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Am Stehplatz: Josef Hussek

Bernd Weikl meinte einmal zu mir: Operndirektor dürfe nur jemand werden, der am Wiener Opernstehplatz aufgewachsen ist. Das mag etwas überspitzt formuliert sein, aber was er damit sagen wollte, war: nirgendwo lernt man Oper besser kennen als am Wiener Opernstehplatz. Rund fünfzig verschiedene Werke der Opernliteratur in wechselnden Sängerbesetzungen in einer Spielzeit hören zu können, das gibt es in der Tat kaum irgendwo anders. Und wie lernt man Werke besser kennen und Stimmen zu beurteilen als wenn man sie oft und in unterschiedlichen Interpretationen hört.

Dass der Wiener Opernstehplatz die künstlerische Heimat meiner Jugend war, kann ich ohne Übertreibung sagen. 120 besuchte Opernabende in einer Spielzeit waren da keine Seltenheit. Aber der Wiener Opernstehplatz war für meine Generation von Opernfans mehr: er war eine Art Gegenwelt zu Schule und Zuhause. Ein sozialer Verband Gleichgesinnter, deren Unterschiedlichkeit in den Sängervorlieben und Anhängerschaften allerdings stärker nicht hätte sein können. Man traf sich, diskutierte schon beim „Anstellen“ (wie es im Gegensatz zum deutschen „Anstehen“ in Wien heißt) und oft auch nach den Aufführungen noch lange beim „Bühnentürl“ oder beim Smutny (dem Stammlokal der Wiener Stehplatzbesucher). Da gab es die Nilsson-Fans und die Rysanek-Fans. Die Di Stefano- Fans und die Corelli-Fans. Die Ghiaurov- und die Siepi-Fans. Und die Fronten blieben oft hart. Wie wünschten wir heute doch, sie alle zu haben! Konkurrenzfrei. Und irgendwie fühlte ich mich immer als Sonderfall zwischen den Cliquen. Denn ich liebte sie alle. Daran hat sich bis heute nichts ge.ndert. Jeder gute Sänger ist für mich aufs Neue ein Faszinosum.

Aber natürlich hatte auch ich meine „Lieblinge“. Die Güden, die Jurinac, die Ludwig, Antonietta Stella (deren Schicksal es war, Zeitgenossin von Maria Callas, Renata Tebaldi und Leontyne Price zu sein. Welchen Primadonnenrang nähme sie heute ein!). Dazu Grace Bumbry, Nicolai Gedda, Giuseppe Taddei, Eberhard Waechter, Giacomo Aragall (aber wer hat ihn nicht geliebt! Er blieb bis heute für mich die schönste aller Tenorstimmen) und viele, viele mehr.

Mein erster Opernstehplatz-Abend war Rigoletto mit Hilde Güden, Giuseppe Taddei und dem damals sehr geschätzten Giuseppe Zampieri. Es folgten Der Troubadour und La traviata. Vielleicht war damit ja der Grundstein gelegt, dass Verdi für mich immer das Zentrum der Oper geblieben ist. Meiner Begeisterung für Mozart, Wagner, Strauss, Puccini… tat dies keinen Abbruch. Aber sie war tempor.r unterschiedlich in ihrer Intensit.t. Verdi blieb die Konstante. Ja, man lernt viel am Wiener Opernstehplatz, aber Begeisterung allein reicht für die professionelle Arbeit im Opernmetier noch nicht aus.

Mein persönlicher Berufsweg führte mich nach einigen Jahren der Tätigkeit im sozialwissenschaftlichen Bereich über Bern, Bonn, Hamburg zurück nach Wien (als Intendant der Wiener Kammeroper) zu den Salzburger Festspielen (als künstlerischer Betriebsdirektor) und wieder nach Hamburg (als Operndirektor). Aber auch nach Salzburg gab es, nach einem Intermezzo im Künstlermanagement, eine Rückkehr. Jetzt als Künstlerischer Konsulent der Osterfestspiele. Das Handwerk kam mit der Praxis. Die Lehrjahre dafür waren aber fraglos die Jahre am Wiener Opernstehplatz.

Und auch wenn ich heute einen Sitzplatz in der Wiener Staatsoper bevorzuge, ab und zu verschlägt es mich doch auf den Stehplatz – und dann fast immer auf die Galerie (die Akustik ist dort die beste). Und irgendwie ist es dann, als wäre die Zeit still gestanden. Der Stehplatz ist aber nicht nur ein Platz in der Oper. Es ist ein Platz im eigenen Leben. Und er wird das, hoffe und wünsche ich, auch für die nachfolgende Generation von Opernfans sein. Denn, es gibt auch heute wunderbare Künstler, für die sich das lange Stehen lohnt.


Dr. Josef Hussek hatte zahlreiche führende Funktionen im internationalen Opernbetrieb, u.a. Operndirektor und Stellvertretender Opernintendant der Hamburgischen Staatsoper, Geschäftsführer und Intendant der Eutiner Festspiele, Künstlerischer Betriebsdirektor der Salzburger Festspiele, Intendant der Wiener Kammeroper und des Festivals „Mozart in Schönbrunn“. Jury-Mitglied unzähliger Gesangswettbewerbe. Er ist Künstlerischer Konsulent der Osterfestspiele Salzburg, Künstlerischer Berater Crescendi Artists Kopenhagen und hat einen Lehrauftrag an der Musik- Universität Wien für Artistic Management.