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Den musikalischen Moment leben

Sie sind GMD der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg und leiten dort, und nicht nur dort, ein breites Repertoire. Dennoch verbindet man mit Ihrem Namen sehr stark das große deutsche Fach. Ist das nur ein Wiener Blickwinkel oder ist das tatsächlich ein bewusster Schwerpunkt?

Axel Kober: Das deutsche Fach zieht sich schon durch meine ganze Karriere und hat dort eine zentrale Position. Das ist großartig, gleichzeitig bin ich aber wahnsinnig froh, dass ich nicht auf diesen Bereich fixiert bin. Denn ich habe ein sehr breites Repertoire und auch die Chance, dieses bei uns in Düsseldorf und Duisburg zu dirigieren. Das geht von der Barockoper bis zu zeitgenössischer Musik und Uraufführungen – und mir sind nicht nur all diese Facetten, sondern die Tatsache der Breite sehr wichtig. Es tut schon mal gut, zwischen Wagner und Strauss auch Mozart zu dirigieren oder auch die großen Italiener.

Noch vor einigen Jahren gab es ein stärkeres Schubladendenken, man kategorisierte: Das ist ein echter Barockdirigent und das einer fürs italienische Fach. Inzwischen sind die Grenzen durchlässiger, aber die Herausforderung einerseits Tristan und Isolde, andererseits eine Barockoper zu leiten, ist doch groß.

Axel Kober: Selbstverständlich ist das Musizieren in einer stilistischen Breite eine Herausforderung, und es ist einfacher, sich auf seine 20 Stücke – und das ist schon viel! – zurückzuziehen und nur diese zu dirigieren. Ich stelle mich aber sehr gerne dieser Herausforderung, nicht aus sportlichen Gründen, sondern weil ich es sehr wichtig empfinde, mich in allen Stilen weiterzubilden und weiterzuentwickeln. Auch jenseits des sogenannten Kernrepertoires – denn gerade eine Beschäftigung mit den weniger bekannten Werken öffnet auf eben dieses Kernrepertoire neue Blickwinkel.

Beeinflussen sich diese Werke gegenseitig? Wird ein Lohengrin italienischer, nachdem Sie viel italienisches Repertoire dirigiert haben?

Axel Kober: Ja natürlich! Das ist ein ganz entscheidender Aspekt! Aber nicht nur das, man muss Werke, die man leitet, intensiv aus ihrer Entstehungszeit heraus beleuchten, also immer schauen: Was wurde damals noch geschrieben und noch gespielt, was hat den Komponisten beeinflusst? Die Frage nach dem Klangideal der Entstehungszeit kann wertvolle Rückschlüsse auf die Vorstellungswelt des Autors liefern. Und selbst wenn der Komponist sich bewusst von seinem Umfeld distanziert und nach Veränderungen gesucht hat, lernt man aus dieser Veränderung sehr viel über den Gedankenkosmos eines Tonsetzers. Und das betrifft nicht nur die Musik, sondern auch darüber hinausgehend die gesamte Kultur einer Epoche. Welche Beeinflussungen hat es gegeben, welche Stellungnahmen? Bei Wagner ist seine Sicht auf die Welt, sind seine politischen Ansichten, seine Schriften von größter Bedeutsamkeit. Der Revolutionär Wagner – das hat auf seine Musik einen Einfluss gehabt. Und diesem Einfluss muss man nachgehen und ihn auch hörbar machen.

Sie sind derzeit in einer absoluten Ring des Nibelungen-Phase: In Düsseldorf haben Sie den Ring abgeschlossen, in Duisburg stecken Sie mitten drin. Und jetzt Wien. Wie sieht Ihre Vorbereitung für Wien aus? Reicht da ein schneller Blick in die Partitur?

