Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik

Das Staatsopernorchester: Soloharfenistin Anneleen Lenaerts

Auf der einen Seite: Eine Musikerinnenkarriere, die sich fast schon in Superlativen liest. 23 Wettbewerbssiege, CD-Einspielungen, die erfolgreiche Solistenlaufbahn, das frühe Engagement im Staatsopernorchester, ein schnurgerader Lauf nach oben. Auf der anderen Seite: Eine junge Frau, die keinen Gedanken an eine strategisch ausgerichtete Karriere vergeudet. Ein Masterplan? Ein Konzept, das die nächsten Jahre in ein Korsett zwängt? Nichts ferner als das! Sondern einfach nur: Musizieren, mit größter Freude, mit Hingabe und Begeisterung. Der Rest fügt sich, solange die Qualität stimmt. So liest sich der Lebenslauf der belgischen Harfenistin Anneleen Lenaerts richtig, und genau so erzählt sie auch aus ihrem Leben. Mit Bedacht, ohne Berechnung, vor allem aber mit unaufdringlicher Sicherheit, freundlicher Souveränität und Ehrlichkeit: Musik bereitet ihr einfach Freude, ganz offensichtlich, und füllt das Leben aus. „Wenn man sich darauf konzentriert, seine Sache gut zu machen, dann kommen die guten Sachen fast wie von selbst ...“
Begonnen hat dies alles mit dem einfachen Wunsch Musik zu machen. Anfangs Klavier, dann die Suche nach einem zweiten Instrument, einem, das man in einer Gruppe spielen kann. Flöte? Klarinette? „Mir wäre fast alles Recht gewesen“, so Lenaerts. „Hauptsache musizieren.“ Der Dirigent des städtischen Orchesters empfahl Harfe, da gerade akuter Bedarf bestand, und so bekam dieses Instrument schließlich den Zuschlag. Eine Lehrerin entdeckte kurz darauf das Talent des Kindes, schickte es bald zu Wettbewerben und Konzerten. „Ich komme aus keinem typischen Musikerhaushalt“, erzählt die Harfenistin, „und so wusste ich anfangs gar nicht so genau, was da rund um mich passiert.“ Sie lacht: „Vielleicht war das ganz gut so!“ Also spielte Lenaerts unbefangen, brachte Preise nach Hause, stand auf der Bühne, machte gute Erfahrungen, bekam noch mehr Chancen, nützte sie – und war, ehe sie sich versah, mitten drin im Musikerleben. Trotz aller frühen Erfolge schloss sie die Schule ab und schaffte die Matura, überlegte ein Studium jenseits des Instruments, besuchte Meisterkurse, perfektionierte sich in Paris. SO ganz nebenbei nahm sie auch noch kompositorisches Handwerkszeug in Form eines Kontrapunkt- und Harmonielehrestudiums mit. Bald hatte sie sich einen Namen als Solistin gemacht flugs sprang die Karriere an.
Ihr Weg führte sie aber auch nach Wien, zum Probespiel fürs Staatsopernorchester, das sie (ohne je eine Oper gespielt zu haben) gewann. Und so ist sie, neben ihrer eigenständigen Karriere, seit 2010 Soloharfenistin des Orchesters bzw. der Wiener Philharmoniker. „Ich hätte nie gedacht, wie groß der Einfluss des Orchesterspielens auf das Solistische ist“, zeigt sie sich heute beeindruckt. „Seit ich hier spiele, bin ich solistisch viel weiter gekommen, weiter, als ich es alleine geschafft hätte.“ Denn das Erleben der zahlreichen Orchesterfarben, das instrumentale Denken, die Möglichkeiten, die dieser Klangkörper besitzt, verändern die persönliche Interpretation. „Inzwischen denke ich bei manchen Stellen an Bläser, an Kontrabässe, an Geigen – und versuche den Harfenklang entsprechend zu modellieren. So wird das Gegebene reichhaltiger, bunter, instrumentaler!“
Erst kürzlich hat Lenaerts ihre dritte CD aufgenommen, diesmal gemeinsam mit dem Klarinettisten Dionysis Grammenos, auf der Transkriptionen von Schubert und Schumann zu hören sind. „Die Transkriptionen habe ich selbst erstellt, das ist eine schöne Arbeit, die ich gerne mache.“ Lächelt sie, um gleich ein Geheimnis zu verraten. Ja, auch eigene Werke für ihr Instrument habe sie schon heimlich komponiert, aber noch nicht veröffentlicht. „Das traue ich mich nicht!“ Aber daheim, in der sicheren Schublade, liegt schon das eine oder andere Stück …
Doch zurück in die Oper. Hier, im Orchestergraben, hat sie sich in Richard Strauss verliebt, in den Rosenkavalier und in Ariadne, in Salome und Arabella. Technisch kein einfaches Repertoire, wie sie versichert, aber attraktiv! „Einem heute lebenden Komponisten würde man sagen: Oh, das ist unspielbar, so chromatisch, mach‘ es leichter! Aber Strauss muss man nehmen, wie er ist.“ Ob er wusste, was er den Harfenisten angetan hat? Lenaerts lacht. „Ich glaube nicht. Aber eigentlich finde ich es ja gut, wenn einer schreibt, was er schreiben will und sich die Ausführenden dann um eine technische Lösung kümmern müssen. Das gibt ihm eine Freiheit!“
Dass die erste Zeit im Orchester eine herausfordernde war, steht außer Zweifel. „Im ersten Jahr habe ich 45 Werke gespielt – und als Harfenistin ist man meistens alleine und kein Pultnachbar kann helfend eingreifen. Aber mit der Zeit lernt man das Repertoire so gut, dass man immer besser auf Feinheiten und Kollegen reagieren kann. Das ist dann wie in einem Kammerorchester!“ Und nicht nur dieses Eingehen auf die anderen im Graben – und natürlich die Sänger auf der Bühne! – bereitet Lenaerts besondere Freude, auch die große Abwechslung, die das Opernrepertoire bietet. „Es wäre fast schwieriger, wenn wir nicht so viele Stücke geben würden, weil sich dann eher Routine einschleichen könnte. So aber ist es jeden Abend etwas anderes.“
Ihren „geografischen“ Platz im Orchestergraben, vom Zuschauerraum aus gesehen, links, schätzt sie ob des guten Blicks auf die Bühne und den Dirigenten. „Das haben andere Kollegen nicht!“ Gleichzeitig ist diese Position auch eine Herausforderung, da exakt vor ihr die Horngruppe sitzt und dadurch manch ferneres Instrument nicht sonderlich gut zu hören ist. „Aber man gewöhnt sich schnell daran und lernt, seine Ohren auf anderes auszurichten.“ Auch auf die Sängerinnen und Sänger, deren solistische Begleitung oftmals der Harfe obliegt. „Dankbare Partien“, nennt Lenaerts diese Passagen, „schön und spannend.“ Was sie sich in der Praxis erwirbt, das schenkt sie nicht nur dem Publikum, das gibt sie in ihrem Urlaub auch an – aufgrund ihres jungen Alters kann man kaum von der nächsten Generation sprechen – Studenten weiter. „Es ist ein Klischee, aber man lernt wirklich selber dabei. Man muss analysieren und die richtigen Bilder finden, um Probleme zu lösen. Und so wird einem manches erst bewusst.“ Abgesehen davon, lächelt sie, „ist es schön, anderen zu weiterhelfen zu können ...“

Oliver Láng