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Eher ein Bauchtyp

René Pape gehört zu den bedeutendsten Sängerpersönlichkeiten der Gegenwart – an der Wiener Staatsoper konnte ihn das Publikum bislang in Werken von Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven erleben. Im Mai singt er hier erstmals die Titelpartie in Boris Godunow und danach erneut den Philipp II. Mit Andreas Láng sprach René Pape unter anderem über Charisma, Konkurrenz auf der Bühne, das Dunkler-Färben der Stimme und über Intuition.

Mussorgskis Kompositionsweise galt zu seiner Zeit in vielen Punkten als handwerklich fehlerhaft. Hat dies auch Auswirkungen die den Sänger betreffen? Ist Mussorgski vielleicht unangenehmer zu singen als etwa ein Verdi?

René Pape: Zumindest meine Partie, also jene des Boris, ist sicher nicht weniger sängerfreundlich als der Philipp oder sonstige wichtige Basspartien. Und wenn man anderes von Mussorgski kennt, beispielsweise seine Lieder, dann wird einem auch die Notation nicht ungewöhnlich vorkommen. Natürlich schreibt Mussorgski anders als Verdi, Wagner oder Mozart, aber als handwerklich fehlerhaft empfanden seine Werke nur einige Professoren vor mehr als hundert Jahren. Außerdem betreffen die angeblichen Regelverstöße eher Fragen der Modulation, der Harmonik, der Themenentwicklung und weniger die Gesangsstimmen.

Es existieren sowohl von Boris Godunow als auch von Don Carlo mehrere Fassungen. Ist es nicht mühsam, für jede Bühne eine andere Version einzustudieren?

René Pape: (lacht) Insofern nicht, als ich bislang immer jene Boris-Version gesungen habe, die auch in Wien gespielt wird – nur einmal in New York, da wurde auch der Polen-Akt gegeben, doch in diesem kommt ja die Titelfigur nicht vor. Ähnlich verhält es sich auch beim Don Carlo: Ob es sich um die italienische vieraktige oder die italienische fünfaktig Fassung handelt, spielt für den Philipp keine Rolle – er kommt in der fünfaktigen Version im zusätzlichen Akt nicht vor – und ein französischer Don Carlos hat sich bisher für mich nicht ergeben.

Inwieweit ist es ein legitimes Ausdrucksmittel, die Stimme beispielsweise dunkler zu färben, um anzudeuten, dass es sich um einen bösen Charakter handelt …

René Pape: … oder um älter zu wirken. So etwas lehne ich generell ab. Selbstverständlich erfordern die komponierte Musik, das Libretto, handlungsbedingte Wut- oder Freudenausbrüche und ähnliches unterschiedliche Farben vom Interpreten – die kommen aber vom Ausdruck her, nicht von einer künstlich abgedunkelten Stimme.

Gibt es Rollen, die Sie eher aus dem Bauch heraus interpretieren und solche, die Sie eher analytisch angehen?

René Pape: Sicherlich lese ich gerne die Literatur rund um jene Werke, die ich einstudiere, die mir noch neu sind. Aber von Haus aus bin ich trotzdem eher ein Bauchtyp, als der Intellektuelle, der eine Partie nur durch die Ratio verstehen möchte. Wenn man das ernst nimmt, was in den Noten steht, was der Text sagt und sich dann seiner Intuition überlässt, dann kann, meiner Meinung nach, nicht viel schief gehen.

Apropos Intuition: Wie viel diesbezüglichen Freiraum hat ein Opernsänger überhaupt – schließlich ist er nicht allein auf der Bühne wie beim Liederabend?

René Pape: Das hängt von den Partnern respektive vom Dirigenten sowie durchaus auch von der Inszenierung ab. Im Idealfall gibt es ein schönes Geben und Nehmen. Wenn aber der Dirigent nach der Vorstellung womöglich noch einen bestimmten Flug erwischen möchte und die Tempi daher grundsätzlich sehr zügig nimmt – was schon vorgekommen sein soll – dann müssen die Sänger darauf achten, dass sie genügend Atem haben, da bleibt weniger Raum für Intuition (lacht).

 Merken Sie selbst, wenn Sie eine Rolle über einen längeren Zeitraum immer wieder singen, dass sich etwas im Ausdruck, in der Interpretation nach und nach verändert oder passiert so ein unentwegter Wechsel unbewusst?

