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Mit Verdi auf du und du

Wenn man Ihren Opernkalender studiert, ergibt sich ein Überhang von Wagner/ Strauss-Werken im Vergleich zu Verdi. Ist das ein Zufall? Absicht? Oder hängt das damit zusammen, dass Sie für Wagner/Strauss einfach öfter angefragt werden?

Simone Young: Ich versuche immer eine Balance zu halten, aber die Angebote häufen sich mitunter für das eine oder andere. Derzeit stehen mehr Strauss- und Wagner-Opern in meinem Auftrittskalender und ich muss mich, was Verdi betrifft, mitunter ein wenig gedulden. Dafür freut mich ein Verdi umso mehr! Die letzte Aida hier an der Staatsoper war größte Freude!

Im Juni dirigieren Sie hier Verdis Macbeth, ein Stück, das Sie schon länger nicht mehr geleitet haben. Wie sieht Ihre Vorbereitung in einem solchen Fall aus?

Simone Young: Das ist eine sehr interessante Situation. Ich habe Macbeth in der Vergangenheit immer wieder dirigiert, an diesem Haus etwa 1999, in Houston, Hamburg, München. Ich kenne also wirklich jede Note in dieser Oper, und sobald ich die Partitur aufschlage, kommt mir jeder dieser früheren Macbeth-Abende wie gestern vor. Gleichzeitig ist natürlich Zeit vergangen und ich bin gereift. Ich habe inzwischen etliche Produktionen des jungen Verdi gemacht und kann viele gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse in den aktuellen Macbeth einarbeiten.

Wobei wir an der Wiener Staatsoper ja die spätere Macbeth-Fassung spielen. Hätte Sie die frühere mehr interessiert?

Simone Young: Die unterschiedlichen Fassungen der Verdi-Opern sind ein großes und ungemein spannendes Gebiet! Normalerweise bin ich ja eine Anhängerin der ersten Versionen. Aber es hängt immer sehr davon ab, warum ein Komponist ein Werk noch einmal überarbeitet hat. Mitunter hatte Verdi einen guten Grund für seine Änderungen. Zum Beispiel Don Carlo: So sehr ich das Fontainebleau-Bild liebe würde ich die fünfaktige Fassung dennoch niemals leiten wollen. Denn Verdi, als der perfekte Musikdramaturg, hat in der vieraktigen Version eine viel schlüssigere und klarere Aussage getroffen. Ebenso ist es in Macbeth. Ich finde die zweite Fassung dramaturgisch einfach klarer, zumal Verdi die Änderungen aus Überzeugung und nicht aufgrund äußerer Umstände vorgenommen hat. Es gibt auch andere Fälle: Man weiß bei Nabucco, dass Verdi eine Arie nach der Generalprobe gestrichen hat, weil er mit der Sopranistin unzufrieden war. Das ist natürlich kein Grund, es heute auch so zu machen.

Im Zusammenhang mit Macbeth wird gerne darauf verwiesen, dass Verdi einen neuen Weg der Komposition einschlug. Worin liegt das Experimentelle in Macbeth?

Simone Young: Es ist ein Stück, das in die Zukunft schaut. Einerseits noch fest im Belcanto verankert erweitert Verdi in Macbeth die Breite der Ausdruckspalette. In manchen Szenen, wie etwa in der Wahnsinnsszene, bekommt man eine Ahnung vom späten Verdi, von Otello. Aber, und das erachte ich als wichtig, er ist dort noch nicht angekommen, sondern erst am Weg. Es wäre ein großer Fehler, wenn man von den Sängern einen Verismo-Stil forderte. Es ist eben auch noch Belcanto, wie man an vielen Stellen, etwa in den Chorpassagen, merkt.

In einer sehr bekannten Briefstelle hat Verdi von der Darstellerin der Lady Macbeth keinen Schöngesang gefordert. Man soll es aber dennoch mit einer übersteigerten Expressivität nicht übertreiben?

Simone Young: Nein, auf keinen Fall. Sonst hätte er ja vieles ganz anders geschrieben. Ich glaube, er meinte, nicht nur Schöngesang …

Wenn Sie sich mit einer Oper wie Macbeth beschäftigen: Entwickeln Sie zuerst ein Klangkonzept, dem Sie folgen oder ergibt sich ein solches ganz automatisch aus der Partitur?

Simone Young: Zum Teil entsteht es tatsächlich automatisch, wobei ich auf einen Aspekt hinweisen möchte, der oftmals übersehen wird. Nämlich auf die Akustik eines Opernhauses und den Klang eines Orchesters. Hier an der Wiener Staatsoper ist das ganz speziell, weil die Musiker sehr hoch sitzen und daher im Piano zu einer Transparenz fähig sind, die man selten hört. Und im Forte können sie eine besondere Brillanz entwickeln. Da ich mit diesem Haus sehr vertraut bin, kann ich auf diese Klangmöglichkeiten eingehen. Mein Anfangspunkt ist aber der Text. Verdi hat so viel Wert auf diesen gelegt, er hat sich so intensiv mit diesem beschäftigt, dass wir als Interpreten geradezu verpflichtet sind, uns immer wieder mit ihm auseinander zu setzen.

Umso älter Verdi wurde, desto mehr Interpretationsanweisungen gab er in seinen Partituren. Wie viel notierte er in Macbeth?

Simone Young: Viel. Zum Teil trifft man aber auf Dinge, die nicht konsequent sind. Zum Beispiel, dass die Streicher und Bläser an derselben Stelle unterschiedliche Artikulationen haben. In solchen Fällen weiß man manchmal nicht: Ist ihm das unabsichtlich passiert? Oder hat er etwas bezweckt? Man lernt aber damit umzugehen.

Wenn Sie einem jungen Dirigenten knapp vor einem Auftritt drei Dinge sagen müssten, auf die er bei Macbeth besonders achten soll, dann wären diese …

Simone Young: … dass er sich unbedingt um den Chor kümmern soll. Die Chorstellen sind mörderisch schwer. Dass er den Mut haben soll, die Pausen zu halten. Es gibt bei Verdi immer wieder Generalpausen, die ungemein wichtig sind. Pausen sind keine Leerstellen, sondern halten die Spannung von einem Ton zum nächsten. Und drittens: Locker bleiben. In Wahrheit stirbt keiner. Aber das gilt ja für alle Werke …

Das Gespräch führte Oliver Láng