© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor
Choreograph Christopher Wheeldon mit Hyo-Jung Kang & Brendan Saye
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Choreograph Christopher Wheeldon mit Hyo-Jung Kang & Brendan Saye
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Das Herz der Emotionen treffen

Christopher Wheeldon ist einer der großen Geschichtenerzähler unter den Choreographen unserer Zeit. Für das Royal Ballet London hat er 2014 zu einer Auftragskomposition von Joby Talbot William Shakespeares Schauspiel The Winter’s Tale in ein ebenso fesselndes wie bildgewaltiges Handlungsballett verwandelt. Mit dem Wiener Staatsballett feiert die Produktion nun ihre Österreich-Premiere: ein Tanzdrama über Freundschaft und Liebe, zerstörerisches Misstrauen und Eifersucht, aber auch die Kraft der Verwandlung und Möglichkeit zu Vergebung und Versöhnung.

AdP     Sie sind einer der wenigen Choreographen, denen es gelungen ist, dem Handlungsballett mit neuen Stoffen wie Alice’s Adventures in Wonderland (2011), The Winter’s Tale (2014) oder Like Water for Chocolate (2022) neues Leben einzuhauchen. Was reizt Sie am Geschichtenerzählen durch Tanz?

CW      Es geht um meine Beziehung mit dem Publikum. Wie kann ich ein Werk kreieren, das zu diesem eine Verbindung schafft. Die Zuschauer*innen sind fasziniert von der poetischen, abstrakten Form sinfonischer Einakter, als Menschen lieben wir aber Geschichten. Ich mag die Herausforderung, eine Tanzsprache zu kreieren, die Emotionen und Handlung klar vermittelt, Tänze, die einen Charakter durch einen Handlungsbogen tragen. Als Choreograph suche ich diese Herausforderungen. Ich möchte das Publikum auf eine Reise mitnehmen.

AdP     Soweit wir wissen, wurde William Shakespeares The Winter’s Tale noch nie zuvor choreographiert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, daraus ein Ballett zu machen?

CW      Mein Freund Sir Nicholas Hytner, ein brillanter Shakespeare-Regisseur, hat mir das Stück vorgeschlagen. Anfangs hatte ich wegen der anspruchsvollen und dichten Handlung etwas Bedenken. Aber im Grunde ist The Winter’s Tale in seiner Komplexität eine sehr menschliche Geschichte, voller Eifersucht, Schrecken und schließlich Vergebung – Emotionen, die wir in der einen oder anderen Art nachvollziehen können. Ich liebe Shakespeares Spiel von Licht und Dunkel und dass The Winter’s Tale uns zeigt, dass es immer noch Hoffnung für Menschen gibt, die anderen durch ihre Handlungen Schmerzen zugefügt haben. Emotionen können uns oft für die Realität blind machen, aber Vergebung ist viel stärker als Hass.

AdP     Sie wählen nicht nur für die Ballettbühne unverbrauchte Stücke, sondern geben dazu auch die Musik in Auftrag. Welche Rolle spielt für Sie die Musik?

CW      Die Musik ist alles. Ohne Musik, die tief in die Geschichte eindringt, gibt es kein erfolgreiches Handlungsballett. Die Musik muss mehr tun, als nur die Handlung zu beschreiben. Sie muss das Herz der Emotionen treffen.

AdP     Wie sind Sie auf den Komponisten Joby Talbot gestoßen?

CW      Joby und ich haben 2009 sehr erfolgreich an einem Einakter für meine Compagnie Morphoses zusammengearbeitet. In seinem Komponieren war so viel Magie, dass sich in der abstrakten Welt, die ich schuf, ein ganzes Drama entfaltete. Damals wurde mir klar, dass er der perfekte Partner ist, um die verrückte Fantasie und Schönheit in Alice’s Adventures in Wonderland einzufangen. So begann unsere äußerst fruchtbare Zusammenarbeit. Joby weiß, wie man situations-, emotions- und charakterbezogene Musik schreibt. Er hat eine Reihe von Filmmusiken, aber auch sehr erfolgreiche Konzert- und wunderschöne Chorwerke komponiert. Er bringt ein unglaubliches Wissen über Weltmusik mit und liebt es, seltene und exotische Instrumente in seine Orchestrierungen einzubeziehen.

AdP     Wie muss man sich Ihre Umsetzung von Shakespeares Stück vorstellen? Haben Sie den Text in Tanz übertragen oder arbeiten Sie mit einer Minutage, in der die grundsätzliche Atmosphäre und wichtigen Säulen einer Szene skizziert sind?

CW      Beides! Natürlich hat Shakespeare großartige Handlungsstränge kreiert, aber man kann auch sehr viel aus seiner Poesie herausholen. Im Text des Stückes gibt es zahlreiche fantastische und sehr körperliche Bilder und ganz direkte Hinweise auf Bewegung. Die Herausforderung, Shakespeare tänzerisch zu inszenieren, besteht darin, ihn nicht nur auf die Handlung zu reduzieren, sondern auch den Reichtum seiner Sprache in der Bewegungserzählung einzufangen.

AdP     Ihre Figuren sind sehr genaue Charakterstudien. Wie würden Sie Ihre Bewegungssprache beschreiben, die Sie nutzen, um die Figuren zu zeichnen?

CW      Ich kann meine Sprache nicht anders beschreiben als als klassisches Ballett, das aber von anderen Tanzästhetiken inspiriert ist. Ich neige dazu, nach der Form, nach dem Schritt zu suchen, in dem sich ein bestimmter Moment oder eine Emotion vermittelt. Außerdem versuche ich, Motive zu finden, die leitmotivisch als Charakterzüge erkennbar sind. So hat Leontes zum Beispiel eine spinnenartige Hand, mit der ich seine Infektion durch die unerklärliche Eifersucht in seinem Geist und Körper symbolisiere. Im 2. Akt ist das Corps de ballet der eigentliche Star. Das böhmische Frühlingsfest ist ein fröhliches Spektakel und eine der aufregendsten Nummern, die ein Ensemble tanzen kann.

AdP     Besonders ist auch das Bühnenbild zu The Winter’s Tale. Was muss eine Bühne für ein Ballett von Christopher Wheeldon können?

CW      Viel Raum zum Tanzen lassen und das Publikum mit auf eine magische Reise nehmen. Niemand kann das so gut wie der brillante Bob Crowley. Bob fängt die Essenz eines Stückes ein, die menschlichen und magischen Qualitäten und bringt sie dann in die heutige Zeit, ohne die klassischen Elemente zu eliminieren. Er aktualisiert nicht, sondern stellt etwas neu dar. Plötzlich denkt man: »Natürlich sieht das Wunderland, Böhmen oder Nordmexiko so aus«, aber eben auf die Art von Bob Crowley.

Das Gespräch ist ein Auszug aus einem Interview, das vollständig im Programmheft The Winter’s Tale erscheint.

Das Gespräch führte Chefdramaturgin Anne do Paço.