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Die Erlösung der Welt

"Als ich keines Wortes fähig aus dem Festspielhaus hinaustrat, da wusste ich, dass mir das Größte, Schmerzlichste aufgegangen war, und dass ich es, unentweiht mit mir durch mein Leben tragenwerde.“ – Nein, nicht Richard Wagner sprich thier über seinen Parsifal, sondern der junge Gustav Mahler, späterer Hofoperndirektor. Und tatsächlich: Dem Parsifal gebührt ein Sonderplatz in der langen Ahnengalerie der großen Musiktheaterwerke – und das seit Anfang an. Denn kaum ein anderes Opernwerk kann bis heute eine solche Aura des Außerordentlichen erzeugen ...

Letzte Werke haben oftmals etwas Enigmatisches, Vermächtnishaftes, Mythisches. Von außen betrachtet, weil man – aus der Sicht des Nachgeborenen – sich dieses Letzten bewusst ist und (unbewusst) eine Transzendenz hineinfließen lässt. Doch auch aus der Innensicht des Autors tragen diese Werke – man denke nur an Verdis Falstaff – oftmals eine abschließende Weisheit, eine Reflexion in sich. Eine Summe des Lebens, ein Ergebnis des Suchens. Im Falle von Richard Wagners Parsifal ist die Tendenz des Hinausweisens über das Gegenwärtige jedoch nicht nur ein mehr oder weniger zufälliger Reflex, sondern genau so gewollt und der gerade zu programmatische Urgrund des Werks. Das zeigt sich bereits im Untertitel, handelt es sich aus Wagners Sicht beim Parsifal doch um mehr als nur eine Oper – um ein Bühnenweihfestspiel!

KEINE OPER, EIN BÜHNENWEIHFESTSPIEL

In dieser Bezeichnung werden gleich zwei wesentliche Aspekte des Parsifal angesprochen. Das Festspiel und die Weihe. Das Festspiel: Ein Kern in Wagners Weltanschauung, der die Besonderheit einer öffentlichen künstlerischen Betätigung hervorstreichen soll. Kunst, Theater, Musiktheater dürfen nach Wagner nicht nur die Funktion des alltäglichen kleinen Vergnügens haben, sondern müssen einen Ausnahmecharakter besitzen, der das Publikum in eine entsprechende Erwartungshaltung bringt. Wenn schon ein großes Werk, dann unter großen, nach Möglichkeit sogar einmaligen Bedingungen. Wagner schwebte in der Kunstausübung die griechische Antike vor, in der die Theateraufführungen einen Festtagscharaktererhielten und eine enorme soziale Funktion hatten. Denn nicht um das reine Schöne und Behaglich-Erlebte ging es da, sondern um eine Verhandlung der eigenen Geschichte und Gegenwart. Hier sollte das Publikum durch Miterleben und Mitleidender Handlung innerlich gereinigt werden, hier sollten die Probleme des Soziallebens besprochen werden. Genau diese Form des, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit umgreifenden Theaters, wollte Wagner verwirklichen – am besten übrigens bei freiem Eintritt, um wirklich allen, unabhängig von Standesunterschieden, die Anwesenheit zuermöglichen. Aus diesem Gedanken entstand das Festspielhaus in Bayreuth, wobei die Sache mit dem freien Eintritt schon zu Wagners Zeiten nicht klappen sollte …

