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Das Staatsopernorchester: Geigerin Julia Gyenge

Fast 50 Jahre ist es her, dass der Philharmoniker-Vorstand Otto Strasser augenzwinkernd sein biografisches Philharmoniker-Buch mit „Und dafür wird man noch bezahlt …“ titelte. Einiges hat sich seither geändert, nicht aber die Begeisterung. Denn nicht viel anders beschreibt es heutzutage die junge Geigerin Julia Gyenge – nur eben in einem Medium des 21. Jahrhunderts, auf Instagram. „Can’t ask for a more beautiful workplace!“, sieht und liest man in ihrem Profil, im Hintergrund des Fotos die Wiener Staatsoper. „Im Ernst“, unterstreicht sie im Gespräch lachend, „wir Musiker machen den besten Beruf am besten Ort. Das mag übertrieben klingen, aber wenn ich an so manchen Abend der letzten Zeit denke, dann ist es tatsächlich so!“ Und weil sie schon beim Aufzählen des Besten ist – „… ich habe übrigens auch die besten Kollegen“, vervollständigt sie fröhlich. – Kein Wunder, ist sie doch mit einem Musiker des Orchesters verheiratet.
Angefangen hat alles in Ungarn, mit einem künstlerischen Vorschuss von mehreren Generationen an begeisterten Musikern. Und mit dem Pensum von rund 15mal Beethoven-Violinkonzert pro Tag. „Mein Vater, ein Klarinettist“, erzählt Gyenge, „spielte den ganzen Tag lang CDs, vor allem das Beethoven-Konzert. Ich aber wollte eigentlich Cellistin werden, weil mir der Ton so gut gefallen hat. Dieses Samtene, Sonore, Tiefe, das hab ich einfach gemocht.“ Doch die wohlmeinenden Eltern, die Mutter übrigens nicht nur Musikerin, sondern auch Musikwissenschaftlerin, wollten dem Kind das lebenslange Schleppen des gewichtigen Cello-Kastens ersparen und plädierten für die kleinere Schwester des Cellos, die Geige. „Und sie griffen zu einem Trick… Sie sagten, dass ja eigentlich jeder Cellist als Kind zuerst Geige lernt und später erst ab einer gewissen Körpergröße umsteigt.“ Gyenge lacht: „Sie haben mich zwar gelegt, aber heute freue ich mich sehr darüber. Denn auch wenn mir der Celloklang immer noch sehr gefällt, habe ich die brillante Schönheit der Geige lieben gelernt.“
Es folgte der erste Unterricht bei einer Lehrerin aus Siebenbürgen, der es gelang, die Motivation der Schülerin zu wecken. „Das war auch notwendig, denn ich habe wirklich nur das Minimum geübt“, gesteht Gyenge. „Ich hatte viele andere Pläne – Journalistin zum Beispiel.“ Und sie fügt lächelnd hinzu: „Ehrlich gesagt: Fast alle meine Pläne hatten wenig mit der Geige zu tun.“ Doch dann! Mit 14 ging ihr der Knopf auf, sie gab richtig Gas, kam ans renommierte Bartók-Konservatorium in Budapest und landete bei einer prominenten Pädagogin. „Sie war Russin und hat in Moskau bei den Größten gelernt. Eine fabelhafte Lehrerin! Sie sah Technik eigentlich nur als Mittel zum Zweck an, um das umzusetzen, was man musikalisch wünscht. Und immer wenn eine Stelle einfach nicht klappen wollte, riet sie mir: „Sing es“ – und schon gelang es! Im Grunde“, sinniert Gyenge, „habe ich damals schon das getan, was ich heute im Orchester mache. Denn durch die Oper fängt man ganz zwangsläufig an, singend zu spielen. Egal, ob man das beabsichtigt oder nicht.“ Ist das ein Vorzug der Wiener Philharmoniker? „Zweifellos“, meint Gyenge. „Das Orchester macht es nämlich nicht nur in der Staatsoper so, sondern auch auf dem Konzertpodium.“
