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Alles Glück spielt sich in der Ferne ab

Fangen wir mit der naheliegenden Frage an: Benjamin Bruns war als Pelléas besetzt, Sie sind für ihn eingesprungen. Nun ist Herr Bruns ein Tenor und Sie sind ein Bariton. Wie geht sich das aus?

KS Adrian Eröd: Eigentlich hat ja schon ein Bariton die Uraufführung gesungen, und zwar Jean Périer, der unter anderem als Don Giovanni und Scarpia auf der Bühne gestanden ist: also ein echter Bariton. Im Grunde liegt die Partie für einen Bariton sehr gut, es gibt aber große Ausbrüche, die in die Höhe gehen: und diese Noten muss man haben. Zwei hohe A und einiges zwischen F und Gis. Aber das, wo sich das meiste abspielt, vor allem der wesentliche Text, ist in einem Bereich notiert, mit dem sich Tenöre nicht ganz leicht tun.

Verliert sich bei zwei Baritonen der klangliche Gegensatz zwischen den Brüdern Pelléas und Golaud nicht?

KS Adrian Eröd: Golaud liegt quer über den ganzen Abend eine kleine Terz unter dem Pelléas, und wenn es in die Tiefe geht, dann wird es „bassbaritonig“. Seine Ausbrüche gehen eher in die Richtung eines Escamillo. Er klingt also eindeutig erwachsener.

Nun haben Sie sehr oft den Pelléas gesungen, diesmal gestalten Sie zum ersten Mal den Golaud. Wie vertraut ist Ihnen die Pelléas-Welt noch?

Simon Keenlyside: Sie ist mir erstaunlich vertraut, auch wenn ich bewusst etliche Jahre eine diesbezügliche Pause eingelegt habe. Mir tat der Abschied von der Pelléas-Partie weh, es ist einfach eine wunderschöne Rolle. Doch wiewohl mir diese Welt vertraut ist, bringt es mir für den Golaud sehr wenig. Es ist dann eben doch etwas ganz anderes. Keine leichte Rolle, übrigens … Solange aber das Bühnenbild gut ist – und wir haben ein wunderschönes – , solange ich solche Kollegen habe wie in dieser Produktion, ist es einfach eine große Freude. Adrian ist so ein großartige Pelléas: stimmlich und körperlich perfekt, abgesehen davon ein unendlich reizender Mensch – da wird mir die Sache nicht schwer gemacht. Abgesehen davon ist Golaud eine fantastische Partie: Ich würde sie gerne bis zum Ende meines Lebens singen!

Wie gegensätzlich sind die Brüder Pelléas und Golaud nun, abgesehen von der kleinen Terz?

KS Adrian Eröd: Und abgesehen vom Altersunterschied, denn zumindest bei Maeterlinck ist Pelléas noch sehr jung und Golaud ist, wie man so sagt, schon ein Bröckerl. Sagen wir also, es liegen ungefähr 20 Jahre zwischen ihnen. Ich glaube aber, dass sie mehr gemeinsam haben, als man denkt. Es ist ja so, dass es beide in dem Schloss nicht mehr aushalten, jeder will weg, jeder auf seine Art. Im Grund gibt es eine Verbindung zwischen ihnen, das Problem ist nur, dass sie beide Mélisande lieben.

Simon Keenlyside: Aber irgendwo in sich weiß Golaud, dass er nicht weg kann, sondern zu diesem Ort gehört. Er ist gewissermaßen dieser Ort, ein Teil von ihm. Und er wird das alles einmal besitzen. All das Dunkle und Düstere, diese Farben: sie sind ihm wohlbekannt, auch die Landschaft, die Umgebung, sie sind Teil von Golauds Seele. Wie in einem Gemälde von Caspar David Friedrich. Pelléas ist anders, er ist voller Licht, Ideen, Idealismus, Jugend, er muss hinaus. Golaud steckt fest, er kann gar nicht mehr fort.

