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Aus Verantwortung vor dem Werk

Im deutschen Fach international gefragt überzeugt Jochen Schmeckenbecher auch an der Wiener Staatsoper mit seinen musikalisch wie schauspielerisch detailreichen, intensiven und ausgeloteten Rollengestaltungen. Gleich nach dem Klingsor wird ihn das hiesige Publikum nun erneut als Alberich und Faninal erleben. Aus diesem Anlass ein Gespräch über emotionale Grenzüberschreitung, Inspiration, die Sucht nach der Sternstunde und die private Seelendusche.

Kann es einem Interpreten passieren, dass er, im Zuge der Auseinandersetzung mit dem aufzuführenden Werk, vor dem Komponisten vor Ehrfurcht erstarrt?

Jochen Schmeckenbecher: Ehrfurcht stellt sich oftmals zwangsläufig ein, und sie wird größer, je länger man sich mit einem Meisterwerk beschäftigt. Aber erstarrt bin ich glücklicherweise noch nie. Überwältigt hingegen schon – und zwar von Bach. Durch seine Musik werde ich als Hörer sprachlos, da öffnet sich richtiggehend das Tor zum Universum. Die Musik aller anderen Komponisten ist für mich bewundernswert, ehrfurchtserweckend, aber zutiefst menschlich. Wobei ich das orgiastische Momentum in den Wagner-Opern nicht leugnen will, schließlich laufen wir Interpreten nicht umsonst bei ihm stets Gefahr, uns während einer Vorstellung zu sehr den Emotionen hinzugeben.

Aber ist es nicht notwendig sich den Emotionen hinzugeben, um diese auch beim Publikum auslösen zu können?

Jochen Schmeckenbecher (nach kurzem Nachdenken): Ich glaube, Emotionen beim Publikum werden dann ausgelöst, wenn man das Werk beziehungsweise die Rolle ehrlich und ernsthaft interpretiert, das heißt: Schaffe ich es, Musik und Text so zum Leben zu erwecken, dass sie zum Klang werden, dann wird das etwas transportieren. Also nicht primär etwas auslösen zu wollen, sondern sozusagen dies das Werk machen zu lassen. Und das kann dann vor leerem Haus bei einer Probe geschehen oder vor über 2000 Leuten in einer Aufführung – wenn ich den Kern der Musik, des Charakters erreiche, setzt das Emotionen frei. Und das hat den doppelten Effekt, dass es das Publikum emotionalisiert und auch mich beglückt, weil ich das in dem Moment machen darf. Und damit komme ich zum zweiten Teil der Antwort: Die eigene Emotion auf der Bühne, das sich „hingeben“, wie Sie es nennen, kann ja nur funktionieren, wenn der handwerkliche Teil der Arbeit stimmt, also die musikalischen, stimmtechnischen und darstellerischen Komponenten erfüllt werden. Und dann muss ich versuchen, die Balance zu finden zwischen den eigenen durch die Musik oder die Handlung ausgelösten Gefühlen und der Selbstkontrolle, die notwendig ist, um diese zu erschaffen: Wenn ich während der Vorstellung auf der Bühne selbst leide und zu Tränen gerührt bin, wird das meine stimmliche Leistung einschränken. Um diese besagte Balance herauszufinden, dafür sind die Proben da. Dort teste ich aus, wo meine Grenze liegt, wie weit ich emotional gehen kann, ja auf den Proben muss ich diese Grenze sogar überschreiten, um sie überhaupt erst als Grenze wahrnehmen zu können. Dadurch weiß ich dann: hier bin ich zu weit gegangen. Selbstverständlich kommt noch dazu, dass ich durch dieses Austesten Wesentliches über das Innenleben der Figur erfahre, was wiederum für die Interpretation essenziell ist.

Und wie sieht es mit der Inspiration aus? Die darf man während Vorstellung schon zulassen?

