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Beinahe ein Parsifal

Samson et Dalila unterscheidet sich, was die Setzung der Handlungsschwerpunkte betrifft, von der biblischen Geschichte. Wieweit bleibt die Erzählung aus der Bibel dennoch Inspirationsquelle oder Ausgangspunkt?

Alexandra Liedtke: Natürlich gibt es, was Handlungsverlauf, Motivation der Figuren etc. betrifft, ganz große Unterschiede zwischen der Bibel und der Oper; dessen ungeachtet ist die Bibel zunächst einmal – auch – eine faszinierende Quelle: Weil sie eine Sammlung von Erzählungen anbietet, die man ganz unabhängig von einem religiösen Zugang als Geschichten, die etwas transportieren sollen, lesen kann. Das, was da steht, hat nicht nur eine große Tradition, sondern es war den Autoren auch wert, gewisse Dinge festzuhalten und zu fixieren. Vieles hat sich in den tausenden Jahren seit der Entstehung und Niederschrift geändert, aber Grundsätzliches bleibt bestehen. Zum Beispiel Fragen wie: Wie leben Völker nebeneinander, gegeneinander, miteinander? Wie schauen die Konflikte aus? Das kann den heutigen Leser sehr interessieren. Samson et Dalila als Opernstoff fokussiert auf einen Ausschnitt der biblischen Geschichte und schon im Titel merkt man die veränderte Schwerpunktsetzung. Es heißt nun: Samson et Dalila. Der Fokus liegt also auf beiden und auf dem „et“.

In der Bibel sind Erzählperspektive und Wertung eindeutig. Er ist der Held und sie ist böse, oder zumindest nicht genau definiert.

Alexandra Liedtke: Hoffentlich kann ich da etwas genauer differenzieren! (lacht) Alleine schon, weil ich in Elīna Garanča nicht nur eine herausragende Sängerin habe, sondern auch eine Darstellerin, die sich präzise Fragen stellt: Warum macht oder sagt Dalila dieses oder jenes – oder warum macht sie es nicht? Was treibt sie an? Wann ist sie wahr und ehrlich? Mitunter denkt man: Ah, jetzt manipuliert sie! Dann aber spricht die Musik eine so zarte und liebevolle Sprache, dass man sich nicht sicher ist: Was empfindet sie an dieser Stelle? Liebe? Oder spielt sie die Gefühle nur vor? Ein solches Erforschen der Motivation einer Figur ist die größte Freude in der Probenarbeit.

Der Autor David Grossman hat in seinem Buch Löwenhonig die These aufgeworfen, dass Samson eine Art Selbstmordattentäter ist. Haben Sie diese Überlegungen beeinflusst?

Alexandra Liedtke: Sein Buch hat für mich in der Auseinandersetzung und Vorbereitung auf die Inszenierungsarbeit einen ganz großen Reiz besessen. Es tauchen ja viele Fragen auf: Wie wird unterschieden in der Frage, ob ein Mensch ein Held ist oder ein Mörder? Wenn man sich die großen Stoffe anschaut – egal, ob Bibel oder griechische Mythologie – was definiert Menschen, ob sie Helden sind oder Mörder? Wenn jemand tausende Menschen umbringt: Wann nennen wir ihn einen Helden? Bei Samson frage ich mich: Wie sehr wollte er das tun? Er wurde schon vor seiner Geburt auserwählt – hatte er eine Wahl? Wie lebt es sich mit dem Wissen, der Retter eines Volkes zu sein? Ein Gottgesandter zu sein? Manchmal habe ich ja fast den Eindruck, dass Samson wie ein Kind durch die Welt wandelt und niemals an Konsequenzen denkt.

Ist Dalila die Stärkere?

Alexandra Liedtke: Sie ist die Stärkere im 2. Akt. Weil sie ihren Auftrag und ihr Versprechen durchzieht. Ich weiß aber nicht, ob Dalilas Stark-Sein am Ende des 2. Aktes das ist, was man sich wünscht? Die Frage ist ja: um welchen Preis? Der Verlust, den Sie erleidet, ist enorm. Ist in einer solchen Situation, in einer Beziehung die Frage nach dem Stärkeren überhaupt die richtige?

Samson ist Held ganz durch Gott, dann wendet er sich ab, fällt, und am Ende kann er auch nur durch Gott wieder siegen. Erfüllt das bereits den Tatbestand des Heldentums?

Alexandra Liedtke: Ich denke schon, aber vielleicht ist er gar nicht so biblisch, wie man es erwarten würde. Denn dann müsste er ja eigentlich durchdrungener sein von seinem Vertrauen und seinem Glauben. Gerade in der Bibel habe ich das Gefühl, dass er wie Parsifal durch die Welt läuft und nicht so genau weiß, wo es eigentlich langgeht.

Das Finale der Oper ist nicht einfach. In der Bibel stellen sich da naheliegender Weise keine Fragen: Gott greift ein. Wie sieht eine Deutung in einer mehr und mehr säkularen Gesellschaft aus?

Alexandra Liedtke: Naja, es gibt ja auch den Satz „Der Glaube versetzt Berge“. Wenn Samson glaubt, dass er zu sich und zu Gott zurückgefunden hat, dann kann das schon eine Stärke, eine mentale Stärke erzeugen. In meiner Inszenierung wird es aber keine Säulen geben. Ich frage mich viel mehr: Was kommt aus dem Menschen, was ist seine Einbildung? Ist das, was passiert eine große Tat – oder ist es der Wunschtraum, noch einmal stark zu sein?

Das Bühnenbild ist bewusst schlicht gehalten. Also kein Exotismus aus biblischer Zeit.

Alexandra Liedtke: Das hätte mich nicht so gereizt. Denn die biblische Zeit war ja schon im 19. Jahrhundert, als Saint-Saëns die Oper schrieb, ein exotisches Bild. Ich stelle mir lieber die Frage: Wie modern ist das Thema? Es geht um Macht, um Machterhalt. Und es geht um Verantwortung und Liebe – und die Spannung, die sich daraus ergibt. Was passiert, wenn man sich zwischen Herz und Verstand entscheiden muss? Ich fürchte, es geht selten gut aus…

Oliver Láng


Camille Saint-Saëns
Samson et Dalila

Premiere: 12. Mai 2018
Reprisen: 15., 18., 21., 25., 28. Mai 2018

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