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Am Stehplatz: Prof. Reinhard Öhlberger

Das persönliche Bekenntnis zum Stehplatz und seinen Genüssen datiert als Ersterlebnis mehr als fünfzig Jahre zurück; konkret: Meinen erster Stehplatz erstanden und erstiegen – und dann auch durchgestanden – habe ich exakt am ersten September 1963. Ein damals dreizehnjähriges Bürschchen erlebte die Verkaufte Braut. Wichtiger als der musikalische Erlebniswert war mir damals freilich (altersbedingt) der Auftritt des Direktors der Künstlertruppe mit seinen umwerfenden Witzen, Erich Kunz in der Blüte seines Humors. Meine musikalische Vorbildung war in Violinstunden zu einer gewissen Fertigkeit gebracht worden. Und nun kam aber bald das, was einen Vorstellungsbesuch am Stehplatz grundsätzlich ausmacht: das überbreite Repertoire des Operntheaters hat meine Schüler- und Studentenjahre mit Musik erfüllt, und hat mich dabei zum Fan gemacht. O du Ritual des Anstellens, freudige Erwartung eines hoffentlich schönen Abends, der Sprint die Stufen hinauf zur Parterrebox, eiliges Einschlichten in die Barrieren-Reihen. Dieses „sportliche“ Moment darf man für einen Jugendlichen genau so wenig unterbewerten wie auch die Spitzenton-Erhascherei, die zum Gruppenerlebnis umfunktioniert worden war. Das sich mir später solche Kunst-„Olympiaden“ aus einem völlig anderen Blickwinkel darstellten, brauche ich hier wohl kaum näher zu erklären; die Position als Musiker im Orchestergraben hat manchmal zu solchen Beurteilungen einen diametralen Betrachtungsmodus. Mitglied der damaligen existenten Claque bin ich nie gewesen; oder was man unter diesem den Stehplatz manchmal recht in den Klauen habenden Publikums-Sammelbegriff zu verstehen hatte. An durch die Reihen gegebene Direktiven des Jubels oder Missfallens kann ich mich schon erinnern. Ebenfalls gab es jede Menge unglaublich verstiegener Meinungen, die durch die Köpfe der Leute vom Fach gingen (oder wie man sich eben einzustufen die Vermessenheit hatte): es gäbe einen Vorstellungs-Guru, der allein schon am Auftrittsapplaus für den Dirigenten erkannt haben wollte, ob es an diesem Abend zu einer Sternstunde oder eben zu keiner kommen würde. Diese banale Kaffeesudleserei wurde tatsächlich von manchen für ernst genommen ... Dafür existierte ebenfalls die hohe Begeisterung für gewisse Lieblinge des Stehplatzes, von denen ich stellvertretend für so viele klangvolle Stimmen nur wenige Namen herausgreifen möchte: eine Königin des Gesanges wie Birgit Nilsson und einen „Haus“-Tenor wie Giuseppe Zampieri. Erstere war ein Garant für Erlebnisse, die wahrhaft unter die Haut gingen und mit denen ich jetzt noch eine Strahlkraft verbinde, die sich kaum in Worten schildern lassen. Zweiterer war ebenfalls ein Garant, und zwar für eine sichere Qualität, die in den verschiedensten Erfordernissen einzusetzen war. Die auf dem Stehplatz so häufig anwesende „Maxi“, die ein penibles Tagebuch über die Opernabende führte, hat genauestens festgehalten, wie der liebevoll „Zamperl“ Apostrophierte jeweils disponiert war. Die Maxi, dieser besondere Fan, hat dann in ihrer Leidenschaft für die Oper und ihre Stars eigens das Friseurhandwerk erlernt und war langjährig als Maskenbildnerin an der Staatsoper angestellt gewesen.

Eine weitere Figur des Stehplatzes war der „Herr Doktor“, dessen eigentlicher Name mir längst nicht mehr zu eruieren ist, ein immer mit Rucksack auftretendes knoblauchduftendes Individuum gesetzten Alters mit Strahleglatze und kantigem Charakterkopf.

Nein, es ging nicht allein um die Oper als Kunstgattung. Die Erfahrung vergrößerte sich um die Dimension des Balletts, und manche Vorstellungen sind mir dabei ebenfalls in starker Erinnerung geblieben; etwa der Pagodenprinz oder die Vier Temperamente. Damalige Größen wie Susanne Kirnbauer, Michael Birkmeyer und Ludwig Wilhelm herauszugreifen mag vielleicht genau so ungerecht sein wie alle anderen selektiven Versuche der Vergegenwärtigung. Aber davon lebt nun einmal das Zugehörigkeitsgefühl zur Institution wie zum Kunstgenuss ebenso wie zur Positionierung – das Was und das Wie, aber auch das Wo – am Stehplatz eben.

Reinhard Öhlberger