Jochen Schmeckenbecher: Die Möglichkeit im Moment der Aufführung kreativ zu sein, ist künstlerisch lebenswichtig, wird aber nur funktionieren, wenn zuvor, in den Proben, sauber gearbeitet wurde und jeder Beteiligte weiß, was von Augenblick zu Augenblick an Leistung zu erbringen ist, wenn, anders gesagt, jeder auf derselben Landkarte sicher navigiert. Dann ist es sogar lustvoll das Glas einmal ein bisschen voller einzuschenken, oder, gemeinsam mit dem Dirigenten, die Temposchraube um eine Windung mehr anzuziehen, eine längere Verzögerung einzubauen, auf etwas, was ein Musiker oder Kollege auf der Bühne außertourlich macht, zu reagieren. Wenn jedoch von Vornherein alles im Vagen bleibt, hat das mit Inspiration nichts zu tun, das wäre nur ein Geschummle.

Sie singen im Mai Alberich und Faninal – zwei doch sehr unterschiedliche Charaktere. Wie „erzeugt“ man diesen Unterschied? Die Stimme darf ja seriöser Weise nicht künstlich, etwa durch ein Abdunkeln, verändert werden.

Jochen Schmeckenbecher: Den Großteil der Arbeit haben die Herrschaften Wagner und Strauss schon erledigt, durch die Art und Weise, wie sie ihre Stücke zu Papier brachten. Und selbst wenn man interpretatorisch nichts Eigenes beisteuern würde, wären 80% der Aufgabe schon erledigt, indem man die Vorgaben der Komponisten getreu umsetzt. Die restlichen 20% müssen von einem selbst kommen – und das ist dann die sogenannte Interpretation. Aber das Material, das stimmt, wird nicht verändert. Ich backe mit demselben Mehl – ist das Endprodukt länglich, heißt es Baguette, ist es rund, ist es ein Bauernbrot. Ich gebe der Rolle also die Form, aber meine Stimme ist immer dieselbe.

Kann ein Opernsänger überhaupt von einer eigenen Interpretation sprechen – schlussendlich wird er vom Dirigenten, Regisseur, den Kollegen nicht unwesentlich in seinem Wirken determiniert?

Jochen Schmeckenbecher: Ich habe vor kurzem mit Christoph Marthaler eine Lulu-Neuproduktion in Hamburg gemacht. Der Premiere gingen sieben Wochen intensives, kreatives Arbeiten voraus, in der jeder den und die andere beeinflusst hat. Man begann nach und nach, die Szenen durch die Persönlichkeit der übrigen Mitwirkenden, anders zu sehen als vorher. Alles war mit allem verknüpft und wenn einer ausgetauscht worden wäre, hätte sich das Gesamtbild automatisch sofort verändert. Das heißt: Die von mir vorgeschlagene Version mit der ich zu Probenbeginn angetreten bin, hatte nahezu nichts mehr mit dem Ergebnis zu tun, aber dennoch war es meine Version, meine Interpretation mit der mich die Zuschauer erlebt haben.

Wie leicht fällt es, sich von einem Rollenbild zu lösen das man bei einer gültigen Inszenierung erarbeitet hat? Sind nicht alle anderen nachfolgenden Produktionen durch diese eine Sicht beeinflusst?

Jochen Schmeckenbecher: Es ist richtig, dass die „Entjungferung“ einer Partie für den jeweiligen Sänger bedeutend ist und die erste Produktion für die zukünftige Rollengestaltung prägend bleibt. Offensichtlich habe ich zum Beispiel eine kleine weiche Geste bei meinem ersten Alberich verinnerlicht, die ich unbewusst in jede weitere Produktion mitnehme – zumindest meint das meine Frau. Andererseits wird der Sänger durch gut gearbeitete Rollenporträts nicht verdorben, da Wissen noch nie geschadet hat. Im Gegenteil, es macht empfänglich für Neues. Mit anderen Worten: Man reißt das gebaute Haus nicht ab, sondern fügt jedes Mal einen Anbau hinzu, verändert die Innenausstattung, gruppiert neu.

Versuchen Sie bei Stellen, die Sie berühren, rational dahinterzukommen warum dies so ist oder lassen Sie es einfach geschehen?

Jochen Schmeckenbecher: Was berührt uns? Wohl vor allem Dinge, die wir aus der eigenen Biografie wiedererkennen. Ich bin keiner der etwas zu Tode analysiert, aber, und jetzt komme ich wieder zu den Emotionen zurück, ich möchte sie auf der Probe ausreizen, um die Wirkung des Gefühls, wenn notwendig, später wiederherstellen und in die Interpretation einbauen zu können.

