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Ich mag "körperliches" Theater

Vor 16 Jahren debütierten Sie an der Staatsoper: in Cavalleria rusticana, als Lola. Können Sie sich an den ersten Auftritt an diesem Haus erinnern?
Elına Garanca: Sehr klar und deutlich – und ich werde diesen Abend auch niemals vergessen. (lacht) Sein Debüt an der Wiener Staatsoper kann man ja gar nicht vergessen. Ich stand auf diesem Balkon und spürte die Aufmerksamkeit und Erwartung des Publikums. Plötzlich wusste ich nicht: zittert der Balkon oder zittere ich?

Haben Sie als Lola die Santuzza beachtet, vielleicht sogar beobachtet?
Elına Garanca: Absolut! Wobei damals noch nicht klar war, wie mein Weg verlaufen würde. Ich sang ja viele kleine Rollen und viel Mozart und das ist stimmlich natürlich eine ganz andere Welt. Es stellte sich also die Frage, ob ich jemals bis zu einer Santuzza kommen würde? Aber: Ich habe mit großem Interesse zugehört und zugeschaut wie meine Kolleginnen, wie zum Beispiel Waltraud Meier, die Rolle gestalteten. Und ich habe ein wenig von Santuzza geträumt und gehofft, dass dieser Traum eines Tages wahr werden würde. Der Tag ist nun gekommen!

Santuzza sangen Sie zuvor in Paris und London. Man kann sagen, die Rolle ist gut „eingesungen“.
Elına Garanca: Das stimmt, aber ich bin ohnehin jemand, der sich rechtzeitig auf einen Auftritt vorbereitet. Einen Monat vor der Probe zum ersten Mal in den Klavierauszug zu schauen, das mag ich gar nicht und mache es daher auch nicht. Mit wichtigen Partien beginne ich in der Regel gut ein Jahr vor der Premiere.

Ausschnitte aus dieser Oper sangen Sie vor Ihrem eigentlichen Rollendebüt in Konzerten. Machen Sie das im Zuge einer Vorbereitung auf die Partie?
Elına Garanca: Ja, weil mir diese Vorgangsweise eine gewisse Sicherheit gibt. Wenn ich die zentralen Arien oder Duette schon öffentlich vor Publikum gesungen habe, nimmt das den Druck, den man bei einem Rollendebüt automatisch hat. Das Debüt selbst bleibt ja ohnehin immer spannend. Denn man merkt ja erst beim Durchsingen vor Publikum, wie viel Kraft man braucht und wie sich eine Partie als Ganzes anfühlt. Die Einteilung, die eine Rolle braucht – die kann man in Wahrheit nur in einer echten Aufführungssituation lernen. Denn selbst wenn man Durchläufe probt – vor Publikum ist man immer mehr, anders gefordert!

Viele Sängerinnen bezeichnen Santuzza als einen der besonders großen Schritte in der Stimmentwicklung. Sehen Sie das auch so?
Elına Garanca: Eboli ist auch ein großer Schritt. Aber natürlich: Santuzza leidet und „schreit“ mehr, ist Verismo pur. Mezzos haben ja an sich wenige vergleichbar starke Rollen, wenn man Wagner (und das ist dann noch einmal eine Stufe drüber) ausklammert. Wer sich also entscheidet, eine Santuzza zu singen, der wagt sich weit ins dramatische Repertoire. Wobei… vor einiger Zeit stieß ich wieder auf eine Aufnahme mit Agnes Baltsa als Santuzza, die ich früher schon gehört hatte. Vor zehn Jahren dachte ich „Wahnsinn, so viel Kraft, wie sie sich reinhaut!“ Nun aber merkte ich, wie viel Lyrisches und Belcanteskes sie einsetzt. Die Musik spricht ja für sich, da muss man ja nicht durch das Theater rasen, damit das Publikum versteht, wie sehr Santuzza leidet.

Besteht dieses Leid mehr aus Verzweiflung oder aus verletztem Stolz?
Elına Garanca: Ich denke, dass Santuzza ein starkes Gefühl für Moral, für ein korrektes Verhalten hat. Das trägt sie. Und dann kommt etwas, das sie aus der Bahn wirft. Natürlich: Da sind auch viel Verzweiflung und Eifersucht, dass eine Lola überhaupt sein kann. Ich denke aber, dass die Sache gar nicht so einfach ist. Denn Turiddu war ja zuvor in Lola verliebt, das hätte ja unter anderen Umständen gut ausgehen können. Das ist Santuzza klar. Wenn sie also über sein gebrochenes  Herz hinwegsieht und glaubt, dass sie ihn ganz gewinnen und für sich haben kann, weil sie ihn so sehr liebt und braucht, dann hat das auch den Anflug von Egoismus. Aber die Liebe ist eben, wie sie ist.

