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© Iryna Buchegger

Auf dem Weg zur Mélisande

Die großen Brocken der letzten Zeit waren: Rusalka, Desdemona, Donna Elvira, Pamina, Figaro-Gräfin, Liù – und es folgen noch in dieser Spielzeit Tatjana und Mélisande. Und das ganz abgesehen von kleineren Partien, wie etwa Blumenmädchen im Parsifa oder Phénice in Armide… Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut? Die Unterschiede in den Anforderungen sind ja ganz beträchtlich.

Olga Bezsmertna: Natürlich gibt es sehr viele Unterschiede in den von Ihnen aufgezählten Rollen. Aber diese große Anzahl und diese Vielfalt sind gut – aus zweierlei Gründen. Erstens muss man, um das zu bewältigen, viel arbeiten. Das kommt mir sehr entgegen! Ich bin ein sehr aktiver Mensch und eigentlich ständig auf der Suche nach neuen Beschäftigungen. Und mit diesem Programm bin ich ja ziemlich beschäftigt … (lacht) Wesentlich ist aber, dass ich in diesen unterschiedlichen Partien viel Neues für mich entdecken kann. Sowohl, was das Stimmliche anbelangt, als auch die Figuren betreffend. Gerade durch die große Breite an verschiedenen Rollen ist diese Entdeckungsreise eine besonders spannende – und ausführliche! Insofern: Natürlich ist das alles sehr herausfordernd, aber es ist auch sehr bereichernd.

Gibt es bei Ihnen manchmal auch Momente des Zweifelns?

Olga Bezsmertna: Es gibt bei jedem Momente, in denen man sich denkt: „Schaffe ich das?“ Das ist ganz natürlich und gehört dazu. Mehr noch: Es ist wichtig, mitunter Dinge zu hinterfragen.

Mozart und Desdemona: Braucht das zeitlich einen gehörigen Sicherheitsabstand?

Olga Bezsmertna: Es ist auf alle Fälle gut, wenn ein wenig Zeit dazwischen liegt. Mozart ist immer eine technische Schule, man muss immer vorausdenken und voraushören. Bei Verdi liegt vieles in einer unmittelbar erfahrbaren Leidenschaft, die sich aus der idealen Kombination aus Musik, Text, Orchestrierung ganz natürlich – und spontan – ergibt. Mit anderen Worten: Die Herangehensweise an diese beiden Komponisten ist eine gänzlich verschiedene.

Und Rusalka?

Olga Bezsmertna: Rusalka ist die Mischung aus beiden, sie liegt auf halbem Weg von Mozart zu Verdi. Die Linie lautet also: Figaro-Gräfin – Rusalka – Desdemona.

Die Desdemona haben Sie als Einspringerin gesungen. Kommt Ihnen ein solcher Adrenalinkick entgegen?

Olga Bezsmertna: Wenn ich mich mit einer Partie wohl fühle und auch gut vorbereitet bin, dann ist das durchaus eine schöne Herausforderung. Die Frage ist immer: Bin ich mit dem Studium einer Rolle schon so weit, dass ich als Opernfigur etwas Gültiges zu sagen habe? Wenn ja, dann trete ich gerne auf. Aber natürlich ist es so, dass ich lieber mit mehr Proben als mit weniger auf die Bühne gehe… Aber Einspringen gehört nun einmal auch zum Beruf. Und hat seine spannenden Seiten (lacht).

Wie lange war die Vorbereitungszeit auf die Desdemona, die Sie ja als Cover lernten?

Olga Bezsmertna: Ich muss vorausschicken, dass ich die Oper, bevor ich sie zu studieren begonnen habe, natürlich schon sehr gut kannte und sie mir sehr vertraut war. Und die große Arie habe ich in Konzerten bereits zuvor gesungen und ausprobiert, die Desdemona war also zu Studienbeginn kein Neuland mehr. Im Falle dieser Rolle ist der eigentliche Lernvorgang sehr schnell gegangen – die Musik Verdis hat sich mir rasch erschlossen und das Studieren ging im Grunde leicht und flott.

Sind Sie an sich eine schnelle Lernerin?

Olga Bezsmertna: Das hängt vom Stück ab. Es gibt Rollen, wie eben die Desdemona, die ich schnell gelernt habe und die sich für mich schnell gut anfühlen. Natürlich gibt es das Gegenteil, für manches Zeitgenössische brauche ich länger. Und beim Debussy – der Mélisande – habe ich mir bewusst viel Zeit genommen und habe schon vor mehr als einem Jahr angefangen. Denn es geht dabei ja nicht nur um die eigentliche Musik, sondern auch um die korrekte Behandlung des Textes beziehungsweise die richtige Aussprache. Die ist bei dieser Oper enorm wichtig. Mir war es lieber, damit etwas Zeit zu haben.

Nehmen Sie persönlich eine Veränderung zwischen der ersten und der letzten Vorstellung einer Aufführungsserie wahr?

