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Eine zersplitterte Welt

Gleich bei meiner ersten Begegnung mit Prokofjews Spieler an der Berliner Staatsoper begeisterte, ergriff und überwältigte mich das Stück so sehr, dass sich das Werk in mir geradezu als Wunschstück festsetzte. Als ich dann Jahre später mit Dominique Meyer über mögliche Neuproduktionen an der Wiener Staatsoper nachdachte, kam die Sprache dementsprechend bald auf den Spieler, wobei ich mich von Anfang an gegen eine realistisch-naturalistische Umsetzung des Stoffes entschied, zumal diese Lesart in der besagten Berliner Regie bereits auf optimale Weise vorgestellt worden war.

Gewohnt, bei Literaturopern parallel auf allen drei Ebenen vorwärtszuschreiten, pendelte ich im Zuge der Vorbereitungen für unsere Inszenierung auch in diesem Fall zwischen der Dostojewski’schen Vorlage, dem Libretto und der Musik hin und her. Nach und nach verstand ich die ursprüngliche, vom Verlag nicht akzeptierte Intention Dostojewskis, den Roman Roulettenburg nennen zu wollen, da dieses Wort auf perfekte Weise den hier geschilderten surrealen Ort, die in sich geschlossene surreale Welt umreißt, in der eine Gruppe von Menschen losgelöst vom wahren Leben einem einzigen Daseinszweck frönen, nämlich dem Spiel. Die sinngemäße Bemerkung einer Dame im Spielcasino, wonach alle um sie Anwesenden das eigentliche Menschliche verloren hätten, wurde infolgedessen als Schlüsselsatz wegweisend für mein Team und mich, öffnete gewissermaßen eine Tür zu dem Versuch, ins Innenleben der Figuren vorzudringen.
Wir wissen von Psychologen, dass Spielsucht immer der Ausdruck eines mehr oder weniger verdrängten Grundproblems darstellt – und gerade Alexej, dem männlichen Protagonisten der Handlung, der in Wahrheit erst ganz zum Schluss im vierten Akt zum Spieler mutiert, haftet in seiner obsessiven Liebe zu Polina von Anfang an etwas „Ver-rücktes“ an. Nichtsdestotrotz scheinen Alexej und Polina für große Strecken der Handlung die realistischsten Charaktere der Geschichte zu sein. Insbesondere ihre psychologisch überaus komplexe Beziehung, ergänzt durch den halbseidenen Marquis, in den Polina ihrerseits verliebt ist, zeigt eine gerade für heutige Zeiten oft erlebbare, sehr moderne unheilvolle Konstellation. Hier der junge Mann, der die Angebetete zum Objekt macht, sie auf den Thron hebt, der unfähig ist, die Frau in ihr zu sehen und ihr auf Augenhöhe zu begegnen, dort die junge traumatisierte Frau, die einer anderen, einseitigen Liebe nachhängt, die für sie zur Demütigung wurde. Alexej ist für Polina bloß eine Art benutzbarer tragischer Unterhalter, der ihre Seelenwelt, ihre Gefühlszustände nicht begreift, der sie darum im entscheidenden Augenblick auch nicht festzuhalten imstande ist und ihr erlittenes Trauma unbewusst sogar noch vertieft.

Es zeugt vom phänomenalen dramaturgischen Gespür Prokofjews, dass er nicht den kompletten Dostojewski-Roman vertonte, sondern die Opernhandlung mit dem endgültigen Aus dieser Beziehung beendete, somit den unheilvollen Strang Alexej-Polina zum roten Faden des Stückes machte, der schließlich zur finalen Katastrophe führt: Er, dem Wahn verfallen, sie, ohne jede Zukunftsperspektive – die beiden können nur untergehen!

Ich arbeite in meinen Inszenierungen gerne mit assoziativen Bildern. Für den Spieler entwickelten wir unter anderem, ohne hier allzu viel verraten zu wollen, die Idee des „Ringelspiels“ als bestimmendes Bühnenelement. Es versinnbildlicht die Drehung im Roulette genauso, wie den für Außenstehende geschlossenen kleinen (Sucht)-Kosmos, in dem es trotz stetiger Bewegung kein Vorwärtskommen gibt. Darüber hinaus haben wir mit den Dimensionen gespielt, um die Kleinheit der Menschen vor diesem Sehnsuchtsort Casino zu symbolisieren, die Kleinheit von Menschen, die aus der Bahn geworfen, in einer aus dem Lot geratenen, zersplitterten Welt verloren herumirren.

Karoline Gruber


Der Spieler | Sergej Prokofjew
Premiere: 4. Oktober 2017
Reprisen: 7., 10., 14., 17., 20. Oktober 2017
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Werkeinführungen: jeweils eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Gustav Mahler-Saal