Und wenn sich mitten in der Vorstellung, quasi intuitiv etwas ereignet, was Sie berührt, eine sogenannte Sternstunde oder besser Sternsekunde, wie lässt sich das dann für die nächste Vorstellung wiederherstellen? Oder ist das ein sinnloses Unterfangen?

Jochen Schmeckenbecher: Von Drogenabhängigen sagt man, dass sie erfolglos auf der Suche sind nach jenem Kick, den sie beim ersten Mal erfahren haben und deshalb die Dosis immer weiter erhöhen bis sie zugrunde gehen. Gewissen Dingen jagt man ewig nach, auch in der Musik. Und die von Ihnen angesprochenen Sternsekunden gehören ein wenig hierher. Solche Momente sind so außergewöhnlich, weil unterschiedliche Aspekte zusammenkommen, die Stimmung, das Wetter, das Charisma der Mitwirkenden, die eigene Emotion, ein bestimmtes Tempo, eine etwas länger gehaltene Fermate und noch vieles mehr. Manches davon lässt sich wiederherstellen, anderes nicht, zumal diese Momente, in denen die Zeit still zu stehen scheint, meist entstehen, wenn mehrere beteiligt sind – schließlich kann man emotional nicht einmal sich selbst, und schon gar nicht die anderen steuern. Vielleicht ergreifen Sänger diesen Beruf, weil sie süchtig nach derartigen Sekunden sind.

Haben Sie Angst vor der Möglichkeit emotional abzustumpfen?

Jochen Schmeckenbecher: Wenn ich abstumpfen würde, könnte ich diesen Beruf nicht länger weiterführen, aber ich habe diese Angst ehrlich gesagt nicht. Etwas anderes ist es vorübergehend emotional überfordert oder ausgelaugt zu sein, und das kann nach intensiver künstlerischer Arbeit durchaus vorkommen. Wie man sich in so einem Fall wieder einpegelt, da wird jeder seinen persönlichen Weg finden: Der eine sucht die Natur auf, der andere treibt Sport, der dritte liest ein Buch, besucht eine Ausstellung. Ich selbst bin am glücklichsten zu Hause bei meiner Familie.

Kommen wir vielleicht noch einmal zu Alberich und Faninal zurück: Wie böse ist ersterer und wie dumm oder trottelig zweiterer?

Jochen Schmeckenbecher: Es gibt viele Wege die nach Rom führen. Ich persönlich sehe im Alberich, genauso wenig wie übrigens im Klingsor, nicht diesen monströsen Dämon. Sicherlich ist Alberich von Hass erfüllt, doch das ist nicht von Anfang an so gewesen, es ist keine angeborene Bösartigkeit: All die Demütigungen, seelischen Wunden, all der Selbstzweifel, dieses ganze schwer zu bewältigende Paket, das er mit sich herumschleppt, haben ihn erst zu jenem Unmenschen gemacht – und das macht die Rolle für mich auch als Sänger so spannend. Mit einem reinen Scheusal könnte ich weniger anfangen. Der Faninal ist mir bisher tatsächlich in der von Ihnen angesprochenen traditionellen Sichtweise begegnet, die ja auch gut funktioniert. Ich persönlich fände es spannend, ihn auch einmal anders zu gestalten: Was wissen wir von ihm? Er ist immens reich, ein Emporkömmling, hat sich das selbst erarbeitet – kann somit nicht ganz „trottelig“ sein, ist eine Art Waffenproduzent und Waffenhändler und die Hochzeit seiner Tochter ist ein gesellschaftliches Event. Wer sagt, dass er nicht höchst gefährlich, kalt und berechnend ist? Einer, der über Leichen geht. Zu seiner im Kloster aufgewachsenen Tochter hat er keinen Bezug, sie ist ihm lediglich aus Reputationsgründen von Nutzen. Also interessiert ihn auch nicht was für ein Charakter dieser Ochs ist, an den er sie verheiratet. Wichtig ist ihm sein Adelstitel. Und erst wenn der Skandal um diesen Beinaheschwiegersohn zu groß und seinem eigenen Ruf schädlich wird, trennt er sich von Ochs. Ich weiß nicht, ob diese Rollenzeichnung funktionieren würde, aber es wäre interessant, einmal diesen Weg zu gehen.

Das Gespräch führte Andreas Láng


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