DIE HANDLUNG

Im Parsifal begegnet man dem leidenden Gralskönigs Amfortas, der einst auszog, um seinem Gegenspieler Klingsor das Handwerk zu legen. Dieser Klingsor, selbst ein ehemaliger Gralsritter, hatte aus Angst, das strenge Keuschheitsgebot nicht einhalten zu können, sich selbst entmannt und war darum aus der Gralsgemeinschaft ausgeschlossen worden. Aus Rache errichtete er ein Zauberreich, in dem „teuflisch holde Frauen“ die Ritter verführen sollten. Als nun Amfortas Klingsor besiegen wollte, wurde er selbst von Kundry (die verflucht ist, da sie Christus am Kreuzweg verlachte) verführt, verlor den heiligen Speer, mit dem Klingsor ihm eine nicht zu heilende Wunde schlug. Nicht zuheilen? Doch, allerdings nur mit Hilfe eines reinen Tors, der „durch Mitleid wissend“ werden würde. Dieser reine Tor ist nun Parsifal, der unwissend und unbedarft zu den Gralsrittern stößt, das Leiden Amfortas’ erlebt, aber zunächst nicht begreift. Verständnis für die (seelische und körperliche) Wunde des Gralskönigs erlangt er erst nach langen Umwegen und dem Zusammentreffen mit Kundry bei Klingsor, die ihn zu verführen versucht. Doch sie versagt und so kann auch Klingsor Parsifal mit dem heiligen Speer nicht treffen. Klingsors Reich wird durch Parsifal zerstört, Kundry erlöst. Gereift erreicht Parsifal schließlich die Gralsburg, heilt mit dem heiligen Speer Amfortas und wird neuer Gralskönig.

WIE RELIGIÖS IST DER PARSIFAL?

Der zweite Begriff ist die Weihe. Auch hiergriff Wagner auf griechische Antike zurück, in der Theateraufführung und Kult nicht nur eng zusammenhingen, sondern den selben Ursprung hatten. Parsifal trägt also – je nach interpretatorischer und inszenatorischer Gewichtung – eine Auseinandersetzung mit Religion in sich. Und es fließen eine Reihe von religiösen, genauer: buddhistischen, vor allem aber christlichen Motiven in das Werk ein. Das fängt beim Gral an, reicht über Aspekte aus dem Neuen Testament bis hin zum Karfreitagszauber. Und doch ist kaum zu behaupten, dass der Parsifal von Grund auf ein Werk mit einer punktgenauen, theologisch korrekten oder auch nur institutionell gedachten Ausrichtung ist. Wagner behandelte die Religion genau so, wie er Stoffe und Themen generell behandelte: Er sog Vorhandenes in sich auf, ließ es lange Zeit in sich arbeiten und entwickelte dann eine persönliche Sicht der Sujets, die den Anstrich des Historischen und aus der Vergangenheit Überlieferten hatten, aber durch und durch individuell gefärbt waren. Das war beim Nibelungenmythos so und das war auch in der Gralsgeschichte so.
Es ist also eher ein Bekenntniswerk eigener Anschauungen, das Wagner in das Gewand des Mythos‘ kleidete. Und das durchaus gewagt. „Mitgroßer Behutsamkeit“, wie er schrieb, wäre eine gedankliche Verbindung der Alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte mit dem Parsifal möglich Wie das? Indem Sündenfall und Erlösungsgeschichte zitiert werden. „Adam und Eva wurdenwissend“, meint Wagner, „an diesem Bewusstsein hatte das Menschengeschlecht zu büßen in Schmach und Elend, bis es durch Christus erlöst ward.“ Und nun, gleichnishaft, ist der Parsifal verwandt: „Adam – Eva: Christus. – Wie wäre es, wenn wir zu ihnen stellten: Amfortas – Kundry: Parsifal?“ Parsifal ist also der Erlöser, der Auserwählte, wie Klingsor ein gefallener Engel ist, der aus der Gralsgemeinschaft ausgeschlossenwurde. Zu diesen sakralen Elementen mischten sich Aspekte der Philosophie Schopenhauers, die Wagner eifrig rezipierte.

