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Mit Leidenschaft und Liebe

Die Wiener Staatsoper ist praktisch so etwas wie das zweite Wohnzimmer des italienischen Dirigenten Marco Armiliato. Allein in diesem Monat dirigiert er neben der Trovatore-Premierenserie auch noch Vorstellugen von Otello und L’elisir d’amore. Und bleibt, bei allem Arbeitseinsatz, stets der Sonnigste unter seinen Kollegen. Während einer Probenpause erzählt er Oliver Láng über sein Multitasking-Konzept, den Wow-Effekt bei Verdi und die Arbeit mit Anna Netrebko.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie ein unglaubliches Repertoire abrufbereit haben und in kurzer Zeit extrem viele unterschiedliche Opern dirigieren können. Haben Sie eine Methode entwickelt, mit der Sie diese Herausforderung meistern?

Marco Armiliato: Ja, ich habe inzwischen eine gute Methode. Ich konzentriere mich nur auf den jeweiligen Tag und nur auf jene Aufgaben, die ich an diesem Tag erledigen muss. Oder denke sogar nur in Stunden: Ich erledige, was als nächstes getan werden muss. Wenn ich nämlich anfange, darüber nachzudenken, was ich heute, was ich morgen und was ich nächste Woche zu tun habe, dann kommen ein paar Ängste auf. Man soll das nicht machen! Sondern einfach auf jene Aufgaben fokussieren, die aktuell anstehen. Eins nach dem anderen… Das ist viel menschlicher! (lacht) So kann ich mir meine Arbeit und meine Kräfte viel besser einteilen. Also: Heute Vormittag probe ich Trovatore. Und konzentriere mich ganz darauf und gebe alles, was ich habe. Ich bin total in der Trovatore-Welt drinnen. Dass ich morgen Abend Fanciulla del West dirigiere, daran denke ich jetzt nicht. Sondern kümmere mich darum, wenn es soweit ist. Das ist das ganze Geheimnis. Immer nur auf eines fokussieren!

Was passiert aber, wenn Sie sich auf Otello konzentrieren wollen – aber in Elisir d’amore-Stimmung sind? Oder anders gefragt: Funktioniert die Fokussierung auf Befehl?

Marco Armiliato (lacht): So etwas versuche ich erst gar nicht geschehen zu lassen. Da wäre ich in einer falschen Welt daheim! Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, mit Otello im Kopf und im Gefühl kann man den Liebestrank natürlich nicht dirigieren. Otello ist dunkel, intensiv, stark, er ist tiefgehender. Elisir ist ein Werk, das ein Lächeln in sich trägt, so freundlich und sonnig.

Wie aber kommen Sie in die richtige Stimmung? Gibt es so etwas wie ein „eindirigieren“, analogzum Einsingen der Sänger? Indem sie also zum Beispiel ab Mittag in Otello-Stimmung leben?

Marco Armiliato: Nein, das gibt es nicht. Oder zumindest mache ich das nicht. Ich lebe eigentlich, bis zum Moment der Aufführung, ein normales Leben. Oder versuche es zumindest (lacht). Wenn ich aber zur Aufführung komme, wenn ich die Verantwortung spüre, dann kommen Körper und Geist in die richtige Stimmung.

Die richtige Stimmung setzt also im Moment ein, in dem Sie ans Dirigentenpult treten?

Marco Armiliato: Ein bisschen früher. Normalerweise, sobald ich meinen Raum, das Dirigentenzimmer, betrete. Also noch vor der Vorstellung. Oder, sobald ich im Opernhaus bin. Ich spüre die Atmosphäre, ich treffe die Künstlerinnen und Künstler. Und da liegt schon etwas in der Luft, das einen in die richtige Stimmung bringt. Um bei Elisir d’amore zu bleiben: Wenn diese Oper am Spielplan steht, dann haben die Musiker ein kleines Lächeln auf den Lippen, sie sind fröhlich und leichtfüßig. Wenn aber zum Beispiel Fanciulla del West gespielt wird, ist alles ein bisschen ernster. Man spürt, dass da eine andere Stimmung im Haus ist.

