Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik

Barocke Opernintrigen

Als Georg Friedrich Händel im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die italienische Oper in London mitverankerte, tobten nicht nur allerlei Opernkämpfe, sondern es türmten sich immer wieder auch ganz handfeste Finanz- und Auslastungsprobleme auf. Ganz abgesehen davon, dass König und Adel ihre Fehden im Bereich der von ihnen wechselweise geförderten Opernbetriebe fortsetzten und somit wirtschaftliche wie gesellschaftliche Unterstützung von der jeweiligen politischen Wetterlage abhing. Und nicht nur das: Da damals klingende Sängernamen das Um und Auf des Opernbetriebs waren, pokerten die wichtigsten Sängerinnen und Sänger hoch, ließen sich ihre Auftritte vergolden und traktierten die Unternehmer und Komponisten mit ihren Wünschen, Eskapaden und hohen Gagen. Berühmte Kastraten, berühmte Sopranistinnen: ihnen war die Opernwelt untertan – und ihnen hatten alle zu dienen.
In diesem Minen- und Schlachtfeld schrieb Händel Oper um Oper, zeigte sich visionär und kampfesmutig, immer wieder aber auch müde und körperlich angegriffen. Nachdem er um 1735 aus seinem angestammten Opernhaus, dem King’s Theatre, von der Konkurrenz vertrieben und auch des größten Teils seines Ensembles verlustig worden war, startete er einmal mehr durch. Mit der Oper Ariodante zog er ins neu erbaute Covent Garden Theatre, anstelle der von der Konkurrenz übernommenen Sänger engagierte er attraktive Namen wie den Kastraten Giovanni Carestini – und gewann die französische Tänzerin Marie Sallé. Dass er mit Cecilia Young und John Beard zwei englische (und nicht italienische) Sänger auftreten ließ, erwies sich als geschickter Schachzug, um allfällige patriotische Tendenzen des Publikums zu bedienen.
Ariodante, basierend auf einen Ausschnitt aus Ludovico Ariosts Epos’ Orlando furioso, erzählt die Geschichte des Vasallen Ariodante, der die Königstochter Ginevra liebt. Das Lebensglück der beiden wird allerdings vom Herzog Polinesso hin- tertrieben, der gemeinsam mit der Hofdame Dalin- da Ariodante in Zweifel über die Treue seiner Braut Ginevra stürzt. Polinesso stirbt im Zweikampf, nach einem Geständnis der Dalinda lösen sich die Fra- gen in Wohlgefallen auf ...
Für seine Oper zog Händel einen Stoff heran, den er wohl in seiner italienischen Zeit kennengelernt hatte: Basierend auf einem Libretto von Antonio Salvi (Ginevra, Principessa Di Scozia) hatte unter anderem der Komponist Giacomo Antonio Perti eine Oper geschrieben, die Händel in Jugendtagen hörte. Auf diese Erinnerung griff er in London zurück, veränderte allerdings die Handlung grundlegend. Vergleicht man das Salvi’sche Original mit der – wahrscheinlich auch vom Komponisten selbst bearbeiteten – Textfassung, so merkt man bereits im Titel eine andere Ausrichtung: Es steht nun nicht die adelige Königstochter Ginevra im Mittelpunkt, sondern der Vasall Ariodante. Auch hatte der Bearbeiter etliche Stellen und musikalische Nummern gekürzt bzw. auch Szenen hinzugefügt.
Die Vorschlusslorbeeren waren beachtlich: In The London Daily Post stand am 1. Jänner 1735 zu lesen: „Man hört, dass die neue Oper von Herrn Händel, genannt Ariodante, derzeit am Theatre-Royal in Covent-Garden geprobt wird; und dass die für diesen Zweck vorbereiteten Szenen gedacht sind, alles zu Ähnliche, das bisher zu erleben war, zu übertreffen ...“ Die Oper wurde Anfang des Jahres 1735 – am 8. Jänner – in Anwesenheit des Königs aus der Taufe gehoben. Der Erfolg dürfte ausreichend, wenn auch nicht atemberaubend gewesen sein, es wird von einer eher durchschnittlichen Publikumsauslastung in den Folgevorstellungen berichtet. Eine Besonderheit waren die Auftritte der französischen Tänzerin Marie Sallé, die einen neuen, modernen Stil kreierte. Bis Anfang März folgten zehn Wiederholungen (eine recht hohe Zahl für damalige Verhältnisse), im April schließlich folgte die Oper Alcina. 1736 kehrte Ariodante noch zweimal ins Covent Garden Theatres zurück (5. und 7. Mai); danach verschwand die Oper vom Londoner Spielplan – obgleich sie heute stets als eines jener Werke genannt wird, das sowohl einem opernkundigen wie auch einem etwas weniger erfahrenen Publikum entgegenkommt – und tauchte erst im 20. Jahrhundert – 1926 in Stuttgart – wieder auf.
An der Wiener Staatsoper landete Ariodante erst spät: 2018, fast 300 Jahre nach der Uraufführung, erklang die Oper zum ersten Mal: William Christie dirigierte die Vorstellungen, David McVicar inszenierte in plastischen, ästhetisch ausgewogenen Bildern. Und lieferte einen Publikumserfolg! Das enthusiasmierte Premierenpublikum feierte die Produktion und Kritikerin Renate Wagner befand unter anderem: „Die Geschichte um das Liebes- paar Ariodante und Ginevra spielt am schottischen Königshof und ist in Wien prachtvollstes, buntestes, auch mit reichen Balletteinlagen ausgestattetes Barock. Ein Fest fürs Auge, Glanz, Pomp und Gloria, alles, was letztlich auch die Musik ausdrückt. Auch für die tragisch-poetischen Szenen hat die Ausstatterin Vicki Mortimer mit einem wunderbaren Meeresstrand ein optisches Äquivalent gefunden.“ Wie in der Erstaufführungsserie sind diesmal Chen Reiss und Hila Fahima zu erleben, neu im Ariodante-Team sind unter anderem Dirigent Christophe Rousset, Stephanie Houtzeel in der Titelrolle sowie Max Emanuel Cencic als düsterer Polinesso.

Oliver Láng


Ariodante | Georg Friedrich Händel
8., 11., 13., 15. November 2019
KARTEN & MEHR