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Am Stehplatz: Silvia Kargl

O tempora, o mores! Da erlebt eine Schülerin im Rahmen ihrer Wien-Woche eine Aufführung an der Wiener Staatsoper, die sie so beeindruckt, dass sie kurze Zeit später die Schule schwänzt und zu einer weiteren Aufführung kommt. Denn schließlich, und dieses Argument überzeugt sogar ihre Eltern: es tanzt ja er höchstpersönlich! Die Schülerin ist Silvia Kargl, heute wissenschaftliche Mitarbeiterin im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker und Journalistin mit Schwerpunkt Tanz, bei ihm handelt es sich – natürlich – um Rudolf Nurejew. Mit anderen Worten: der Ausflug hatte sich gelohnt. Bis heute erinnert sie sich an den ersten Besuch am Stehplatz im Haus am Ring. „Ich wollte endlich einmal Schwanensee komplett auf einer Bühne sehen, das hatte ich – als gebürtige Welserin – noch nie.“ Also ging sie, als sie während der Wien-Woche einen – den einzigen! – Abend frei hatte, mit Schul-Freundinnen schnurstracks an den Opernring, kaufte sich eine Stehplatz-Karte und landete auf der Galerie, Halbmitte. Ein Platz, den sie übrigens bis heute schätzt und ehrt. Sie erlebte also den Schwanensee mit Michael Birkmeyer, Gisela Cech und Karl Musil, und: „Es tanzten in dieser Vorstellung Personen, die später meinen beruflichen Weg kreuzen sollten: Terry Linke, die Fotografin der Wiener Philharmoniker, tanzte einen Großen Schwan, Brigitte Stadler und Jolantha Seyfried waren im Corps de ballet.“ Es folgt wenig später der erwähnte, durch Schuleschwänzen ermöglichte zweite Besuch, bei dem sie Nurejew tanzen sah: „Für mich hatte er ein Bühnencharisma, wie ich es nie wieder erlebt habe.“ Beides also starke Eindrücke, nicht nur was das Künstlerische betraf, sondern auch: „das Haus, die Atmosphäre, die Musik, die Magie des Abends.“ Wie ging es weiter? Der Entschluss, Theaterwissenschaft zu studieren, erhärtete sich dank dieser Erlebnisse, zumal auch Tanz-Vorlesungen von Gunhild Oberzaucher-Schüller und dem damaligen Ballett-Chef Gerhard Brunner auf dem Lehrplan standen. Und das Studium wiederum brachte einen regelmäßigen Stehplatz-Besuch mit sich. Man verbrachte also, auch in der Gruppe, viel Zeit auf dem Stehplatz wie auch mit der diskursiven „Nachbereitung“ des Erlebten. Eine Freni als Desdemona. Ein Bruson als Jago. Ein Carreras als Calaf. Ein Domingo als Otello. Und vieles mehr hat Silvia Kargl während dieser Jahre gesehen und gehört, wobei es ihr zunächst weniger um einzelne Künstler, als um die gespielten Werke an sich ging. Und um deren szenische Gestaltung. „Dadurch, dass ich ursprünglich zum Sprechtheater wollte, war für mich auch in der Oper eine entsprechend tiefgehende dramaturgische Auseinandersetzung stets von großer Bedeutung. Und die Verbundenheit eines Werkes mit einer schlüssigen Interpretation des Regisseurs gleich – nicht mehr, aber gleich – wichtig wie die musikalische Interpretation.“

Wie auch immer ihr die musikalische und szenische Ausgestaltung gefällt – oder vielleicht auch nicht gefällt, ein Tabu war stets und ist bis heute unumstößlich: jenes des Buh-Rufens. Denn dazu kennt Silvia Kargl zu viele Künstlerinnen und Künstler, weiß zu viel von der Ernsthaftigkeit und den Herausforderungen des Künstlerberufs, um zuzulassen, dass ihr ein noch so leises Buh über die Lippen käme. „Ich finde es menschlich einfach unheimlich verletzend“, meint sie, „einem Künstler so etwas anzutun. Denn jeder von ihnen gibt sein Äußerstes, und natürlich nimmt keiner eine Aufführung auf die leichte Schulter. Selbst wenn einem also etwas nicht gefällt oder tatsächlich etwas misslingt – ein Buh ist immer fehl am Platz!“

Bis heute trifft man sie gelegentlich am Stehplatz auf der Galerie, den Ort, den sie sich, dank der frühen Prägung, bis heute als Favoriten behalten hat. „Die Akustik“ schwärmt sie, und auch die Erinnerungen, machen diesen Stehplatz-Bereich zu etwas Besonderen. Wobei sie, ganz allgemein, den Stehplatz als Institution beeindruckend findet. „Um ein paar Euro Vorstellungen auf einem solchen Niveau zu erleben, ist einzigartig. Ich komme beruflich viel herum und besuche vergleichbare Opernhäuser – aber so etwas gibt es sonst nirgendwo. Da kann man nur dankbar sein, in einer solchen Stadt – oder der Umgebung – zu wohnen!“

Oliver Láng


Dr. Silvia Kargl, geboren in Wels. Studium der Theaterwissenschaft, Geschichte und Anglistik in Wien und Hamburg, Promotion mit einer Arbeit über Choreographien John Neumeiers. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker, freie Mitarbeiterin des Alexander- Zemlinsky-Fonds bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, freie Tanzkritikerin u.a. für die Tageszeitung Kurier und die Bühne.