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Der Blick in Ortruds Seele

Fangen wir mit Ihrem Staatsopern-Einspringen als Marschallin im Jahr 2017 an. Ist das eine Rolle, die Sie immer „griffbereit“ haben? Die Sie also praktisch jederzeit singen könnten?

Linda Watson: Ich würde sagen, es kommt darauf an! Grundsätzlich: Wenn ich mit einer Partie oft auf der Bühne gestanden bin und der letzte Auftritt nicht zu weit zurückliegt, dann ist die Rolle wirklich griffbereit. Im Falle der Marschallin ist es so, dass ich sie früher oft gesungen habe – nur nicht in Wien. Aber ich kenne die Schenk-Inszenierung gut, es gab ja praktisch dieselbe Produktion auch an anderen Opernhäusern.

Die Vorzeichen waren demnach günstig… Wie spontan haben Sie ja gesagt, als Sie gefragt wurden?

Linda Watson: Ich saß bei Dominique Meyer und wir sprachen über ganz andere Rollen, da bekam er die Nachricht, dass die Marschallin für den nächsten Tag abgesagt hätte. Er schaut mich an und sagt: „Also?“ Und ich frage: „Was also?“ Er: „Wie wäre es mit der Marschallin?“ Da bin ich es schnell im Kopf durchgegangen: Bin ich gesund? Ja! Bin ich müde? Nein! Kann ich die Partie: Ja! Er war clever und hat ein wenig über andere Dinge geredet, um mir Zeit zu geben. Schließlich hat er noch einmal gefragt: „Also?“ Und ich sagte: „ Ja!“ Die Sache hat übrigens ihren zusätzlichen Reiz: In Wien die Marschallin, in dieser Inszenierung, mit diesem Orchester – das ist doch ein Traum! Und in solchen Fällen kommt noch eine zusätzliche Energie dazu, die Energie der Herausforderung.

Was aber machen Sie, wenn Ihnen die Inszenierung nicht so vertraut ist?

Linda Watson: Man lernt vor einem Einspringen natürlich immer das Wesentliche einer Regiearbeit – je nachdem, wie viel Zeit man hat. Bei der Elektra in der aktuellen Produktion, in der ich 2015 ja kurzfristig die Titelpartie übernahm, wusste ich immer, was ich mache. Nur das ganze Drumherum, was die anderen machen – das ist einem bei einem kurzfristigen Einspringen nicht ganz so vertraut. Wenn man mehr Zeit hat, studiert man das natürlich auch.

Wenn Sie nur noch ein paar Stunden haben, schauen Sie dann in den Klavierauszug? Worauf fällt Ihr Blick? Schlüsselstellen?

Linda Watson: Eine halbe Stunde nach dem „ Ja“ stand ich beim Repetitor und ging die ganze Oper durch. Ganz generell: Der Klavierauszug ist bei mir immer offen. Egal bei welcher Rolle. Er liegt in der Garderobe und ich schaue immer wieder hinein.

Den Charakter der Marschallin liebt jeder, Brünnhilde kann faszinieren. Elektra ist zwar nicht liebenswert, aber man kann sie zumindest verstehen. Wie sieht es mit Ortrud aus? Entwickeln Sie im Laufe der Beschäftigung Sympathien, oder zumindest Verständnis?

Linda Watson: Verstehen! Das ist ein guter Punkt! Man muss lernen, Ortrud zu verstehen! Meine erste Lohengrin-Produktion erlebte ich in Bayreuth, Regisseur war Keith Warner, ich sang in dieser Inszenierung fünf Jahre lang. Warner, ein genialer Regisseur, hat mir eröffnet, dass Ortrud kein einseitiger Charakter ist, sie ist nicht einfach „böse“. Man darf sie daher nicht so geradlinig spielen. Sie zeigt ihre wahren Gefühle nicht direkt, sondern immer nur hinter dem Rücken von Elsa. Das Publikum sieht das und kann quasi in das Seelenleben von Ortrud hineinschauen. Da erblickt man plötzlich das Verletzliche, eine ungeliebte Kindheit, eine ungeliebte Frau. Wenn man in diesen Charakter hineingräbt, dann blüht er auf. Dann wird Ortrud eine vollständige Person, nicht nur die dunkle Gegenspielerin von Elsa.

Jedenfalls aber ist sie die dunkle, manipulative Gegenspielerin von Lohengrin.

Linda Watson: Das schon, aber warum ist sie, wie sie ist? Weil sie möchte, dass ihr Clan weiter an der Macht bleibt. Dafür kämpft sie. Für ihre Götter. Für ihre Religion. Wir alle wissen wie es ist, wenn eine Überzeugung ganz tief in uns steckt, womöglich von den Eltern übernommen. Wir möchten sie verteidigen. Für Ortrud ändert sich plötzlich alles, sie bleibt in ihrer Existenz alleine. Und dagegen kämpft sie an. 

Immerhin hat sie noch ihren Mann.

Linda Watson: Der auch alles verloren hat. Ich finde das Verhältnis zwischen diesen beiden besonders spannend. Es scheint so etwas Animalisches zwischen ihnen zu geben, ein enorm starker, sexueller Trieb. Etwas, was die beiden zusammenhält. Eine Anziehung, die ihn immer wieder zurückbringt. Sie genießt das – und er auch. Ortrud mag böse sein, aber sie ist auch eine Frau, ein Mensch – und das will ich zeigen. All diese Bruchstücke des Charakters muss man als Ortrud-Darstellerin an die Oberfläche bringen, nicht nur die keifende, böse Hexe mit der gro.en Stimme spielen. Es geht mir also darum, sie in ihrer Tiefe zu verstehen. Mögen muss ich sie nicht. Mir ist nur wichtig, dass sie mehr als eine Dimension hat.

