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Am Stehplatz: Ehemaliger Staatsoperndirektor Ioan Holender

Der einzige Ort in Wien an dem ich mich nicht einsam, fremd und verloren fühlte, als mich das Schicksal nach Wien spülte, war der Staatsopernstehplatz. Ich war damals schon 24 Jahre alt – und Oper und Theater waren bis dahin, also in den letzten zehn Jahren davor, mein Lebensinhalt gewesen. Alles was man im Temesvarer Staatstheater (Opera si Teatrul de Stat) gespielt hatte, besuchte ich regelmäßig, die Opernvorstellungen sogar unzählige Male. Ich kannte viele Verdi- und Puccini-Opern, sehr viele russische Werke, Operetten und von Mozart die Entführung aus dem Serail und Figaros Hochzeit.

Hier in Wien kannte ich damals niemanden, hatte natürlich keine Freunde und keine Freundin. Ich fremdelte wie man so schön sagt und sehnte mich sehr „nach Hause“, zu meiner geliebten Oper in Timisoara und zu den von mir tief verehrten Sängern. Am 14. Jänner 1959 strandete ich in Wien, am 20. Jänner war ich erstmals in der Staatsoper in Hoffmanns Erzählungen. Natürlich sang man auf Deutsch: Anton Dermota war der fantastische Hoffmann – ich war überwältigt, Mimi Coertse die Olympia, Wilma Lipp die Antonia und Michael Gielen dirigierte. Von wem die Inszenierung stammte, weiß ich nicht, denn die Regie interessierte mich – noch – nicht. Noch lange nicht. Es folgte Rigoletto in der Volksoper (Alexander Svéd – schon sehr herbstlich –, Christiane Sorell und Karl Friedrich), dann mein erster Don Carlo (Jon Vickers, Christel Goltz, Gottlob Frick, Kostas Paskalis, Alois Pernerstorfer) – mit Herbert von Karajan am Pult. Sechs Tage danach Madama Butterfly unter dem gleichen musikalischen Leiter mit Sena Jurinac, Giuseppe Zampieri und Eberhard Waechter. Was ein Dirigent bedeuten kann, welche ungeheure Wirkung er auf eine Opernvorstellung hat, war mir, bis ich Karajan erlebt habe, nicht bewusst. Ich ging in der Folge zu allen von Karajan dirigierten Vorstellungen und es waren damals viele und verschiedene. (Die Besetzung der Vorstellungen schrieb ich übrigens von den Abendplakaten ab – die Zetteln habe ich heute noch – siehe Abb. oben.) Durch die langen Stehzeiten für die billigen Stehplatzkarten kam ich ins Gespräch mit so manchem, der sich ebenfalls regelmäßig anstellte und so kehrte auch meine Lebens- und Daseinsfreude allmählich zurück. Anhaltestangen gab es damals selbstverständlich nicht, doch viel schmerzlicher war, dass man in der Schlange bis zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn stehen bleiben musste – und den endlich erzwungenen Platz im Haus konnte man nicht, wie heute, mit Schals oder anderen Objekten besetzt halten, sondern nur mit sich selber …

Strauss’ Arabella fand ich damals besonders fad, Elektra übermäßig laut. Elisabeth Schwarzkopf als Elisabeth in Tannhäuser wurde vom Stehplatz ausgebuht und auch die Güden oft. Zwar waren beide schon über ihren Zenit, aber dass man in einem Opernhaus buht, war mir bislang unbekannt gewesen! Giuseppe di Stefano war unser Tenorgott, obwohl er immer forcierte und gefährlich offen sang, Franco Corelli war für mich sogar der absolute Übergott. Von dem mir total unbekannten Wozzeck mit Walter Berry und Christel Goltz, dirigiert von Karl Böhm, war ich zutiefst beeindruckt und nach einer Aida-Vorstellung mit Renata Tebaldi, Giulietta Simionato und Tito Gobbi unter Karajan sagte ich mir auch wenn es mir sonst wirklich nicht gut ging: „Also, schon deshalb hat es sich gelohnt herzukommen“.

Zum Abschluss vielleicht noch so viel: 12. Juni 1959 Tosca – Renata Tebaldi, George London; 15. Juni Otello – Carlo Guichandut, Tito Gobbi, Renata Tebaldi; 18. Juni Tristan und Isolde – Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen – alle drei Vorstellungen unter Karajan. Der Staatsopernstehplatz im Parterre oder Galerie – nie Balkon – wurde mir zum Lebens- und Überlebensort. Im Anstellen davor und in den Gesprächen danach, aber vor allem und wegen dem was dazwischen war.

Ioan Holender