Sie haben tausende Abende weltweit dirigiert und kennen hunderte szenische Arbeiten. Haben Sie eigentlich so etwas wie einen favorisierten Inszenierungsstil?

Marco Armiliato: Ich bin ein traditionell eingestellter Mensch. Also mag ich traditionelle Inszenierungen. Mir gefällt es einfach, wenn ein Bühnenbild schön und beeindruckend ist, wenn schöne und berührende Bilder erzeugt werden. Doch ganz von meiner eigenen Meinung abgesehen: Ich glaube, dass für viele Menschen Oper eine Reise in eine andere Welt ist, eine Art Traum, in den sie eintauchen und der sie ein wenig aus der tatsächlichen Wirklichkeit entführt. Sie kommen, schalten um und sind für zwei, drei, vier Stunden in der Opernwelt, freuen sich, wenn sie schöne Kostüme, Bühnenbilder und so weiterer leben, die vielleicht in die Vergangenheit zurückweisen. Sie merken schon: Ich bin ein sehr romantischer Mensch! Aber gleichzeitig bin ich jemand, der neue Ideen sehr schätzt und als sehr wichtig empfindet. Aber diese Ideen müssen dem, was im Libretto steht und dem, was die Musik ausdrückt, entsprechen. Das ist auf alle Fälle die Basis. Die Fantasie kann riesengroß sein – und es ist gut, wenn sie groß ist – aber sie darf den Rahmen des Librettos und der Musik nicht verlassen. Wenn man diesen verlässt und sagt: Rigoletto, das ist bei mir nicht das, was Verdi wollte, sondern es gehört ganz anders; oder wenn einer sagt: Meine Tosca ist nicht die Tosca von Puccini, dann denke ich mir: Zeig einmal, ob deine Tosca wirklich besser ist als jene von Puccini, Giacosa und Illica. Leicht ist das jedenfalls nicht, sie zu übertreffen ...

Wenn Sie sich nun einer Neuproduktion wie Trovatore nähern, wie lange dauert die Vorbereitung? Schließlich haben Sie die Oper ja schon oft einstudiert und kennen sie entsprechend.

Marco Armiliato: Es ist ganz egal, wie oft ich eine Oper schon dirigiert habe. Ich möchte und muss sie jedes Mal von Beginn an neu studieren. Sonst würden wir sehr schnell in einer Routine landen und es würde jedesmal dasselbe sein. Aber Musik ist niemals dasselbe! Sie ist immer, an jedem einzelnen Abend, bei jeder Aufführung etwas Anderes, etwas Neues. Sogar in jedem einzelnen Moment! Also muss man bereit sein, in jedem Augenblick dieses Neue zu erfahren. Man muss sich ihr stellen. Und genau so möchte ich Musik machen. Das ist mein Ziel, und das treibt mich an! Ich möchte, dass das Publikum glücklich ist, dass die Sänger glücklich sind. Beide in gleichem Maße!

Versuchen Sie also alles zu vergessen? Beginnen Sie immer mit einer neuen Partitur?

Marco Armiliato: Ich habe natürlich bei jedem Stück meine persönlich wichtigen Stellen und Eintragungen, Dinge, an die ich mich erinnern muss: Auf dieser Seite der Partitur dies und auf jener das. Aber dennoch: Ich habe zum Beispiel Trovatore letztes Jahr an der Metropolitan Opera gemacht, mit Anna Netrebko – und es war gut und ein großer Erfolg. Jetzt aber ist es trotzdem etwas Neues. Die Sänger sind fast alle andere, wir haben ein anderes Bühnenbild, einen anderen Regisseur, die Akustik ist eine andere, das Orchester auch. Es ist also beinahe ein anderes Stück. Natürlich haben wir die Erfahrung und können uns an das bereits Getane erinnern, aber dennoch: Es ist keine Wiederholung. Und wir müssen versuchen, es diesmal vielleicht noch besser zu machen als bei den letzten Malen!

