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Regisseur Laurent Pelly
Regisseur Laurent Pelly

Der Anwalt der Protagonistin

Dass Gaetano Donizetti in den eigentlichen Komponisten-Pantheon des sogenannten Schwindfoyers der Wiener Staatsoper neben beispielsweise einem Mozart, Beethoven, Rossini, Schubert, Gluck keine Aufnahme fand, dafür aber einen kompletten, nach ihm benannten eigenen Salon zugesprochen bekam, ist überaus aussagekräftig.

In einem gewissen Sinne ist er ja so etwas wie der Puccini des Belcanto: zu Lebzeiten von so manchen zeitgenössischen Größen der Kulturwelt (vor allem nördlich der Alpen) im besten Fall nur naserümpfend akzeptiert, obwohl (oder weil) viele seiner Schöpfungen von Anfang an auf eine große Anhängerschaft zählen konnten, gehören seine wesentlichen Werke heute zum unbestrittenen Bestandteil des internationalen Kernrepertoires. So auch seine Lucia di Lammermoor, die für sich in Anspruch nehmen darf als eines der Schlüsselwerke der Musikromantik einen bedeutenden Markstein in der Operngeschichte darzustellen. Im Frühsommer 1835 in der Rekordzeit von nur sechs Wochen entstanden, wurde das Stück am Teatro San Carlo in Neapel am 26. September erfolgreich uraufgeführt und trat alsbald den Siegeszug über die großen Bühnen der Welt an. Als glückliche Fügung in diesem Zusammenhang entpuppte sich die erstmalige Zusammenarbeit mit dem Theatermaler und Librettisten Salvadore Cammarano, der sich in diesem Textbuch, wie es das von Bellini begründete romantische Melodramma erforderte, auf die Emotionen der zentralen Charaktere, in diesem Fall das Figurendreigestirn Edgardo-Lucia-Enrico, konzentrierte, den historischen Hintergrund mehr andeutete als tatsächlich dramaturgisch stringent ausführte und somit, wie Uwe Schweikert richtig bemerkt, das Geschehen auf das „Drama der Gefühle reduzierte“, was wiederum Donizetti die ideale Gelegenheit für die Ausgestaltung tiefenpsychologischer musikalischer Porträts der Akteure bot. (Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle bemerkt, dass die literarische Vorlage, Walter Scotts Roman The Bride of Lammermoor, auf Grund der großen Popularität schon vor der Donizetti-Cam-Cammarano-Version eine Reihe von Vertonungen nach sich zog – unter anderem jene des dänischen Komponisten Ivar Frederik Bredal auf ein Libretto von Hans Christian Andersen – die allesamt nicht in den Spielplänen Fuß fassen konnten.)
Die große Beliebtheit und der große Bekanntheitsgrad von Lucia di Lammermoor zeigt sich übrigens nicht nur in der langen Ahnenreihe der bedeutenden Interpreten (vor allem Interpretinnen der Titelpartie), sondern nicht zuletzt durch den Einzug dieser Oper in die Weltliteratur: In Gustave Flauberts Madame Bovary und in Leo Tolstois Anna Karenina wird als Symbol unglücklicher Liebe auf Lucia di Lammermoor Bezug genommen und die schweren Gefühlskrisen der Roman-Protagonistinnen mit der Titelfigur der Oper in Beziehung gesetzt. In Giuseppe Tomasi di Lampedusas Der Leopard hingegen thematisiert das drehorgelhafte Ertönen von Edgardos Schlussarie die Verbindung von „Todesnähe und erotische Begehrlichkeit in Italien“ (Ulrich Schreiber).

In der „Donizetti-Stadt Wien“ (© Richard Wagner) gehörte Lucia di Lammermoor klarerweise von Anbeginn an sozusagen zum guten Ton: Die italienischsprachige Erstaufführung des Stückes am Kärntnertortheater (nicht einmal zwei Jahre nach der Uraufführung) war sogar die allererste Aufführung des Werkes außerhalb des heutigen Italiens, erst danach folgten unter anderem Paris, London, New Orleans und New York. Und es war folgerichtig auch klar, dass in einer Metropole, in der sich nicht nur das „gemeine“ Publikum, sondern auch der Hochadel, allen voran Mitglieder des Kaiserhauses gern von der „so schön traurigen Musik Donizettis“ (© Haus Habsburg) buchstäblich zu Tränen rühren ließen, ein derartiges Meisterwerk fortan nicht wieder in der Versenkung verschwand: Neben dem Kärntnertortheater, an dem bald auch eine deutsche Fassung zu erleben war, spielte man Lucia di Lammermoor in den folgenden Jahrzehnten am Carltheater, am Theater an der Wien, am Harmonietheater, am Colosseumtheater, am Strampfertheater, am Ringtheater und schließlich ab Jänner 1870, wenige Monate nach der Eröffnung des Hauses, am neuen Hoftheater, also der heutigen Wiener Staatsoper, an der Lucia bis 1926 regelmäßig auf dem Spielplan stand. Vor dem berühmten Mailänder Gastspiel 1956 mit Karajan, Callas, di Stefano und Panerai gab es im Haus am Ring übrigens schon 1929 ein ebenso spektakuläres erstes Lucia-Scala-Gastspiel unter Arturo Toscanini mit Toti dal Monte, Benvenuto Franci und Aureliano Pertile. Und an die letzte Staatsopernpremiere von 1978, bei der Edita Gruberova ihre Weltkarriere endgültig zementierte beziehungsweise zumindest an die bis 2012 regelmäßig zu sehende Produktion von Boleslaw Barlog erinnern sich heute wohl sehr viele im Publikum.