Gibt es auch so etwas wie eine persönliche Ortrud-Sicht, unabhängig von allen Regisseuren?

Linda Watson: Ja, die gibt es. Meine Ortrud, gewissermaßen. Eine Sicht auf die Person, die mir immer bleibt und immer differenzierter und genauer und detailreicher wird, mit jeder Produktion, jeder Vorstellung. Ob ich eine Inszenierung mag oder nicht – ich gewinne immer etwas und kann immer das Profil der Figur nachschärfen. Es gehen mit jeder Auseinandersetzung neue Fenster auf, manchmal kleine, manchmal große. Der Charakter wird so immer reichhaltiger. 

Viele Ihrer Kolleginnen schwärmen davon, dass sie von ihren Rollen etwas ins Leben mitnehmen. Eine Weisheit, eine Einsicht. Das geht bei der Marschallin natürlich gut und leicht. Aber bei der Ortrud?

Linda Watson: Also ich nehme nichts in mein Leben mit. Nicht von der Ortrud, nicht von allen anderen. Bei mir ist es genau umgekehrt, ich schenke der Bühnenfigur etwas von mir. Das macht gutes Theater ja aus, dass man etwas einbringt und eine Fantasiefigur mit Leben erfüllt. Die großartigen Hofmannsthal-Texte, sie bieten so viel an, wenn man das auch noch mit seiner persönlichen Erfahrung mischt, dann erwachen die Charaktere zum Leben. 

Wenn die persönliche Erfahrung ins Spiel kommt, dann bedeutet das aber auch, dass sich die Charaktere zwangsläufig verändern.

Linda Watson: Natürlich, mit zunehmender Reife wird das, was man einer Figur schenkt, immer mehr, immer dichter. Man darf diese Entwicklungen nicht unterschätzen: Als ich meine erste Marschallin gab, vor 20 Jahren, da war mein Verständnis der Figur ein anderes als heute. Nun begreife ich sie viel tiefer. Als ich sie hier sang, war das für mich so bewegend, so berührend! Es war so ein WOW-Moment.

Ist ein solcher WOW-Moment eher beflügelnd oder vielleicht sogar irritierend, weil Sie ja doch kontrolliert bleiben müssen?

Linda Watson: Die Emotionen waren für das Spiel gut, aber im Gesang muss man immer eine Distanz bewahren. Ich muss meine Stimme vor einem „Zuviel“ schützen. Das gilt aber ganz grundsätzlich für alle Partien und Auftritte. Man muss da gut aufpassen.

Sie sangen zuletzt unter anderem Ariadne. Wie lange brauchen Sie für die Umstellung von einer zur anderen Rolle. Ist das eine Kopfsache?

Linda Watson: Ich muss „umschalten“, aber dieses Umschalten ist keine echte Arbeit für mich, weil ich mir diese F.higkeit und das Potenzial erworben habe. Für mich persönlich ist wichtig, dass ich die feinen Pianissimo-Töne habe, die für Strauss unabdingbar sind. Darauf achte ich – und das war immer mein Ziel, diese Feinheit zu haben und zu behalten. Auch wenn ich daneben Partien wie die Ortrud singe.

Nach vielen Elektras und Färberinnen haben Sie nun auch die Klytämnestra und die Amme zu Ihrem Repertoire hinzugefügt. Hat das auch damit zu tun, eine für Sie sehr bekannte Oper aus einem anderen Blickwinkel kennen zu lernen?

Linda Watson: Die großen dramatischen Mezzo-Partien faszinieren mich einfach! Nach den reichhaltigen Erfahrungen, die ich mit diesen besonderen Opern – wie Frau ohne Schatten und Elektra – gemacht hatte, wollte ich einen weiteren Aspekt kennenlernen. Also probierte ich es aus – und es hat stimmlich gepasst. Ich muss aber zugeben, dass ich zum Teil erstaunt war, denn manches war ganz anders, als ich gedacht hätte. Die Amme liegt hoch – höher als erwartet – und es ist eine wahnsinnig lange Partie. Schwierig, aber dadurch auch sehr spannend! Ich habe diese Erfahrung sehr genossen. Man betrachtet ein Werk dann doch neu und erfährt es auch neu.

Und die Irritation, dass man die Partie der Kollegin in- und auswendig kann?

Linda Watson: Die ist nicht zu unterschätzen! Ich sang die Amme zum ersten Mal in Hamburg und Lise Lindstrom war die Färberin – ebenfalls ein Rollendebüt. Bei den ersten Proben spürte ich das Verlangen, ihr ein wenig einzusagen. Das musste ich aber bald aufgeben – denn ich war in zwei Welten unterwegs. Und das funktioniert überhaupt nicht … Also habe ich mich ganz auf die Amme konzentriert. Das ist Arbeit genug! Aber, wie gesagt, eine wahnsinnig tolle Erfahrung: und ich freue mich über meine neuen Partien, die Amme, die Küsterin und Klytämnestra!

Oliver Láng


Richard Wagner
Lohengrin
9., 12., 16., 19. Jänner 2020

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