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Mit der Schuld wird Orest leben müssen

Wenn Sie als Regisseur die Entscheidung treffen, eine Oper zu inszenieren – oder eben nicht. Wie fällt diese Entscheidung? Was ist das ausschlaggebende Kriterium eines Werkes?
Marco Arturo Marelli: Meist ist es eine sehr spontane Entscheidung, packt es mich, oder nicht, interessiert mich das Thema, oder nicht. Ich muss mich im Stande fühlen, zu einem Medium für das Werk zu werden, den Intentionen des
Autors folgen zu können.

Während der Arbeit der Regiekonzeption: Ist es zunächst der Raum, den Sie sehen oder sind es die Figuren, die vor Ihrem geistigen Auge erscheinen?
Marco Arturo Marelli: Zunächst spüre ich in mir dem emotionalen Zugang zu einem Werk nach, danach beginne ich es intellektuell zu erarbeiten. Die emotionale Seite hat sicher mehr mit der Bühnenraumgestaltung zu tun, die intellektuelle dann mit den Figuren, doch dies geht meist Hand in Hand und ist nur schwer zu trennen.

Ist es zwangsläufig so, dass man als Regisseur mit allen Figuren mitleidet, mitlebt? „Durchleben“ Sie in Ihrer Konzeption alle Figuren?
Marco Arturo Marelli: Ja sehr, auch jene, die ich nicht besonders sympathisch finde.

Versuchen Sie in Ihrer Orest-Inszenierung bewusst Bezüge zur griechischen Antike herzustellen?
Marco Arturo Marelli: Nein, keineswegs. Doch war für mich persönlich die erneute Beschäftigung mit den griechischen Mythen ungemein interessant.

In der griechischen Antike war der Gedanke der Katharsis maßgeblich: Wieweit denken Sie kathartisch? Soll das Publikum „gereinigt“ aus der Vorstellung kommen?
Marco Arturo Marelli: „Tun – leiden – lernen“, das ist in Kurzform der Inhalt des griechischen Dramas. Diese Oper hat jedoch nur mehr wenig mit der klassischen Form des antiken Theaters zu tun, doch der Kern bleibt trotzdem erfahrbar.

Wieweit sehen Sie die Figuren als bestimmte Typen an? Also Elektra als Fanatikerin, Menelaos als Politiker, Hermione als das Licht etc? Wieweit trägt eine Elektra eine Vielschichtigkeit in sich?
Marco Arturo Marelli: Diese Oper ist ja sehr kurz und extrem verknappt. Eine psychologische Entwicklung, welche verschiedene Schichten einer Person aufzeichnen könnte, findet darin keinen Platz. So werden die Figuren zu Archetypen.

Orest ist unfrei, weil er auf Befehl Apollos handelt. Andererseits meint er: „Doch mehr als der Gott drängte die Ehre zur Tat!“ Wieviel vom Muttermord ging von ihm aus?
Marco Arturo Marelli: Was ist die Ehre? – ein rein gesellschaftlicher Topos, mehr nicht, also auch eine äußere Determinierung, zudem eine abstrus männliche. Das klingt schlimm nach „Ehrenmord“, mit dem wir uns in der heutigen Gesellschaft immer wieder auseinandersetzen müssen. Sicher hat Klytämnestra ihren zweiten Gemahl Agamemnon erschlagen, nachdem dieser ihren ersten Mann, ihr erstes Kind geschlachtet hat. Und danach opferte er noch die erste gemeinsame Tochter Iphigenie, die älteste Schwester von Elektra, um günstigen Wind für die Fahrt in die Schlacht zu erreichen. Klytämnestra gehört vor ein ordentliches Gericht. Nichts anderes. Obwohl sie den Vater von Orest umgebracht hat, berechtigt dies Orest noch lange nicht, sie zu morden, die Brust, die ihn ernährt hat, zu durchbohren. Deshalb wird er ja auch von den Männern aus Argos verurteilt, ein Urteil, dem er sich jedoch nicht beugen will und denkt, dass er, wenn er weiter mordet, irgendeine Gerechtigkeit erlangen kann. Es gibt nun einmal keine Gerechtigkeit, schon gar nicht für einen, der in blinder Hybris Selbstjustiz übt.

Orest: „Und steht vor dem Recht nicht die Liebe?“ – Das sagt er, bevor er Hermione trifft. Bedeutet das, dass die spätere Erkenntnis der Heilkraft der Liebe schon in ihm schlummert?
Marco Arturo Marelli: Aber sicher, steht vor dem Recht die Liebe, diese schlummert ja schon als Kind in jedem von uns ... die Frage ist, wie wir damit umgehen.

Wieweit findet Orest zuletzt Freiheit?
Marco Arturo Marelli: Darüber gibt das Stück keine Antwort, Orest befreit sich zunächst aus den Einflüsterungen seiner Schwester Elektra und löst sich von den Beeinflussungen der „Götter“, für mich ein gewaltiger Schritt. Er macht sich auf einen anderen Weg, den er noch nicht kennt, und sagt, dass er nach dieser ganzen Katastrophe neu denken will, anders denken.

Warum hat Orest die Kraft sich zu ändern und Elektra nicht?
Marco Arturo Marelli: Elektra ist in Hass gefesselt, vor allem auch auf sich selbst und ihr verpasstes Leben. Eifersüchtig kann sie Hermione, die trotz allem eine positive menschliche Utopie in sich hegt, nicht ertragen. So versucht sie ihren Bruder dazu zu bringen, Hermione zu töten. Nachdem sie dies nicht erreicht, versucht sie selbst, das Mädchen umzubringen, was ihr aber nicht gelingt. Danach fällt sie in eine Apathie, in eine Starre. Sie fühlt nichts als den Hass gegen sich und gegen die Welt und versteinert, die Rolle hört plötzlich auf zu existieren.

Und warum kommt letztlich auch Helena am Ende zu Tode?
Marco Arturo Marelli: Dies ist ein Punkt, welcher nur sehr schwer zu verstehen ist. Dionysos verfolgt eine sehr private Strategie, er will Helena besitzen um sich mit ihr zu vereinen. Doch dies ist ihm erst möglich, wenn sie dem sterblichen Zustand enthoben ist, darum stiftet er, völlig egoistisch, Orest zu deren Tötung an, um sie dann als Sternbild an den Himmel zu heben. Ein schrecklicher Gott, der diesen jungen Menschen Orest als Spielball missbraucht.

Das Gespräch führte Oliver Láng

Das vollständige Interview finden Sie im Programmheft zur Neuproduktion Orest.


Manfred Trojahn
Orest
31. März, 5., 7., 10., 13. April 2019

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