PARSIFAL – EIN LEBENSTHEMA

Parsifal wurde in Bayreuth im Jahr 1882 uraufgeführt – die Entstehungsgeschichte aber reicht Jahrzehnte zurück und ist so langgestreckt wie von kaum einem anderen Werk. War man bei Wagner ausführliche Entstehungszeiten von Werken gewohnt, so ist Parsifal doch ein ganz besonderer Fall. Denn die ersten Annäherungen lagen im Jahr 1845, als der Komponist mit seiner Ehefrau Minna Urlaub im nordböhmischen Marienbad machte und dort die Schriften Wolfram von Eschenbachs studierte. „Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bach gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs mich zu unterhalten“. Aus dieser Beschäftigung entsprang – lang vor dem Parsifal – erst einmal der Lohengrin, in dem Parsifal bereits namentlich vorkommt. (Man erinnere sich: Lohengrin singt zuletzt: „Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt / mein Vater Parzival trägt seine Krone / sein Ritter bin ich / bin Lohengrin genannt.) Und auch später, in Tristan und Isolde, sollte Wagner an das Gelesene anknüpfen. Ursprünglich plante Wagner übrigens, den Parsifal in Tristan als Nebenrolle mitspielen zulassen. Diese kleine Episode sparte Wagner jedoch aus und hob sich den umherziehenden Parsifal für ein eigenes Werk auf. Nach einem ersten Parsifal-Prosaentwurf 1865 nahm er die Arbeit ab 1877 auf und vollendete sie 1882; im selben Jahr – am 26. Juli – dann die Uraufführung im Bayreuther Festspielhaus. Diese (von Wagner überwachte) Produktion wurde als Heiligtum gehandelt und durfte nicht verändert werden, erst in den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden erste, vorsichtige Neuerungen durchgeführt. Lange war Parsifal – nach dem Willen Wagners – (mit wenigen Ausnahmen) exklusiv nur in Bayreuth zu erleben. Erst nach dem Auslaufen der Schutzfrist wurde Parsifal überall auf der Welt gespielt, an der Wiener Hofoper erstmals am 14. Jänner 1914.

PARSIFAL IN WIEN

Seither sind 325 Aufführungen des Bühnenweihfestspiels im Haus am Ring erklungen, nach dem Erstaufführungsdirigenten Franz Schalk standen hier Meister wie Clemens Krauss, Josef Krips, Rudolf Moralt, Felix von Weingartner, Hans Knappertsbusch, Horst Stein, Christoph von Dohnányi, Peter Schneider, Herbert von Karajan, Simon Rattle, Franz Welser-Möst, Adam Fischer oder Christian Thielemann am Pult. Inszenierungen stammten unter anderem von Karajan, August Everding und Christine Mielitz. Und was die Sänger betrifft, so war hier quer durch die Zeiten die Crème de la Crème zu erleben. Und genau auf diesem hohen Niveau geht es auch beider aktuellen Premiere weiter (siehe Kästen): Unter Semyon Bychkov singen unter anderem Christopher Ventris, Gerald Finley, Nina Stemme, Hans-Peter König, Jochen Schmeckenbecher.

DAS AKTUELLE REGIEKONZEPT

Die Inszenierung der Neuproduktion stammt von Alvis Hermanis: Der in Riga geborene Regisseur, der unter anderem am Burgtheater, bei den Salzburger Festspielen, an der Mailänder Scala, der Münchner Staatsoper, bei den Wiener Festwochen, in Berlin, Zürich und in vielen weiteren europäischen Städten wirkte, debütiert mit dieser Arbeit an der Wiener Staatsoper. Sein Inszenierungskonzept verlagert die Parsifal-Handlung in die Zeit vor den Ersten Weltkrieg und nach Wien. Denn diese Stadt, so Hermanis, war um 1900, was Kunst und Wissenschaft betrifft, ein „Laboratorium für die ganze restliche Welt.“ Musik, Literatur, bildende Kunst, Architektur, Technik, Medizin, Forschung, nicht zuletzt die Psychoanalyse wurden an diesem Brennpunkt weitergebracht, Wien war das, was „Silicon Valleyfür das 21. Jahrhundert ist.“ Als Kunstgriff verbindet Hermanis den Kosmos des Wagnerschen Parsifal mit der Wiener Architekturwelt Otto Wagners, indem er in seinem Bühnenbild ganz konkrete Zitate aus dessen Bauten bringt. Zentral ist dabei das Krankenhaus-Komplex in Steinhof bzw. die Otto Wagner-Kirche. Die Suche nach dem Gral ist bei Hermanis auch eine Suche nach geistiger Entwicklung, und so sind Gurnemanz und Klingsor zwei Ärzte, die – im Sinne einer Gut-Böse-Trennung – um die Vorherrschaft über den Geist ihrer Patienten ringen. Die Patienten wiederum – zu ihnen gehören Amfortas und Parsifal – befinden sich nicht nur in der Realität um 1900, sondern erspielen sich die Handlung der Oper als Therapie. Und so verbinden sich diese beiden Zeitschienen miteinander und die Konturen zwischen Spiel und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein verschwimmen. Wie in seiner Trovatore-Inszenierung in Salzburg, bei der scheinbar Unbeteiligte in eine Gemäldelandschaft eines Museums eintauchten, spielt Hermanis auch diesmal mit der Überlagerung unterschiedlicher Ebenen. Dabei soll sein Konzept nicht dogmatisch verstanden werden, sondern als eine mögliche Interpretation des Werkes, eine mögliche, persönliche Erzählung der Geschichte. Gelingt dies ,so wird sich auch bei diesem Parsifal so mancher, im Einklang mit Friedrich Nietzsche, fragen: „Hat Wagner je etwas Besseres gemacht?“

