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Jeden Tag ein anderes Paradies

Allein im vergangenen Juni, also in einem einzigen Monat, dirigierte Marco Armiliato an der Wiener Staatsoper fünf unterschiedliche Werke und jetzt im September erklingen mit Turandot und Aida zwei weitere Opern unter seiner Leitung. Aber das ist noch nicht alles: Neben zusätzlichen Repertoirevorstellungen wird der an allen wichtigen Bühnen gefragte Fachmann für das italienische und französische Fach in dieser Spielzeit auch noch die Neuproduktion von Verdis Il trovatore musikalisch aus der Taufe heben. Zeit also für ein Gespräch mit einem Maestro, der in der direkten Tradition der großen italienischen Kapellmeisterschule steht.

Wenn es nur drei Gebote für das Dirigieren gäbe, wie würden sie Ihrer Meinung nach lauten?

Marco Armiliato: Disziplin, Technik, Leidenschaft. Nummer eins, die Disziplin, steht in starker Wechselwirkung mit dem Umstand, dass die meisten Künstler, ich übrigens auch, sehr selbstkritisch sind, was wiederum sehr stark mit dem Respekt vor dem jeweiligen Komponisten und dessen Werk zusammenhängt. Ich persönlich lerne neue Stücke verhältnismäßig leicht und

schnell. Trotzdem verbleibt lange das Gefühl in mir, der Oper, dem Konzertstück noch nicht vollständig gewachsen zu sein, sodass ich alles geradezu überstudiere, um mich endlich bereit zu

fühlen, damit vor das Publikum zu treten. Die Dirigier-Technik wiederum ist eine Sache, die viel mit Erfahrung zu tun hat. Es ist etwa von Vorteil, wenn man als junger Dirigent viel Barbier von Sevilla oder Liebestrank macht, denn das sind nicht eben leichte und im wahrsten Sinn des Wortes didaktische Stücke für das Dirigierhandwerk. Ich habe gerade durch den Barbier viel von dem begriffen, worauf es im Letzten in diesem Beruf ankommt. Und was die Leidenschaft betrifft – wenn ich am Pult stehe, ganz gleich, ob es sich um eine Probe oder Aufführung handelt – dann dirigiere ich mit jeder Zelle meines Körpers, bin erfüllt von Musik, und möchte diese Glücksbeseeltheit an die ganze Welt weiterleiten.

Haben Sie, was diese Glückbeseeltheit anbelangt Präferenzen? Ist zum Beispiel Donizetti diesbezüglich zielführender als Rossini?

Marco Armiliato: Nein, es ist vollkommen egal, welches Meisterwerk ich dirigiere. Ich konzentriere mich stets auf den aktuellen Moment, und wenn ich etwa einen Don Pasquale leite, ist diese Oper für mich das Bedeutendste und Größte, das je geschrieben wurde, und wenn ich tags darauf eine Bohème leite, dann erkenne ich, das die Bohème die restlichen Kompositionen bei Weitem übertrifft, und wenn ich einen Otello dirigiere, habe ich das Gefühl, das eben der Otello alles andere in den Schatten stellt.

Sie sagten „wenn ich tags darauf eine Bohème leite“. Sie dirigieren tatsächlich sehr häufig an hintereinander liegenden Tagen unterschiedliche Stücke. Wie machen Sie das? Manch anderer benötigen etwas mehr Zeit, um umschalten zu können…

Marco Armiliato: Wissen Sie, Musik war, seit ich denken kann, Bestandteil meines Lebens. Ich konnte in der Tat schon ehe ich das Alphabet beherrscht habe, Noten lesen und Klavier spielen. Ich habe auch nie darüber nachgedacht, welchen Beruf ich später einmal ergreifen würde: der Dirigentenberuf als Ziel meines Daseins, war von Anfang an eine Selbstverständlichkeit, über die ich gar nicht reden musste. Mit anderen Worten: Musik und somit auch die Partituren sind eine Art zu Hause für mich, aus der ich meine Freude und Energie beziehe. Und wenn ich dann studiert, oder wie ich vorhin sagte, eigentlich überstudiert bin, sehe ich wirklich kein Problem darin, an hintereinander liegenden Tagen, unterschiedliche Stücke zu dirigieren.

Sie haben zunächst also Klavierspielen gelernt. Gab es nie die Versuchung, die Pianistenlaufbahn einzuschlagen?

Marco Armiliato: Das Schöne am Dirigentenberuf ist diese Möglichkeit, gemeinschaftlich Musik machen zu können. Und wenn man dann noch so ein Orchester hat wie die Wiener Philharmoniker … dann ist das Glück perfekt. Mein Klavierstudium war aber als Basis notwendig, zumal ich viele Jahre als Solorepetitor mit Sängern Rollen erarbeitet habe. Es ist für einen Musiktheaterdirigenten ja fast lebenswichtig, das Funktionieren dieses Gesamtkunstwerkes Oper von der Warte des Korrepetitors aus kennenzulernen. Man kann sich in dieser Position eine Grundlage, ein Wissen, einen Erfahrungsschatz erarbeiten, der – um auf die vorige Frage zurückzukommen – durchaus auch dazu beiträgt, dass einem das rasche Umschalten von einem Werk auf das nächste leicht fällt.

Sie haben hier an der Wiener Staatsoper mittlerweile mehr als 25 Werke an rund 220 Abenden dirigiert. Erinnern Sie sich noch an ihr Staatsopern-Debüt?

Marco Armiliato: Natürlich! Ich weiß sogar noch das Datum auswendig: 2. November 1996, Andrea Chénier. Dieses Gefühl der Verantwortung, erstmals in diesem Haus aufzutreten, in

dem in jedem Stein, jedem Vorhang, ja in jedem Luftmolekül der Geist jener weiterlebt, die hier Großes gewirkt haben, noch dazu mit diesem Orchester … an der Wiener Staatsoper atmet man

richtiggehend Musik … diesen Abend werde ich wohl nie vergessen!

Und gibt es in Ihrem bisherigen Dirigentenleben so etwas, wie einen besonderen Höhepunkt, den sie ebenfalls nie vergessen werden?

Marco Armiliato: Da es sehr viele wunderschöne Momente gegeben hat, kann ich nicht nur den konkreten Höhepunkt hervorhaben. (nach längerem Nachdenken) Besondere Höhepunkte

waren sicherlich meine Debüts hier an der Wiener Staatsoper, an der Metropolitan Opera, am Opera House Covent Garden in London, sowie meine Debüts am Pult wichtiger Konzertorchester.

Wie sieht es mit dem deutschen Repertoire aus? Hätten Sie darauf auch Lust?

Marco Armiliato: Und wie! Bis jetzt hat sich leider noch nichts ergeben, aber in meinem Herzen kommen zuerst Elektra sowie Tristan und Isolde.

Noch eine letzte Frage: Wie würde für Sie das Paradies ausschauen, wenn Sie mitzureden hätten?

Marco Armiliato: Das könnte man sehr abstrakt beantworten, oder so wie die Barockmaler – mit blauem Himmel und vielen weißen Wolken. (lacht) Nein, ehrlich: Für mich ist das Paradies am Pult stehen zu dürfen und zu musizieren, und das, wenn es geht, jeden Tag!