Olga Bezsmertna: Aus meiner Sicht – aber vielleicht empfinde nur ich das so und es ist von außen gar nicht spürbar – fühle ich eine Steigerung: Die beiden letzten Aufführungen einer Serie kommen mir oft besser vor. Anfangs muss man sich ja immer noch ein wenig orientieren und gewissermaßen „heimisch“ werden. Irgendwann spielt sich die Sache dann ein und man ist ein bisschen entspannter.

Das schnelle Lernen ist in Ihrem Fall auch eine Notwendigkeit, da Sie zwei kleine Kinder haben, um die Sie sich ja, neben dem Beruf, auch kümmern. Lernen Sie nachts? Oder anders gefragt: Wann schlafen Sie?

Olga Bezsmertna: Ich schlafe in der Nacht, das klappt bei mir zum Glück wunderbar. Das Rollenstudium teile ich mir auf: Einen Teil erledige ich in der Oper, den anderen zuhause. Da habe ich mein kleines Zimmer und sperre mich ein. Das ist im Grunde alles keine große Sache.

Und die Kinder stören nicht?

Olga Bezsmertna: Mein kleiner Sohn singt gerne mit und meine Tochter, die schon größer ist, versteht, dass ich auch lernen muss. Aber ich unterbreche ja immer wieder, um ein wenig zu spielen. Diese Pause tut uns allen gut. Kommen Ihre Kinder schon zu Vorstellungen

Kommen Ihre Kinder schon zu Vorstellungen in die Staatsoper?

Olga Bezsmertna: Ja, natürlich. Mein Sohn war in der Kinder-Zauberflöte und war ganz hingerissen von der Atmosphäre, natürlich auch vom Licht, den Kostümen und den Tieren (lacht). Meine Tochter wiederum möchte Sängerin werden. Das nehme ich aber noch nicht so ernst. Sie wissen ja, wie das in dem Alter ist: Heute Sängerin, morgen Tierärztin. Warten wir ab. Jedenfalls ist sie in Bezug auf mein Singen sehr kritisch.

Und Ihr Mann? Darf er Sie kritisieren?

Olga Bezsmertna: Aber natürlich. Er muss sogar! Ich schätze Kritik! Ich möchte ehrlich gesagt nicht immer nur hören: „Du warst so wunderbar!“ Natürlich ist das schön, aber ehrliche Kritik ist notwendig.

Ein wichtiger Bereich Ihres Repertoires ist Mozart. Das soll auch noch länger so bleiben?

Olga Bezsmertna: Unbedingt. So lange es geht. Mozart ist eine Basis, zu der man immer zurückkehren kann – und soll. Seine Musik ist eine Pflege für die Stimme.

Die nächste Premiere der Staatsoper ist Pelléas et Mélisande, Sie übernehmen die weibliche Protagonistin. Was schätzen Sie an dieser Oper?

Olga Bezsmertna: Es ist ein wunderschönes impressionistisches Stück, das einen herrlichen Wellenschlag hat. Manchmal ist die Mélisande ganz diesseitig, dann wiederum völlig verträumt. Und sie weiß nicht: Was ist die Wahrheit? Was ist die Wirklichkeit? Man weiß nie, wo sie gerade ist, irgendwo zwischen Himmel und Erde. Als Sängerin muss man diese Figur in sehr viele kostbare Farben hüllen und ihr eine Seele schenken. Sie ist ja wie ein Kind: Wenn sie lügt, weiß sie gar nicht genau, was sie tut. Und sie ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Ach, wenn man sich mit ihr beschäftigt, kommt man in immer tiefere Schichten der Figur. Es hört gar nicht auf…

Sie versteht nicht, was Lüge ist. Aber versteht sie, was Liebe ist?

Olga Bezsmertna: In ihrer tiefsten Seele versteht sie es. Aber es ist ihr vielleicht nicht ganz bewusst, sie könnte es nicht erklären. Aber verstehen … ja. Sie begreift es als Gefühl, als etwas Warmes, Menschliches. Sie begreift die Beziehung zu Pelléas. Das sind aber alles Dinge, die ein wenig schweben: es ist ja ein symbolistisches Werk, das manches nicht konkret werden lassen will.

Charakterlich ist diese verträumte Mélisande nicht sehr stark mit Ihnen verwandt.

Olga Bezsmertna: Nicht sehr stark? Überhaupt nicht! Sie ist genau das Gegenteil von mir. Aber es ist schön, einmal die Seite zu wechseln und etwas ganz Anderes kennen zu lernen. Es gibt ja Menschen, die wie Mélisande sind. Und ich kann mich durchaus in sie hineinleben, auch wenn sie nicht wie ich ist. Was aber am Charakter der Mélisande schön ist, sind ihre offenen Sinne, dieses Erfühlen der Liebe.

Und gesanglich? Kommt Ihnen Mélisande entgegen?