Mit Anna Netrebko haben Sie schon so oft zusammengearbeitet, dass es inzwischen nur noch wenige Worte in der gemeinsamen Arbeit braucht?

Marco Armiliato: Das stimmt. Wir kennen einander wirklich schon sehr gut und es muss nicht mehr viel gesprochen werden. Abgesehen davon ist sie so fantastisch gut! Die beste Leonora! Man muss sie mehr oder weniger nur singen lassen und kann ganz entspannt bleiben.

Trovatore ist das mittlere Werk der trilogia popolare von Verdi, also der drei epochalen Werke Rigoletto – Trovatore – Traviata ...

Marco Armiliato: … ich denke, bevor wir über die Oper im Detail reden, müssen wir eine vierte Oper erwähnen, die ich als Schlüssel zu diesen dreien sehe: Stiffelio. Ich würde dieses Werk unbedingt in einen engen Bezug zu dieser Trias stellen, fast als das vierte, den anderen aber vorausgehende Werk. Man merkt an Stiffelio einfach, wie Verdi sich wandelt und die Protagonisten in eine bestimmte Richtung treibt. Sie bekommen eine ganz neue Bedeutung und einen anderen Stellenwert. Wenn man die trilogia popolare aus dem Stiffelio-Blickwinkel betrachtet, ist das sehr spannend. Lina in Stiffelio deutet zum Beispiel invielem direkt auf Gilda in Rigoletto hin ...

Nun zum Trovatore: Was zeichnet dieses Werk aus? Wo kann man es in Verdis Schaffensbogen verorten?

Marco Armiliato: Ich würde sagen, dass der Trovatore – aber das gilt genaugenommen für alle drei Opern der vorhin genannten Trilogie – einen wirklichen und prägnanten Höhepunkt im Gesamtschaffen Verdis darstellt. Zum ersten Mal ist Verdi nun ganz der Verdi, als der er in die Geschichte eingegangen ist. Das bedeutet nicht, dass die Werke zuvor – wie Macbeth – nicht auch ganz große Meisterwerke wären. Aber man spürt beim Trovatore so eine unglaubliche Sicherheit in dem, was er macht. Es ist zum Beispiel in der Instrumentation, in der Behandlung des Orchesters eine bestechende Logik. Und dazu kommt auch noch, dass Verdi mit einem großen Sinn für Dramaturgie und einer Kenntnis der Möglichkeiten der menschlichen Gesangsstimme an die Solopartien herantritt. Das sind Aspekte, die in mir bei jeder neuen Begegnung eine Art „Wow!“ hervorrufen. Es ist so beeindruckend! Bei ganz großen Meisterwerken passiert mir dieses „Wow“ immerwieder: Ich weiß zwar, wie großartig sie sind, aber wenn ich sie aufs Neue studiere oder höre, bin ich doch wieder überrascht und hingerissen und denke mir: „So ein Genie!“

Und sind es immer dieselben Stellen in einer Oper, die Sie so hinreißen?

Marco Armiliato: Manchmal ändert sich – bei jedem von uns – der Geschmack. Ich habe zum Beispiel früher als Kind Pizza nicht gemocht, kaum war ich in den 40ern fand ich Pizza fantastisch. So ist es auch in der Musik. Natürlich, es gibt großartige Stellen, die einem immer gefallen und die nichts an Faszinationskraft einbüßen. Aber es kommt manches dazu. Das Spektrum wird größer.

Stiffelio etwa kam bei Ihnen dazu.

Marco Armiliato: Genau. Und mit Stiffelio die Erkenntnis über den Weg Verdis zum Trovatore.

Trovatore besteht formal aus vier Abschnitten. Sind diese jeweils als Einzelteile zu betrachten? Oder versuchen Sie einen großen Bogen zu finden?