In einer Koproduktion mit der Philadelphia Opera wird es in Wien ab 9. Februar nun eine neue Lucia di Lammermoor geben. Mit Laurent Pelly, dessen fantastische Fille du régiment zu den Dauerbrennern des (nicht nur) hiesigen Repertoires zählt, nahm sich ein Regie-Magier des Stückes an (die Kostüme stammen ebenfalls von ihm), dessen vielgerühmten Arbeiten international weltweit von Haus zu Haus weitergereicht und praktisch überall euphorisch gefeiert werden. Wie für ihn üblich, bereitete er sich auch auf seine mittlerweile fünfte Donizetti-Oper nicht weniger als vier Jahre intensiv vor, tauchte tief in die Klang- und Geisteswelt des Stückes ein und hat schließlich gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Chantal Thomas eine, von Jean Epsteins 1928 herausgekommenem Horror-Stummfilm Fall of the House of Usher inspirierte, zwischen Realem und Visionshaftem changierende Welt geschaffen. In dieser nebelverhangenen, aus der Atmosphäre und Emotionalität der Donizetti-Partitur abgeleiteten traumhaft-mysteriösen Umgebung in der sich Sein und Schein stets in einem fließenden Übergang befinden, in der von der Blutfarbe Rot in der Wahnsinnsszene ausgenommen, lediglich Schwarz-Weiß Töne das Hell-Dunkel der Szenerie beherrschen, positionierte Laurent Pelly die unglückliche Protagonistin. Die der umgebenden patriarchalen Gesellschaftsordnung hilflos ausgesetzte, von Kindheit an psychisch labile Lucia, versteht der Regisseur als unschuldiges Instrument einer in Machtkämpfe verstrickten Männerwelt. Weggesperrt von der Öffentlichkeit, wird sie von ihrem ebenfalls verhaltensauffälligen Bruder Enrico immer nur hervorgeholt, um strategisch eingesetzt zu werden. Aber auch Edgardos Handlungsimpulse entspringen für Laurent Pelly nicht ausschließlich der großen Liebe zu Lucia. Aus der Hektik, seiner Kurzangebundenheit beim einzigen alleinigen Zusammensein mit Lucia (Scena und Duett Ende parte prima), an seinem in diesem Moment aus der Musik abzulauschenden Wunsch, endlich davoneilen zu können, liest Pelly, dass die Liebe zu Lucia zwar durchaus eine Rolle in Edgardos Seelenleben spielen mag, doch für ihn im Vordergrund ganz andere Absichten stehen, die er über die Verbinndung zu Lucia zu erreichen gedenkt – insofern treiben Edgardo am Ende der Oper diesbezügliche Schuldgefühle in den Tod.

Die letztendlich notorisch einsame Lucia (eine Art Schneelandschaft symbolisiert gleich zu Beginn ihre Reinheit) verlangt somit geradezu nach einem Anwalt – und ebendieser möchte Laurent Pelly mit dieser Neuproduktion sein.

Andreas Láng


LUCIA DI LAMMERMOOR
Dramma Tragico in zwei Teilen

Musik: Gaetano Donizetti
Text: Salvadore Cammarano
nach Sir Walter Scott
Dirigent: Evelino Pidò
Regie und Kostüme: Laurent Pelly
Bühne: Chantal Thomas
Licht: Duane Schuler
Enrico: George Petean
Lucia: Olga Peretyatko
Edgardo: Juan Diego Flórez
Arturo: Lukhanyo Moyake
Raimondo: Jongmin Park
Alisa: Virginie Verrez
Normanno: Leonardo Navarro

Premiere: 9. Februar 2019
Reprisen: 12., 15., 18., 21. Februar 2019
Koproduktion mit der Philadelphia Opera

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