Axel Kober: Mit solchen großen, sehr großen Werken ist man ja ständig in Beschäftigung, derzeit lege ich den Ring kaum für längere Zeit beiseite. Es ist ja auch so, dass ich hier in Wien ein komplett anderes Sängerensemble habe und daher sehr vieles ganz anders werden wird. Ich freue mich, mit den tollen Sängern hier zu arbeiten und bin sehr gespannt auf ihre Interpretationen und Anregungen. Ganz grundsätzlich entwickelt sich ein Stück immer weiter und ist immer anders als die Male zuvor. Das ist ja auch das Spannende daran! Und anders hätte es ja keinen Sinn. Es kommt dazu, dass ich hier in Wien das Staatsopernorchester habe, das wiederum über eine ganz eigene Tradition verfügt und mir geht es – natürlich – auch darum, diese Tradition aufzunehmen, mitzunehmen und aus ihr auch neue Anregungen zu bekommen. Natürlich habe ich eine bestimmte Vorstellung der Werke, die ich auch nicht einfach so über den Haufen werfe, denn diese ist ja auch über viele Jahre gewachsen. Es geht doch immer darum, das Eigene mit dem Eigenen der anderen zu verbinden.

Von außen betrachtet: Lässt sich die genannte Tradition des Orchesters beschreiben?

Axel Kober: Es geht um den spezifischen Klang der Wiener Philharmoniker, ein Klang, der über eine lange Zeit entwickelt wurde. Denken Sie nur, mit welchen Dirigenten das Orchester gearbeitet hat, wie oft man diese Opern gespielt hat! Da hat man ein wunderbares Fundament, auf dem man gut bauen kann.

Traditionen sind immer Schlüsselbegriffe in allen Interpretationsfragen. Hört man sich frühe Ring-Aufnahmen an, so entfaltet sich doch ein gänzlich anderes Klangbild als heute. Wieweit interessiert Sie die Entwicklung, die im letzten Jahrhundert stattgefunden hat? Vergleicht man heutige Ring-Aufnahmen mit etwa jener von Clemens Krauss, so ist der Gesamtklang klarer, heller geworden.

Axel Kober: Es hat ja auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufführungspraxis gegeben und man hat viel darüber reflektiert, wie man mit den Anweisungen Richard Wagners umgehen soll, wie die Umstände der frühen Aufführungen gewesen sind. Und so hat sich durch das historisch aufgeklärte Musizieren ein anderer Blickwinkel auf sein Werk ergeben. Die Themen Klarheit und Artikulation sind sehr wichtig geworden und befinden sich nun absolut im Fokus heutiger Wiedergaben. Dazu kommt die Beschäftigung mit der Frage, wie es zur Uraufführungszeit wohl geklungen haben mag. Wir wissen, welches Instrumentarium Richard Wagner damals zur Verfügung stand – und dieses Wissen lässt uns seine Partituranmerkungen in einem anderen Licht sehen. Wenn man versteht, welche Lautstärken die Holz- oder auch Blechbläser damals erzeugen konnten (oder eben nicht erzeugen konnten), dann liest man die Dynamikanweisungen einfach mit anderen Augen. Es lohnt sich ja auch immer, die Anweisungen, die Wagner seinen Assistenten gegeben hat und die diese in Klavierauszüge eingetragen haben, zu studieren.

Wieweit sind diese Anweisungen für Sie bindend?

Axel Kober: Auch da muss man für sich selber beleuchten, wieweit eine Aussage einer bestimmten Situation geschuldet war. Wenn Wagner einem Assistenten in einer Probe gesagt hat: „An dieser Stelle nicht schleppen!“, dann stellt sich die Frage: Was bedeutet das heute für mich? Muss ich es so lesen, dass ein Sänger geschleppt hat und Wagner darauf reagierte, oder ist das eine generelle Aussage im Sinne von: An dieser Stelle ein bisschen flotter. Ich würde sagen, diese Probeneintragungen sind immer aus konkreten Situationen entstanden, man kann sie also nicht absolut sehen.

Wagner war ja kein besonderer Freund von einem zu analytischen Publikumszugang. Diese Motivtabellen, das durchdeklinierte Wissen um Struktur und Bauweise war ihm suspekt. Im Grunde wollte er seinen Zuh.rern eher einen dunkel-raunenden Mythos verpassen. Als Dirigent kann man sein genaues Wissen aber schwer abschalten.