René Pape: Sowohl als auch. Man singt nun einmal einen Sarastro mit Mitte zwanzig anders als mit Anfang fünfzig. Der Körper hat sich verändert, die Stimme hat sich weiter entwickelt, klingt reifer, die Arbeit mit unterschiedlichen Dirigenten, Kollegen, Regisseuren hat zusätzlich Weichen gestellt und Eindrücke hinterlassen. Manche Aspekte der Veränderungen bekommt man bewusst mit, auch ohne große Selbstanalyse, andere wohl weniger.

Vielleicht lässt sich diesbezüglich einiges an den eigenen Eintragungen im Klavierauszug ablesen?

René Pape: Nun, ich schreibe gerne manche Hinweise zur korrekten Vokalfärbung einer mir weniger geläufigen Sprache in die Noten oder Vorgaben diverser Dirigenten, Regieanweisungen und ähnliches – aber keine Interpretationsnuancen.

Nach einer Tristan-Aufführung braucht der Tenor der Titelpartie ein paar Tage Ruhe, bevor er wieder auf die Bühne kann, gibt es für Bässe vergleichbar kräfteraubende Rollen?

René Pape: Klarerweise würde ich am Tag nach einem Philipp- oder einem Boris-Auftritt keinen Schumannliederabend geben. Nichtsdestotrotz sind die meisten Bass-Rollen so geschrieben, dass sich der jeweilige Sänger relativ rasch wieder regenerieren kann. Lediglich der Walküren-Wotan zieht eine längere Erholungsphase nach sich, aber da handelt es sich um eine Ausnahmepartie.

Als Sie an die Musikhochschule in Dresden aufgenommen worden sind, meinten die Professoren, dass es bei Ihnen nur für den Chorsänger reichen wird …

René Pape: … „eventuell“ …

… „eventuell“ für den Chorsänger reichen wird. Die hatten sich wohl ziemlich vertan. Woran haben Sie selbst schließlich bemerkt, dass Sie – salopp gesagt – sehr gut sind?

René Pape: Da könnte man viele Antworten geben (lacht). Die ersten Wettbewerbspreise, die Tatsache, dass man an wichtige Bühnen wiederholt engagiert wird und einem schon bald bedeutende Partien angetragen werden, dass man mit namhaften Dirigenten zusammenarbeiten darf, das alles zeigt an: der eingeschlagene Weg ist richtig.

Und, dass Sie Bühnenverdrängung haben – wann haben Sie das bemerkt?

René Pape: Bühnenverdrängung – das ist nett gesagt – das klingt, als ob ein Walross auf die Bühne käme und Bühnenliter verdrängt (lacht).

Sagen wir besser Charisma. Wenn Sie auf der Bühne bloß stehen, schaut das Publikum bereits hin.

René Pape: Das ist auch gut so! Ich will ja niemandem die Show stehlen, aber für mich ist der schauspielerische Aspekt ebenfalls sehr wichtig und auf der Bühne bin ich in der Rolle sozusagen drinnen, spüre den Charakter der darzustellenden Figur förmlich. Das führt wahrscheinlich zu einer gewissen Präsenz – wobei es wichtig ist, die Partner einzubeziehen … das Gemeinsame ergibt ja erst das Ganze: Ein Abend mit gut singenden und gut schauspielenden Kollegen ist etwas Herrliches!

Kann es andererseits nicht vorkommen, dass man gelegentlich auf der Bühne mit anderen um die Gunst des Publikums konkurriert?

René Pape: Mir ist das zum Glück noch nie passiert. Ich stehe sicher nicht auf der Bühne, um mit einer Kollegin oder einem Kollegen in einen Wettstreit zu treten. Wenn ein Sänger womöglich meint einen Konkurrenzkampf ausfechten zu müssen, kann er das tun, aber ich bin professionell genug, um da nicht mitzumachen. Und ich glaube, das Publikum honoriert es, wenn es merkt, dass einer sich unnötig abringt und der andere ganz gelassen die Partie zu Ende singt. Nein wirklich, ich mache meinen Beruf nicht um des Beifalls Willen, sondern weil er mir Spaß macht und die Zuschauer einen schönen Abend erleben können, der Emotionen wachruft, der sie zu Gedanken anregt, der einfach Freude macht. Ich glaube, so eine Einstellung überträgt sich und bewirkt ein deutlich positiveres Feedback, als ein sinnloser Sängerwettstreit! Dafür wurden Opern komponiert! (lacht wieder).