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Ich versuche, mich selbst auszublenden

Allein die vier Rollen, die Norbert Ernst seit Beginn des Kalenderjahres an der Wiener Staatsoper gab, unterstreichen sein breites, facettenreiches Repertoire und damit zugleich seine enorme Wandlungsfähigkeit: So konnte man ihn in den vergangenen Wochen und Monaten im Haus am Ring als Loge, Narraboth, Graf Elemér und zuletzt als sonderlichen Doktor in Eötvös’ Tri Sestri erleben. Zeit also für ein Interview mit dem mittlerweile international viel gefragten Tenor.

Zu Beginn möchte ich eine ziemlich profane Frage stellen: Was passiert, wenn man wenige Minuten vor einem Opernauftritt steht, aber auf den Komponisten des bestreffenden Werkes ausnahmsweise so gar keinen Gusto hat? Das kann ja schließlich auch einem Sänger passieren …

Norbert Ernst: Allzu häufig sollte das aber nicht passieren (lacht). Nein, Spaß beiseite, man wacht ja nicht aus einem Tiefschlaf auf und findet sich plötzlich in Kostüm und Maske in der Solistengarderobe wieder, sondern lebt den ganzen Tag auf den Auftritt hin, sodass zumindest im Unterbewusstsein die Partie, die Musik, das ganze Stück in einem arbeitet und auf die Vorstellung hinreift. Das ist eine andere Situation als wenn ein Opernliebhaber zwar irgendwann eine Eintrittskarte erworben hat, aber just am Tag der Aufführung keine Lust verspürt hinzugehen. Es kann allerdings natürlich vorkommen, dass einem Sänger ein bestimmter Komponist ganz grundsätzlich weniger zusagt – in meinem Fall ist das Rossini – dann muss man für sich einen Weg finden, dennoch die nötigen hundert Prozent geben zu können. Ich mache das durch die vollständige Identifikation mit der darzustellenden Figur, versuche also die Welt aus der Perspektive dieses Charakters zu sehen, egal ob es sich um einen blutigen Rächer handelt, der gleich zum nächsten Mord schreitet oder um ein kleines Hascherl, das sich nichts traut. Es geht also darum, mich selbst auszublenden.

Gibt es einen Komponisten, von dem Sie sagen: dessen Musik liegt mir in jeder Lebensphase?

Norbert Ernst: Für mich ist das Johann Sebastian Bach. Seine universelle Musik „funktioniert“ immer – ob sie auf historischen Instrumenten gespielt wird oder von einem romantischen Sinfonieorchester, selbst wenn eine Jazz-Combo beispielsweise eine Arie aus der Matthäuspassion geben würde, bleibt die Wirkung, zumindest für mich, nicht aus.

Zwei zentrale Komponisten Ihres Repertoires sind Richard Strauss und Richard Wagner. Lassen wir einmal alle stilistischen Eigenheiten und vokaltechnischen Anforderungen beiseite – wo sehen Sie für sich den emotionalen Unterschied zwischen diesen beiden Giganten?

Norbert Ernst: Die Werke Wagners zeichnen sich meist durch diese oft zitierte Sehnsucht und Transzendenz aus, alles strebt intensiv, ja ekstatisch einer Erlösung zu. Bei Strauss hingegen findet man in jeder seiner Opern zumindest einen Moment, in dem die Musik einen tiefen, inneren, ausgeglichenen Frieden ausstrahlt, in dem alles stehen zu bleiben scheint und in dem man versöhnt sagt: Jetzt ist alles gut. Solche Augenblicke gibt es übrigens, wenngleich nicht in dieser Ausgeprägtheit, ebenso in den großen Mozart-Opern. Das Interessante in diesem Zusammenhang ist, dass man diese Momente nicht beim Studium oder beim analytischen Lesen der Partitur auffindet, sondern erst während des eigentlichen Geschehens, also im Zuge der Vorstellung. Aus dem Zusammenhang gerissen stellt sich der gewünschte Effekt leider auch nicht ein. Ich versuche manchmal, geradezu missionarisch, Bekannte auf Höhepunkte in einem Werk hinzuweisen und spiele ihnen dann mitunter Ausschnitte auf einer CD vor. Weitgehend umsonst. Man muss die Gesamtheit des Werkes erleben, in einem Guss sozusagen, dann entschlüsseln sich die verborgenen Geheimnisse. Und steht man dann als Interpret vor dem Publikum, wird alles noch einmal emotional aufgeladener. Ich erinnere mich an eine Daphne-Vorstellung, bei der ich, bereits mit meinem Part des Leukippos fertig, stückgerecht nur mehr als Toter auf der Bühne lag und vom wunderschönen Gesang der Daphne so gerührt wurde, dass mir die Tränen nur so herunterflossen – ich war sozusagen ein weinender Leichnam.