Axel Kober: Ja, ich denke, das ist tatsächlich die größte Herausforderung. Es ist natürlich zunächst mein Ziel, eine bestmögliche Vorbereitung zu haben; und wenn ich ans Pult trete, muss ich all das Wissen in mir tragen, all das Studierte und Analytische. Aber, und das ist wichtig, ich muss es hinter mir lassen und im Augenblick der Aufführung den Moment leben. Das klingt freilich einfacher als es ist. Dieses im Augenblick hier sein und Nicht-Festhalten von Dingen, die das Momentum des Musizierens zerstören, ist das Schwerste am Dirigieren – und das Entscheidende.

Damit hängt auch zusammen, dass man als Dirigent immer ein bisschen die Spaßbremse in sich tragen muss. So schön es auch ist – wirklich gehenlassen darf man sich nicht. Einer muss ja die Kontrolle behalten.

Axel Kober: Das ist ein guter Gedanke! Man muss als Musiker schon aufpassen, dass es einen nicht einfach wegspült. Aber auch das lernt man mit der Erfahrung… Aber ja, in gewissen Momenten darf man sich wegspülen lassen. Natürlich muss ich manchmal die Spaßbremse sein, wenn der eine oder andere über das Ziel hinausschießt. Als Dirigent muss ich das Große im Auge behalten. Auch ein Formel 1-Fahrer muss wissen, wann er Gas gibt, wann er wieder bremst und wo die heiklen Stellen der Strecke sind.

Wann aber lassen Sie sich dann tats.chlich komplett wegspülen? Daheim, beim Hören von Aufnahmen?

Axel Kober: Ach doch, das gibt es natürlich schon! Weniger zu Hause mit Aufnahmen, sondern eher, wenn ich einfach so in Vorstellungen sitze. Es wäre ja schade, wenn ich das nicht hätte!

Sie können den GMD also wegschalten?

Axel Kober: Ja, das ist ganz wichtig, das zu können.

Wenn im Rheingold die 136 Eröffnungstakte mit dem Es-Dur-Akkord erklingen, freut man sich als  Zuhörer wie zu Weihnachten. Als Dirigent: Haben Sie da zusätzlich zur Freude auch ein wenig Bammel vor dem, was kommt?

Axel Kober: Das ist schon eine Ausnahmesituation, der Ring. Immer eine Riesenherausforderung. Wenn man sagte: „Ach, das mach ich mal einfach so“, dann wäre das kontraproduktiv. Aber keine Sorge, meine Freude ist mindestens genauso groß wie jene des Publikums. Der Berg, der vor einem ist, ist groß – aber ich freue mich auf den Gipfel und die Aussicht, die ich haben werde.

Gerade beim Ring gibt es Menschen, die sich intensiv in diese Opernwelt hineinleben und tatsächlich so sehr in ihr leben, dass sie Fragen des Daseins über den Ring zu beantworten versuchen. Nicht viel anders als Star Wars-Fans. Kennen Sie dieses Gefühl?

Axel Kober: Also früher, als Jugendlicher, hat mich dieser Ring-Kosmos durchaus auch ganz in seinen Bann gezogen, es war ja übrigens auch die Star Wars-Ära. Mit der Zeit hat sich bei mir ein Mix aus unglaublicher Begeisterung und reflektiertem Wissen über das Stück entwickelt. Ich kann also in diese Welt eintauchen, aber ich komme auch wieder heraus.

Wagner hat ja nicht nur Musiktheater geschrieben, sondern auch viele Gesellschaftsideen mit den Opern vermengt. Muss man, wenn man den Ring dirigiert, an die Schlussutopie des neuen, besseren Menschen glauben?

Axel Kober: Man muss, gerade was das positiv-Utopische betrifft, schon ein wenig daran glauben und es auch so empfinden, wenn man mitten drinnen steckt. Und es vor allem auch vermitteln. Aber, wie vorhin gesagt, man muss auch wieder aus all dem aussteigen können…

Das Gespräch führte Oliver Làng


Der Ring des Nibelungen | Richard Wagner

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