 Oliver Láng


SEMYON BYCHKOV

Wenn Semyon Bychkov am 30. März 2017 ans Pult des Staatsopernorchesters treten wird, um Parsifal zur Premiere zu bringen, wird dies sein insgesamt 37. Auftritt als Staatsopern-Dirigent sein. Und blickt man in seine hiesige Aufführungsstatistik, so dominieren – wie könnte es anders sein – Strauss und Wagner. Dies ist auch das Repertoire, das der in St. Petersburg geborene Dirigent besonders nahe am Herzen trägt. Dieses, und – auch das dokumentiert sein Wirken an der Staatsoper – das russische Fach. Was Staatsopern-bezogen so viel bedeutet wie: Tristan und Isolde, Lohengrin, Elektra, Daphne, Chowanschtschina – und jetzt eben Parsifal. Wobei diese besondere Affinität zuden genannten Komponisten keinesfalls als Begrenzung zu verstehen ist: Wer Bychkovs musikalischen Spuren folgt, der wird an einviel breiteres Spektrum denken. An Bachs h-Moll-Messe etwa, die er mit den Wiener Philharmonikern interpretierte; an Werke von Gustav Mahler, von Mozart und Joseph Haydn, auch von zeitgenössischen Komponisten. Das alles schließt der Bychkovsche Kosmos ein – und doch eben die besondere Betonung auf Wagner, Strauss, Schostakowitsch, Mussorgski, Tschaikowski.


DIE SÄNGER

Erstmals wird KS Nina Stemme an der Wiener Staatsoper die Partie der Kundry übernehmen. Die Kammersängerin gestaltete im Haus am Ring eine Anzahl an zentralen Partien, wie etwa die Ariadne, Senta, Marschallin, Minnie, Leonore, Tosca, Leonora (Forza del destino), Isolde, Sieglinde, Brünnhilde (Walküre,Siegfried, Götterdämmerung) und zuletzt Elektra.

Den Parsifal gibt Christopher Ventris, der die Partie an diesem Haus schon elfmal gestaltet hat. Weitere Rollen des Tenors an der Wiener Staatsoper waren unter anderem Jim Mahoney (Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny), Siegmund und Andrei Chowanski.

Als Amfortas ist Gerald Finley zu hören, der an der Wiener Staatsoper 2012 als Conte Almaviva in Le nozze di Figaro debütierte und auch noch den Förster im Schlauen Füchslein sang.

Jochen Schmeckenbecher, er gestaltete an der Wiener Staatsoper unter anderem Musiklehrer (Ariadne auf Naxos), Alberich (Rheingold, Siegfried, Götterdämmerung), Kurwenal (Tristan und Isolde) und Faninal (Rosenkavalier), wird den Klingsor singen.

René Pape gestaltet den Gurnemanz (30.3./2.4).
Die Vorstellungen am 9., 13. und 16. April singt Kwangchul Youn.

Jongmin Park ist als Titurel zu hören.


Parsifal | Richard Wagner
Premiere: 30. März
Reprisen: 2., 6., 9., 13., 16. April
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