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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Das Verkarpfen geht wieder um

Die Feierlichkeiten zum 150-Jahr-Jubiläum der Wiener Staatsoper wurden bereits im Dezember 2018 mit einem großen Auftakt eingeleitet – mit der Uraufführung von Johannes Maria Stauds und Durs Grünbeins Die Weiden. Nun kehrt das überaus vielschichtige Werk bereits ein knappes Jahr später zurück in den Spielplan, um das Publikum erneut Zeuge einer zunächst scheinbar idyllischen, bald aber immer bedrohlicher wirkenden und schließlich in einer vielfachen Katastrophe mündenden Kanufahrt über die Donau werden zu lassen.
Eine Flussreise als Handlungsrahmen also – vom Schöpferduo wurden unterschiedlichste literarische Quellen (bis hin zu Horrorgeschichten) ver- arbeitet beziehungsweise radikal umgedeutet – in dem der nicht genannte, aber für alle als Donau zu erkennende „große, von Geschichte schwere zen- traleuropäische Strom“ als die Szenen verbinden- der, geheimer Protagonist fungiert. Und vor diesem Hintergrund kommt alles zur Sprache: der rechte Populismus ebenso wie eine von Wohlstand genährte Spießbürgerlichkeit, die heutige oberflächliche und genusssüchtige Jetset-Gesellschaft, schaurige gesellschaftliche Metamorphosen und die dunkle Vergangenheit des Landes bis hin zu den Todesmärschen ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter von Engerau bis Hainburg im Jahr 1945. Als weibliche Protagonistin steht die junge amerikanische Studentin Lea im Zentrum des Geschehens, die an der Seite des österreichischen Geliebten Peter die Heimat ihrer einst vertriebenen Vorfahren erkunden möchte und schlussendlich auf übernatürliche Weise eine Identitätsfindung erfährt.
Nahezu von Anfang an in den Entstehungsprozess stark eingebunden war die Regisseurin der Uraufführungsproduktion, Andrea Moses, die wesentliche ästhetische und theatrale Vor-Entscheidungen mittrug bzw. mitbestimmte. Denn gerade das Thema der Flussreise (die dann auch noch von Visionen und Schreckgesichten begleitet wird) ist für die Oper, anders als etwa im Film, eine dramaturgische Großherausforderung, die in zahlreichen freundschaftlichen aber intensiven Streitgesprächen zwischen dem Komponisten, dem Lyriker und der Regisseurin ebenso gelöst werden konnte wie die eine oder andere Frage der Figurenentwicklung.
Die abendfüllenden Weiden wurden vom österrei- chischen Komponisten Staud und dem deutschen Lyriker Grünbein im Bekenntnis zur über 400jährigen Geschichte der Gattung bewusst als Oper apostrophiert und in sechs Bilder gegliedert, denen ein Prolog sowie ein Vorspiel vorangehen und die zusätzlich durch vier kammermusikalische „Passagen“ unterbrochen werden, in denen der Strom in seiner eigenen Klanglichkeit in den Mittelpunkt gestellt wird. Ganz grundsätzlich hat Staud hinsichtlich der Opern-Ingredienzien gewissermaßen ins Volle gegriffen: „Gefordert sind ein mächtiger Orchesterapparat, Bühnenmusik, Chor, Elektronik, ein umgestimmtes MIDI-Klavier und eine Vielzahl an Solisten, inklusive zweier Sprechrollen“, so der Komponist wörtlich. Was die Elektronik betrifft, ging Staud gleich zwei unterschiedliche Wege: Zum einen erfolgen Tonbandzuspielungen über das Bühnenportal, zum anderen werden immer wieder Stimmen bzw. Soloinstrumente im gerade entstehenden Moment (verfremdet) live dem Klang beigemischt.
Gleich beim ersten Hören werden dem Zuhörer Songartige Abschnitte auffallen, die wie tonale Inseln aus der Partitur herausragen. Hier wollte Staud die gerade zu sehende Umgebung atmosphärisch einfärben – etwa im Prolog einen Hauch USA auf die Bühne zaubern. Aber auch das eine oder andere als Querverweis zu verstehende Wagner-Zitat wird dem Opernliebhaber vertraut vorkommen. Und wer der Musiksprache des Komponisten etwas aufmerksamer folgt, wird merken, wie sehr einzelnen Charakteren bestimmte Instrumentengruppen respektive konkrete Intervallfortschreitungen zugeordnet sind. Vergleichbar den Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts hatte Staud beim Komponieren übrigens die vorgesehene Besetzung bzw.- Alternativbesetzung im Ohr, schrieb also den Interpreten die Rollen schon von vornherein gewissermaßen auf den Leib (oder besser: auf die Stimmbänder), um dann bei der mehrwöchigen Probenarbeit vor der Uraufführung immer vor Ort zu sein und etwaige Modifikationen in Rücksprache mit den Sängerinnen und Sängern anzubringen. Da nun bei der jetzt anstehenden zweiten Aufführungsserie des Werkes der größte Teil der Besetzung jener der Premiere entspricht, wird man auch diesmal gewissermaßen Vorstellungen im Originalklang erleben ...

Andreas Lang


Die Weiden |  Johannes Maria Staud  - Durs Grünbein
7., 9., 12. November 2019
KARTEN & MEHR