Wie aber steht es eigentlich um die ungarische Geigenschule? Gibt es das Pendant zur Wiener Schule? „Natürlich“, kommt die Antwort prompt, „sie geht stark auf Jenö Hubay zurück, einen Virtuosen und Komponisten, zu dessen Schülern unter anderem Eugene Ormándy und Joseph Szigeti gehörten.“ Doch nicht nur in puncto Violine, ganz allgemein ist die ungarische Musikausbildung herausragend: „Der Zugang zum Unterricht ist kostenlos und das Niveau sehr hoch. Also können viele, auch jene, die keinen familiär-musikalischen Background haben, Musik kennen lernen. Abgesehen davon gibt es sehr viele Musikschulen und Konservatorien, jede mittlere Stadt hat ein eigenes Konservatorium. Und das auf einem beachtlichen Level!“
So ausgestattet verschlug es die junge Geigerin nach Österreich, wo sie nach dem Philharmoniker Peter Götzel schließlich bei Gerald Schubert, ebenfalls ein Philharmoniker, lernte. „Er ist ein großartiger Pädagoge“, so Gyenge. „Und bis heute ist er mein Lehrer.“ Doch war die Zeit keine einfache: „Es war wirtschaftlich schwierig, sprachlich schwierig. Ich war ja fern von daheim.“ Mit 18 trat sie zu einem Vorspiel für die Angelika Prokopp-Sommerakademie an, das sich auch als Substitutenvorspiel für das Staatsopernorchester herausstellte. „So kam ich mit 19 an die Wiener Staatsoper, zunächst für einzelne Abende, dann mit einem Zeitvertrag.“ Später gewann die Geigerin ihr nächstes Probespiel im Haus, jenes für das Bühnenorchester, dem sie zwei Jahre angehörte. Und schließlich, im Frühsommer 2018, trat Julia Gyenge zum Probespiel für die zweite Geige im Staatsopernorchester an – und gewann wieder!
Ihr erster Staatsopern-Abend, noch als Substitutin, war übrigens Tschaikowskis Eugen Onegin, eine Vorstellung, von der die Geigerin bis heute schwärmt. „Erstens einmal Eugen Onegin, meine erklärte Lieblingsoper. Und dazu eine schöne Besetzung – Maija Kovalevska und Peter Mattei!“ Ein gutes Omen, denn ganz allgemein hat es Gyenge das russische Repertoire angetan, von Mussorgski-Opern bis zu Tschaikowski-Balletten. „Tschaikowski ist auch geigerisch spannend“, greift sie sich ans Herz, „ganz abgesehen vom Ausdruck der Musik, der Klangsprache.“ Schwärmerisch verdreht Gyenge die Augen… Macht sie das Musizieren also fast aus Eigennutz, aus purer Freude an der Tätigkeit, an der Kunst? Oder doch fürs Publikum, dem sie eine Freude bereiten will? „Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beiden.“ Sie denkt nach: „Oft ist man natürlich in einer Stimmung, in der man für die Musik förmlich brennt und es einem persönlich eine Freude und Befriedigung bereitet, zu spielen. Aber das Publikum – das soll freilich an dem Glück immer auch Teil haben …“ Wobei sie aus Orchestersicht immer wieder merkt, wie unterschiedlich das Prädikat Sternstunde vergeben wird. „Manchmal schwärmen die einen, manchmal die anderen. Das liegt oft im Auge des Betrachters.“ Ihre persönlichen Sternstunden? Neben Mozart-Abenden auch der französische Don Carlos oder Dornröschen.
Wofür sie noch brennt, ganz abgesehen von der Musik? Literatur – natürlich russische, aber auch ungarische. Und, nach langen musikalischen Arbeitstagen: die Stille. „Da bin ich ganz wie meine Mutter“, lacht Gyenge. „Aber mein Mann ist wie mein Vater – und spielt gerne und laut CDs.“ Wobei, wie sie zugibt, es Schlimmeres geben kann!

Oliver Láng