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Entscheidung für die Liebe

Lange hat sie mit der Rolle gezögert. Doch dann ging es in kurzer Zeit Schlag auf Schlag mit der Violetta Valéry: Lausanne, Mariinski-Theater in St. Petersburg, Met in New York, Pfingstfestspiele Baden-Baden, Deutsche Oper Berlin. Man sieht: La traviata nimmt inzwischen einen beachtlichen Stellenwert in Olga Peretyatko-Mariottis Auftrittsliste ein. Wobei natürlich auch weiterhin die Donizettis und Rossinis auf dem Plan stehen, abgeschmeckt mit Mozart, Bellini und weiteren Verdi-Partien. Konkret in letzter Zeit: unter anderem Gilda in Paris, Berlin und New York, Konstanze in Zürich, Berlin, Paris, Lucia in Tokio, Leïla in Berlin, demnächst folgen Fiorilla in München, Amina in Lausanne, Lucia an der Met, Figaro-Gräfin in Hamburg. Und eben die Violetta. Erstmals wird sie nun im September an der Wiener Staatsoper in dieser Rolle zu erleben sein, einer Partie, der sie eine Sonderstellung einräumt. Denn: „La traviata darf man als Oper nicht nur musikalisch wahrnehmen, sondern man sollte auch den Stoff an sich und das historische Umfeld beachten. Verdi – und natürlich auch Alexandre Dumas, der ja den zugrunde liegenden Kameliendame-Roman verfasste – haben sozialkritische Themen ins Spiel gebracht. Man muss ja nur an die Rolle der Frauen in der damaligen Zeit denken, daran, wie wenig selbstbestimmt ein durchschnittliches Frauenleben war. Der Vater, der Bruder, der Ehemann: das waren jene, die die Entscheidungen trafen. Daher müssen die Biografie und die Tragik der Violetta auch aus diesem Blickwinkel gesehen werden“, meint Olga. „Abgesehen davon ist die Oper dramaturgisch einfach genial gebaut! Das Wichtigste aber, fügt sie hinzu, „ist der intensive emotionale Aspekt des Werks – und gerade darum hat La traviata bis heute nichts an Wirkungskraft verloren.“ Ob sie sich nach all den Traviata-Erfahrungen noch rühren lassen kann? „Natürlich! Immer, wenn ich als Zuschauerin dabei bin, kommen mir beim Tod der Violetta die Tränen.“ Und auf der Bühne? „Mit dem Sterben auf der Bühne ist es so eine Sache“, meint Peretyatko-Mariotti. „Man muss da für sich eine gute Balance finden. Einerseits natürlich: 100 Prozent dabei sein, sonst wirkt es beiläufig und das Publikum glaubt die Szene nicht. Andererseits muss man immer die Sängerin bleiben und eine gewisse Distanz wahren. Weinen auf der Bühne – und das ist mir schon passiert – darf ich nicht, weil ich sonst nicht weitersingen kann. Es bleibt also eine Kontrolle, es bleiben Gedanken im Hintergrund. Mein Vater, der 35 Jahre auf der Bühne stand und alles erlebt und alles gesehen hat, meinte einmal: ,Olga, das bist nicht du, das sind Bühnenfiguren! Das ist Gilda, die getötet wird. Das ist Violetta, die stirbt. Und das ist Lucia, die verrückt wird. Das darfst du auf der Bühne nie vergessen!‘ Und er hatte natürlich recht. Ich muss mit vollem Einsatz spielen und singen, darf aber nie vollkommen zur Figur werden. Sondern über der Figur stehen. Und vor allem: Beim Abschminken wieder Olga werden.“

Der regelmäßig wiederholten Meinung, man bräuchte als Sängerin drei unterschiedliche Stimmen – Koloratur im ersten Akt, eine lyrische im zweiten, und schließlich lirico-spinto im dritten – um die Violetta zu singen, steht sie eher kritisch gegenüber. „Ich sehe das nicht. Meiner Meinung nach reicht es, wenn die Sängerin weiß, was sie tut beziehungsweise zu tun hat. Natürlich gibt es unterschiedliche Herausforderungen – leicht ist die Partie ja nicht – aber im Grunde singe ich die Violetta mit einer Stimme, mit meiner Stimme. Das Geheimnis ist, dem Charakter auf den Grund zu gehen. Und nicht nur gut zu singen, sondern auch gut zu spielen.“ Weiters braucht die Sängerin auch eine entsprechende Ausdauer und muss vor allem ehrlich und mit Hingabe gestalten. „Wenn man die Partie nur so runtersingt, die Koloraturen ordentlich absolviert und die berührenden Stellen einfach nur „schön“ gestaltet, dann ist das nicht genug. Das Publikum spürt, ob man mit ganzem Herzen und ganzer Seele bei der Sache ist. Und mit seiner ganzen Emotionalität.“

Wie aber sieht ihr eigenes, ganz persönliches Violetta- Bild aus, unabhängig von allen Regiekonzepten? „Eine gute Frage! Ich denke, wie auch immer eine Inszenierung aussieht – eine Sängerin braucht ihre eigene Violetta-Vision, die sie dann in alle szenischen Konzepte einfließen lassen kann. Also: Sie ist eine junge Frau, die nicht so lebt, wie sie es gerne würde. Sie wurde in diese Existenz hineingedrängt, aber selbst in ihrer misslichen Lage hat sie sich einen hellen Charakter bewahrt, ist nicht verbittert, zynisch oder zerstörerisch. Sie weiß, dass ihr Leben abläuft und spürt, dass ihr nicht mehr viel Zeit gegeben ist. Die Liebe? An die glaubt sie nicht mehr, dafür hat Violetta einfach zu viel gesehen, zu viel erlebt, zu viel erlitten. Gerade darum ist sie ja so überrascht, als Alfredo in ihr Leben tritt und sie mit ehrlichen Gefühlen berührt. Sie wusste nicht, dass es so etwas noch gibt.“ Wobei Olga lächelnd zugibt, dass dieser Alfredo emotional und in seiner Persönlichkeit Violetta das Wasser nicht reichen kann. „ Ja, leider bleibt er immer ein wenig infantil, ist etwas schwach. Aber das gleicht sie ja aus, mit ihrem großen Herzen und ihrer Menschlichkeit. Nur aus der Menschlichkeit heraus kann sie das ganz große Opfer bringen: auf ihren Alfredo und die Liebe ihres Lebens verzichten. Sie erkennt – und hier sind wir wieder bei den sozialen Bedingungen der damaligen Zeit – wie abhängig das Lebensglück der fremden Frau, der Schwester Alfredos, von ihrer Entscheidung ist. Sie versteht, was passieren könnte, wenn sie nicht verzichtete. Der Moment des Bruchs ist das „Dite alla giovine“, in diesem Augenblick entscheidet sie das Schicksal aller. Und ab diesem Moment wird alles, wirklich alles tragisch im Leben der Violetta. Alle Hoffnung ist dahin … Warum sie dieses Opfer erbringt? Sie bringt es für ihre Liebe. Für Alfredo …“


Oliver Láng


La traviata | Giuseppe Verdi
24., 27., 29. September
2. Oktober 2017
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