Marco Armiliato: Man muss sie miteinander verbinden. Musikalisch sind sie zwar unterschiedlich ausgestaltet, bilden aber doch auch eine Einheit. Man muss es schaffen, jeden für sich aber dann auch alle als etwas Gemeinsames zu entwickeln.

Wieweit greift Verdi zu musikalischen Beschreibungen von Charakteren, wenn er die Trovatore-Geschichte erzählt?

Marco Armiliato: Wie er das macht, möchte ich an einem Beispiel ansprechen. Azucena: Immer wenn sie singt, wird die Musik ganz speziell: Sie zeigt eine etwas verrückte, aber im Denken sehr brillante Figur. Ähnlich geht Verdi auch bei den anderen vor, Lunas Liebe zeigt er sehr kontroversiell, Leonora hat etwas Engelhaftes.

Eine besondere Rolle nimmt auch in dieser Oper der Chor ein.

Marco Armiliato: Der Chor hat bei Verdi – wenn auch auf unterschiedliche Weise – fast immer eine zentrale Bedeutung. Man denke nur an Nabucco – Va pensiero ist ja eine Nummer, die unglaublich berühmt ist. Ähnlich ist es mit Macbeth und Patria oppressa. Aber auch in La traviata nimmt der Chor, wenn man genau hinschaut, eine wichtige Stellung ein. Das zieht sich durch das Gesamtwerk bis zum Otello. Und dort schrieb Verdi einen der für mich persönlich großartigsten Chöre überhaupt! In Wahrheit spielt der Chor bei Verdi eine Hauptrolle ...

Regisseur Daniele Abbado sprach von einer Wärme des Südens, die in der Oper spürbar wird. Das betrifft vor allem auch die Musik?

Marco Armiliato: Ja, ich verstehe genau, was er meint. Das stimmt. Im musikalischen Ausdruck ist immer wieder etwas, was „südlich“wirkt. Der Coro di zingari etwa: das ist mehr der südliche, raue Ausdruck als eine elegante nördlichere Sprache. Also mehr Palermo als Mailand (lacht).

Lässt sich zusammenfassen, worin für den Dirigenten im Trovatore das besonders Knifflige besteht?

Marco Armiliato: Ich würde sagen, in der langen Ahnengalerie der großartigen Trovatore-Interpretationen der Vergangenheit. Als heutiger Dirigent ist man immer wieder versucht, Vergleiche mit älteren Kollegen anzustellen. Aber so etwas sollte man grundsätzlich nicht machen. Klüger ist es, sich über die grandiosen heutigen Besetzungen zu freuen. In unserem Fall: Anna Netrebko als Leonora, Roberto Alagna als Manrico, Luciana d’Intino als Azucena, Ludovic Tézier als Luna. Besser geht es wirklich nicht! Und alleine diese Besetzung ist schon ein guter Grund, diese Oper zu spielen. Ein Traum! Wir haben einfach die Besten ihres Fachs.

Auch wenn Sie nicht vergleichen wollen – wie gehen Sie mit der Tradition der großen italienischen Dirigenten um? Versuchen Sie sich in diese Tradition zu stellen?

Marco Armiliato: Ich glaube, ich kenne alle wesentlichen Aufnahmen und Interpreten von 1970 bis heute. Und schon als Kind habe ich all die berühmten Opern gehört. Natürlich schätze ich diese Tradition und habe auch den Wunsch, an sie anzuschließen. Mit all meiner Leidenschaft und Liebe – und mit dem an Erfahrung, was ich bisher sammeln durfte.


Otello | Giuseppe Verdi
6., 10., 13., 16. Februar
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L´elisir d´amore | Gaetano Donizetti
17., 26. Februar
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Il trovatore | Giuseppe Verdi
Premiere: 5. Februar
Reprisen: 9., 12., 15., 18. Februar
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