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Schwanensee - Sinfonische Meisterschaft

"Entweder ich befinde mich in einem schrecklichen Irrtum, oder Pique Dame ist wirklich mein chef d’oeuvre“, schrieb Peter Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) während der Arbeit an der Oper an seinen Bruder Modest und einen Monat nach Fertigstellung der Komposition meinte er: „Es scheint mir jetzt, dass die Weltgeschichte in zwei Zeitabschnitte eingeteilt ist: in den ersten gehört alles, was sich seit der Erschaffung der Welt bis zur Komposition von Pique Dame abgespielt hat. Der zweite hat vor einem Monat begonnen…".

Eine solche Selbstsicherheit legte der Komponist nicht immer an den Tag, bezüglich seines Balletts Schwanensee zeigte er sich im Gegenteil sogar überaus deprimiert, nachdem er Léo Delibes’ (1836 bis 1891) Ballett Sylvia gehört hatte: „Falls ich diese Musik früher gekannt hätte, hätte ich Schwanensee selbstverständlich nicht komponiert, verglichen mit Sylvia ist es armseliges Zeug.“

Ohne dem Komponisten in seinen eigenen Urteilen widersprechen zu wollen, muss im historischen Rückblick festgehalten werden, dass Schwanensee trotz der vernichtend harten Selbstkritik in jedweder Hinsicht einen weitaus höheren Stellenwert einnimmt als Sylvia und zweifellos eines der zahlreichen chef d’oeuvres Tschaikowskis ist. Darüber hinaus ist in weiterer Übernahme von Tschaikowskis Bemerkungen zu seiner Oper Pique Dame festzuhalten, dass die Weltgeschichte der Ballettmusik in der Tat in zwei Zeitabschnitte geteilt erscheint, wobei in den ersten all jenes gehört, was sich seit der Etablierung der Kunstgattung bis zur Komposition von Schwanensee abgespielt hat und der zweite 1877 mit dessen Uraufführung begonnen hat. Denn die Wucht, mit der Tschaikowskis Gattungsbeiträge die so genannte sinfonische Ballettmusik als Novität auf den Bühnen durchsetzten, kann in ihrer Wirkung kaum überschätzt werden. Schwanensee ist und bleibt das „Ballett der Ballette“, ein Mythos, der zum Symbol der ganzen Kunstgattung wie in gewisser Weise zugleich der russischen Musik selbst wurde.

Mit der Übertragung sinfonischer Gestaltungsprinzipien auf das Gebiet der Ballettkomposition, allen voran den von Tschaikowski überwältigend gehandhabten Prinzipien einer meisterhaften Instrumentation, machte er Ballettmusik, der zuvor trotz kompositorischen Einzelbeiträgen wie jenen von Delibes oder Adam eher der Charakter der „Gebrauchsmusik“ anhaftete, künstlerisch interessant wie salonfähig und schuf solchermaßen die Grundlagen, auf denen spätere Erfolge von Alexander Glasunow, Igor Strawinski oder Sergej Prokofjew aber auch Benjamin Britten, Hans Werner Henze bzw. Rodion Schtschedrin erst möglich wurden.

Tschaikowski ist damit einer der großen Wendepunkte der Musikgeschichte, der viele musikalische Gattungen wie Sinfonie, Solokonzert, Oper, Ballett, Klavier- und Kammermusik formte und sich in Bezug auf seine eigene Bedeutung damit also keineswegs im Irrtum befand.

„Was ist unser Leben? Ein Spiel!“ singt Hermann im dritten Akt der Oper Pique Dame, Tschaikowski hat es musikalisch gewonnen.

Oliver Peter Graber