ende. Selbst wenn sie seine Vernichtung will. Er kann gar nicht anders. Er ist nicht nur ein großer Held, sondern auch ein großer Liebender.

Elīna Garanča: Samson und Dalila wissen, dass sie miteinander nicht können, aber die Anziehung zwischen ihnen ist besonders groß. Ob das jetzt einfach ein „natürlicher“ Reflex ist, ob da eine psychologische oder emotionale Motivation dahintersteht, wie etwa die Einsamkeit der beiden, ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich.

Könnten Sie miteinander, wenn die Umstände anders wären?

Elīna Garanča: Es würde auch nicht klappen, wenn rundherum alles perfekt wäre. Ich glaube, im Alltag würde es nicht klappen. Abgesehen davon: Wann ist denn schon alles perfekt? Ich habe da meine Zweifel.

Samson tötet sie – trotz seiner Liebe. Ist es dann Liebe?

Roberto Alagna: Er tötet alle, um seinem Volk, den Israeliten, zu helfen. Das ist seine, von Gott gegebene und für ihn allererste, Aufgabe. Für Samson besteht da absolute Gewissheit. Man darf nicht vergessen, dass er von Anfang an von Gott ausgesucht war. Es kommt ja, so erzählt die Bibel, ein Engel zu seinen Eltern und spricht, noch in der Schwangerschaft der Mutter, bereits von der Auserwähltheit Samsons. In diesem Glauben bzw. Wissen ist er groß geworden, und dass er sein Volk befreien und schützen muss, dass wird von ihm in keinem Moment in Frage gestellt.

Wir haben jetzt über die Liebe Samsons gesprochen. Wie aber sieht es mit der Liebe Dalilas aus?

Elīna Garanča: Es existiert ohne Zweifel ein Moment, in dem sie ihn wirklich liebt. Und zwar vor ihrer Mon-coeur-Arie, hier gibt es eine Szene, in der sie über Gott und die Liebe spricht und an die schönen gemeinsamen Tage erinnert. Da ist Dalila, was ihre Gefühle betrifft, wirklich rein und unschuldig. Er aber verlässt diese Emotions-Welt, weil für ihn in diesem Moment die Verantwortung größer ist als die Liebe zu ihr.

Und im dritten Akt? Ist da keine Liebe mehr?

Roberto Alagna: Samson liebt sie bis zuletzt.

Elīna Garanča: Man beschuldigt ja oft den anderen bei einem eigenen Versagen. Ich glaube Dalila macht das nicht anders. Aber sie ist eine Person, die die Realität wahrnehmen kann. Sie erkennt: Was auch immer war, jetzt kann man nichts mehr machen. Man muss weiterleben. Natürlich könnte sie bis zu ihrem Lebensende sitzen und jammern, aber das ist sie einfach nicht. Also wird ein Strich gezogen. Auch wenn sie Reue empfindet, könnte sie es vor dem Volk gar nicht zeigen. Aber in ihrem Inneren ist schon eine Welt zusammengebrochen.

Wie sieht es mit ihrer Verantwortung aus? Dalila verliert sie nie aus den Augen?

Elīna Garanča: Nein, aber interessanterweise ist sie dennoch eine Einzelgängerin und sie befindet sich stets ein wenig abseits des Volkes. Sie ist zumindest nicht eine, die im Verband mit vielen anderen lebt. Heute würde man sie als eine jener weisen Frauen sehen, zu der man geht, um sich Rat zu holen und über Probleme zu reden. Aber sie ist sicherlich nicht der Kumpeltyp, mit dem man schnell ein Bier trinken geht. So wenig man auch über sie weiß: sicher ist, dass sie eine herausragende, außenstehende Position hat. Sie „gehört“ nicht so richtig dazu. Das gilt für viele dieser exemplarischen Figuren: Zum Beispiel auch für Carmen, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene.

Nun hat jede Partie ihre Überraschungen und Herausforderungen. Was ist Ihnen bei Samson bzw. Dalila im Laufe des Rollenstudiums besonders aufgefallen?

Roberto Alagna: Samson zu studieren ist so wie sich zu verlieben. Umso mehr man sich mit der Partie beschäftigt, desto vielfältiger und faszinierender erscheint sie einem. Es ist überraschend, wie reich diese Oper an Melodien ist, wie viel Atmosphäre in ihr steckt. Man hört Phrasen, die unglaublich bewegend sind und einen an Puccini erinnern.

Elīna Garanča: Ich finde die Dalila an sich spannend, weil sie so ein vielschichtiger, facettenreicher Charakter ist und man bei den Proben ständig nachdenken muss: Warum sagt sie das? Meint sie das auch? Sagt sie Dinge, weil sie sie sagen will? Oder sagen muss? Oder manipuliert und täuscht sie bereits? Diese Nuancen darzustellen ist übrigens eine echte Aufgabe…

Zuletzt die Musik: Wie singen sich die beiden Partien?

Roberto Alagna: Der Samson verlangt einen großen Stimmumfang, ein bisschen wie Otello. Die Partie liegt nicht sehr hoch, hat auch wenig Spitzentöne, aber sie liegt im Passaggio-Bereich, also dort, wo es für den Tenor am schwierigsten ist. Die echte Herausforderung ist aber die Phrasierung und der Text: Man muss jedes Wort verstehen und Saint-Saëns schreibt sehr lange Phrasen und Linien. Dazu kommt: Samson muss auf der einen Seite eine gewisse Reife ausstrahlen, aber auch eine Jugendlichkeit. Wenn man die Partie baritonal singt, dann wirkt er zu alt; man braucht also eine stimmliche Helle und ein Leuchten, um den Samson auch musikalisch richtig zu positionieren.

Elīna Garanča: Ich hatte immer großen Respekt vor der Partie, weil sie so als Alto-mäßig verschrien ist. Dalila ist in Wahrheit aber eine unglaublich lyrische Partie, die man auch genau so singen muss. Natürlich gibt es ein paar dramatische Momente, aber die soll man weniger mit Stimme herausbrüllen, als eher mit Ausdruck gestalten…

Oliver Láng


Camille Saint-Saëns
Samson et Dalila

Premiere: 12. Mai 2018
Reprisen: 15., 18., 21., 25., 28. Mai 2018

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