Sie haben in Eötvös’ Tri Sestri den Doktor verkörpert – dieses Werk ist dann doch ein ganz anders geartetes Musikerlebnis als das Hören einer Oper von Wagner oder Strauss?

Norbert Ernst: Genau genommen ist Tri Sestri, mit dieser völligen Auflösung der Genregrenzen, dem Zusammenspiel von gesungenem Wort und gesprochenem Wort, der Effektlautmalerei, eine sehr konsequente Fortführung von Wagners Musiktheatergedanken. Eötvös hat da eine atmosphärische Eindringlichkeit geschaffen, die geradezu berauschend ist.

 Existiert für Sie beim Interpretieren so etwas wie ein Plansoll, will sagen, gibt es bestimmte gleichbleibende Eckpunkte beim Darstellen einer Rolle, die Sie von Vornherein auf jedem Fall realisieren wollen?

Norbert Ernst: Meine Sicht auf jede einzelne Rollen ist, durch die stets andauernde, immer tiefer werdende Auseinandersetzung mit ihr, immer wieder einem Wechsel unterworfen. Den Loge verstand ich beispielsweise zunächst als jemanden, der unheimlich aktiv geschickt und listig die Fäden zieht, alle gegeneinander ausspielt und sich auf diese Weise die Macht sichert. Heute sehe ich ihn eher in der Tradition der germanischen Mythologie der Edda, also als uraltes Elementarwesen, das unsterblich jede Gegenwart überdauern wird und für den die Götter nur eine vorübergehende Episode darstellen. Dadurch lege ich den Loge viel ruhiger und ausgeglichener an als früher, er steht ja so sehr über allem, dass er nicht emsig um Macht ringen muss.

Alfred Brendel hat einst sinngemäß gemeint, dass er als Pianist einerseits als schöpfender Interpret tätig ist und im selben Augenblick quasi als Unbeteiligter sich selbst kontrollierend zuhört, beurteilt und damit sein Spiel reflektiert, worauf er dann wiederum als Interpret reagiert. Kennen Sänger diesen Zustand ebenfalls oder ist dieser Vorgang eher etwas für Instrumentalisten?

Norbert Ernst: Es geht glaube ich nicht darum, ob man Sänger oder Instrumentalist ist, sondern erstens um die Frage wie man den Auftritt als Interpret selbst erlebt und zweitens, um welche Form des Auftritts es sich handelt. Ein Konzertauftritt ist zwangsläufig anders geartet als ein Opernauftritt. Wenn ich auf einer Musiktheaterbühne stehe und die Existenz eines anderen überstreife, durchlebe ich dessen Leben innerhalb der Handlung und fühle mich folgerichtig zugleich als Zentrum der Handlung, so wie die meisten Menschen sich selbst zwangsläufig als Zentrum ihres eigenen Lebens und ihrer Welt sehen. Insofern empfinde ich es im ersten Moment sogar merkwürdig, ja befremdlich, wenn mir nach der Vorstellung akklamiert wird – schließlich war meine Bühnenexistenz nicht auf Applaus hin ausgerichtet, sondern auf das schlichte Bühnendasein selbst. Wenn jemand aus dem Schlaf erwacht und von einer Menschenmenge dafür bejubelt wird, dass er gerade einen tollen Traum hatte, wird er das als grotesk empfinden. Und so ähnlich fühle ich mich im ersten Moment nach dem Fallen des Vorhangs, wenn der Applaus anhebt.

Wie weit färbt es auf das Privatleben ab, dass man stets eine andere Existenz überstreift?

Norbert Ernst: Wenn ein Sänger allein ist, ein Single ist, besteht sicherlich die reelle Gefahr, dass er sich abseits der Bühne in den diversen Persönlichkeiten verliert wie in einer Spielsucht. Gott sei Dank habe ich meine Frau und meine Kinder um mich – und man kann sich vorstellen, wie vollkommen egal es meinen Kindern ist, was für einen Charakter ich am Tag zuvor dargestellt habe. Ich bin also durch meine Familie glücklich geerdet.