Olga Bezsmertna: Stimmlich finde ich die Partie nicht so fordernd, vieles liegt in der Mittellage. Es geht dabei weniger um Schwierigkeiten, als um das Finden der vielen Farben. Und es ist eine Dialog-Oper, das bedeutet, dass man mit den Kollegen singen, musizieren muss. Man muss also auch auf sie eingehen, auf die Farben die sie einbringen, auf ihren Stil. Was eine Freude ist – denn Pelléas hat so eine wunderschöne, fantastische Musik!

Ist in dieser nun schon sehr langen Beschäftigung mit dieser Figur etwas von ihrem Charakter auf Sie übergegangen?

Olga Bezsmertna: Das kann ich so nicht sagen. Aber: Mélisande lebt in einer anderen Welt, die ich zu verstehen lerne. Und wenn ich in ihre Welt eindringen kann, dann ist das gut und ich werde es nicht zu verhindern versuchen. Schließlich soll es ja nicht so sein, dass zwischen mir und ihr eine Wand steht.

Und die anderen von Ihnen verkörperten Figuren – welche steht Ihnen am nächsten?

Olga Bezsmertna: Keine leichte Frage, aber vielleicht Desdemona. Ja, wahrscheinlich Desdemona. Dieser starke Glaube, den sie hat – das ist auch in mir. Rusalka hingegen – das bin ich nicht so sehr, die Gräfin im Figaro hingegen schon. Sie ist eine starke Frau, die aber einen Mann, den sie liebt, als Gegenüber braucht. Das ist bei mir auch so, ich bin in fast allem was ich mache im Gespräch mit meinem Ehemann.

Im Mai singen Sie an der Staatsoper die Tatjana in Eugen Onegin. Eine Herzensrolle?

Olga Bezsmertna: Unbedingt. Auf die Tatjana freue ich mich schon sehr. Und lange! Das ist eine Partie, auf die ich mich bereits ewig vorbereite und die ich sehnlichst erwarte. In meiner Studienzeit haben fast alle Sopranistinnen diese Rolle für die Abschlussprüfung vorbereitet, nur ich nicht. Denn meine Lehrerin meinte: „Olga, mit der Partie musst du noch warten!“ Und ich fragte: „Warum?“ Die Antwort war: „Du kannst sie zwar studieren und für dich lernen, aber mit dem Auftritt warte noch. Mach Erfahrungen, heirate zuerst, bekomme Kinder, werde erwachsen: dann wirst du die Tatjana verstehen“. Für mich war das unbegreiflich, erst heute weiß ich, was sie gemeint hat. Für den letzten Akt muss man gereift sein, das kann kein junger Mensch verstehen. Da ist Tatjana kein bücherlesendes, träumendes Mädchen mehr. Sondern eine erfahrene, erwachsene Frau. Daher ist jetzt erst der richtige Moment für mich!

Ist die bücherlesende Tatjana eine Mélisande?

Olga Bezsmertna: Ja, ein wenig.

Und die gereifte Tatjana ist die Figaro-Gräfin?

Olga Bezsmertna: Ich denke, es geht darüber hinaus. In Richtung der großen Strauss-Figuren.

Also eine Marschallin?

Olga Bezsmertna: Ja, genau. Sie hat das Leben verstanden und durchschaut. Und sie hat ihre Prinzipien.

Spricht man mit Sängerinnen aus dem Osten Europas, wird von der Tatjana immer in höchsten Tönen geschwärmt. Was macht diese Figur so besonders?

Olga Bezsmertna: Sie ist innerlich unzerstörbar. Tatjana lebt in ihrer Welt, sie bekommt mit, was rund um sie passiert, aber sie geht ihren Weg. Anfangs kennt sie die Welt nur aus den Büchern, weiß aber genau, welchen Mann sie will. Und trotzdem passiert es ganz anders – wie das Leben eben so ist. Aber diese Liebe zu Onegin, die bleibt ihr für immer. Wenn sie auch versteht, dass sie nicht mit ihm sein kann.

Warum nicht?

Olga Bezsmertna: Das ist eine gute Frage. Damit hat auch Tschaikowski gerungen. Er dachte an ein anderes Finale, aber die Leute sagten: Nein, das Ende der Oper muss wie in der Dichtung von Puschkin sein!

Hätte Onegin sich im ersten Akt Tatjana zugewandt: Wäre die Liebesgeschichte gut ausgegangen?

Olga Bezsmertna: Wahrscheinlich. Denn auch wenn er einer ist, der viele Frauen gekannt und geliebt hat, spürte er doch, dass es mit Tatjana etwas Besonderes ist. Später kann sie ihn nicht erhören, sie hat Gremin geheiratet und daran hält sie sich.

Ist sie am Ende glücklich?

Olga Bezsmertna: Ich hoffe: Ja. Sie versteht das Leben und geht ihren Weg.

Oliver Láng


Pelléas et Mélisande | Claude Debussy
Premiere: 18. Juni 2017
Reprisen: 20., 24., 27., 30. Juni 2017
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