Sie meint es aber ganz ernst? Sie ist kein Spiegelbild von Turiddu, keine Schürzenjägerin?
Elına Garanca: Für sie, meine ich, ist es ganz ernst. Es könnte ja geradezu eine Obsession sein, dass sie jemanden gefunden hat, auf den sie das Glück, das ihr in ihrem Leben vielleicht gefehlt hat, projiziert. Dass sie ihr bisheriges Leben hinter sich lassen und etwas finden will, was sie nie gehabt hat. Man kann sich hier viele Vorgeschichten ausdenken. Warum ist sie zum Beispiel eine Außenseiterin? Hat das Gründe? Oder ist sie einfach keine Partylöwin und tut sich mit Menschen schwer? Man kann die Figuren fast durch eine Psychoanalyse laufen lassen … Das Verhältnis zwischen den beiden ist ja ungemein spannend, und wie man die Schuld in der Geschichte beurteilt, ist immer auch eine Frage der Perspektive und Interpretation. Liebe ist ja nicht so einfach, wie wir wissen. Je älter man wird, umso mehr erkennt man, dass die Liebe unterschiedlichste Formen annehmen kann. Man kann gleichzeitig zwei oder drei Menschen lieben, nur eben nicht auf die gleiche Art. Dieses naive Romeo und Julia-Gefühl, das man mit 15 oder 18 hat, dieses Bis-dass-der-Tod-euch-Scheidet, das kann sich ja ändern. Auch damit müssen sich Turiddu und Santuzza auseinandersetzen. Es gibt so viele Möglichkeiten, diese Oper zu zeigen!

Aber wieweit plant Santuzza den Verrat Turiddus? Sie weiß ja, was passieren wird, wenn sie Alfio die Wahrheit sagt.
Elına Garanca: Ich bin der Meinung, dass sie das nicht wirklich plant. Es ist dann eben doch eine Verzweiflungstat, sie sieht einfach rot. Hätte sie sich noch eine halbe Stunde ruhig hingesetzt oder wäre sie noch einmal in die Kirche gegangen – sie hätte Alfio wohl nichts gesagt, wäre weg gegangen, hätte vielleicht den Ort verlassen. Aber er läuft ihr just in diesem Moment über den Weg. Ich versuche ja immer, die Operncharaktere im Alltag wiederzufinden: Wenn Ehen oder Beziehungen kaputtgehen, dann ist da oft viel Zorn und es gibt heftigen Streit, Anschuldigungen, viel Hässliches. Aber in Wahrheit wünscht niemand demjenigen, der ihn verlassen hat, wirklich den Tod. Bei aller Enttäuschung und Wut. Und wenn man sich die Musik anhört, dann ist Santuzza ja keine rachsüchtige Abigaille, sondern kommt oftmals herzzerreißend und berührend daher.

Ist die Santuzza für Sie eher körperlich oder emotional anstrengend?
Elına Garanca: Beides. Emotional sowieso. Aber natürlich auch was das Singen betrifft. Die Lage der Santuzza ist schon sehr hoch – und schraubt sich im Laufe des Abends immer weiter in die Höhe. Dazu kommen große Sprünge, lange Phrasen. Da braucht es viel Energie. Santuzza ist wie ein Marathon in Sprintform: Man muss die gesamten 42 Kilometer in einer Stunde schaffen.

Planen Sie nach einer Santuzza-Serie eine Pause zur Erholung ein?
Elına Garanca: Das muss unbedingt sein. Eben, weil es einen sowohl physisch als auch psychisch fordert. Ich mag diese Art von „körperlichem“ Theater, wo man alles geben kann, aber selbstverständlich muss man ein bisschen vorsichtig sein. Abgesehen davon will ich nicht zu viel Santuzza auf einmal singen, damit die Partie für mich spannend bleibt. Wenn man jahrelang laufend eine Rolle singt, verbraucht sie sich und man kann das Interesse verlieren. Und ich finde die Musik zu packend und großartig, um nach drei Jahren fühlen zu müssen, dass ich keine Lust mehr auf sie habe. Es sind derzeit aber gar nicht so viele Inszenierungen am Laufen.

In nächster Zeit singen Sie viele Konzerte. Entspringt das einer Planung oder ergibt sich eine solche Konzert-Serie mehr oder minder zufällig?
Elına Garanca: Es hat mit Anfragen, aber auch mit Planung zu tun. Ich habe vor kurzem eine neue CD aufgenommen mit italienischen und lateinamerikanischen Liedern und singe das Programm nun auf einer entsprechenden Tournee. Abgesehen davon kommt der Sommer und es gibt viele Festivals, die mich eingeladen haben, das neue Programm zu singen. Das macht einen ja auch stolz, dass wichtige Veranstalter regelmäßig Einladungen aussprechen.

Wenn man sich Ihre aktuellen Opernauftritte anschaut, war Octavian die letzte ihrer Rollen, die ein glückliches Ende für sich verbuchen konnte. Das hat natürlich mit Opernstoffen zu tun, die oftmals schlecht enden, aber es häuft sich: Charlotte, Léonor, Carmen, Eboli, Dalila, Santuzza.
Elına Garanca: Ich denke, Menschen mögen traurige Geschichten an sich ganz gern. Man sitzt im Zuschauerraum, wischt sich eine Träne ab, ist gerührt, denkt: Eigentlich geht es mir gar nicht so schlecht. Ein herzzerreißendes Drama hat dann doch immer einen größeren Nachwirkungenseffekt als eine herzhaft durchgelachte Komödie!

Das Gespräch führte Oliver Láng


Cavalleria rusticana | Pietro Mascagni 
11., 15., 18., 23. März 2019

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