KS Adrian Eröd: Was bei Golaud noch dazukommt, ist etwas Animalisches, Urwüchsiges. Das hat Pelléas nicht – bis auf zwei oder drei Momente, in denen das unter der jugendlichen Oberfläche plötzlich durchbricht. Da sieht man die Verwandtschaft. Es ist bei Pelléas anfangs ja noch vieles ganz unbewusst. Nur irgendwann passiert etwas in ihm, was nichts mehr mit Herz und Kopf zu tun hat. Sondern ein Stockwerk weiter unten liegt.

Simon Keenlyside: Es kann ja sein, dass zwei Menschen, die verwandt sind, großteils unterschiedlich sind. Golaud spürt keine besondere Nähe zu Pelléas. Er spricht über ihn kaum mit Zuneigung, außer vielleicht mit Bedauern. Genau genommen geht es aber in allem, was Golaud betrifft, um Golaud. Er sagt: Ich, ich, ich. Der Bruder ist da nicht so wichtig. Die Bindung, die Verbindung: die vermisse ich bei Golaud.

Olga Bezsmertna, die Mélisande dieser Produktion, meinte, dass Mélisande die Liebe als Ganzes nicht begreift. Wie geht es den anderen damit?

KS Adrian Eröd: Vom Kopf her begreift auch Pelléas die Geschichte nicht so recht. Aber vielleicht spürt er die Liebe stärker als Mélisande. In dem Sinne, dass sie für ihn außergewöhnlicher ist. Mélisande ist ja wie eine unschuldige Lulu. Jeder, der sie sieht, verliebt sich in sie, und das macht sie glücklich und ist für sie irgendwie selbstverständlich. Sie liebt die Männer, und sie wird von ihnen geliebt. Daher ist die Liebe zu Pelléas nicht etwas, was sie in ihren Grundfesten erschüttert. Während Golaud und Pelléas vor Liebe ausflippen, ist es bei ihr etwas Innerliches, etwas ganz Vertrautes. Und ganz am Anfang ist die Geschichte ja noch nicht zerstörerisch. Solange es nicht körperlich wird, bleibt es eine überschwängliche, junge Liebe. Unbeschwert. Wenn auch 150 Meter über dem Abgrund.

Simon Keenlyside: Bei Golaud ist die Sache mit der Liebe nicht so einfach. Ich möchte nicht über das Herz eines Mannes urteilen, der seine erste Frau verloren hat. Sich in einer solchen Situation noch einmal offen auf Gefühle einzulassen, ist nicht so einfach und selbstverständlich. Es ist trotz allem der Schmerz über den Verlust da, und wird immer da sein. Darum klammert sich Golaud ja an Mélisande und an diese ganze Liebesgeschichte wie an einen Strohhalm. Liebt er Mélisande? Ich denke: ja. Es ist für ihn eine Hoffnung, eine Hoffnung auf die Zukunft. Er sieht für sich einen Ausweg, und diesen Weg will er unbedingt gehen. Man weiß ja auch nichts über die Beziehung zu seiner ersten Frau, außer, dass Golaud mit einer großen Melancholie in diesen Opernabend einsteigt. Er ist traurig und gebrochen. Als sie weint, erschrickt er. Er dachte nicht, dass sie unglücklich ist. Vielleicht hätte er fragen sollen … Umgekehrt: Warum hat Mélisande ihn geheiratet? Warum heiraten Menschen? Immer aus Liebe? Man liest in der Zeitung von so vielen Gründen: Schönheit, Geld, Sicherheit. Mélisande alleine im Dunkeln: Was soll sie tun? Ohne Schutz, ohne Hilfe …

Und empfindet er Glück?

Simon Keenlyside: Er könnte vielleicht glücklich werden. Aber eigentlich liegt das alles außerhalb der Reichweite. Golaud will glücklich sein, Mélisande wäre gerne glücklich. Aber keiner ist es jetzt, im unmittelbaren Moment. Alles Glück spielt sich in der Ferne ab.

Bei all dem Unglück greift ein einfaches Gut-Bösebzw. Schwarz-Weiß-Schema nicht.

KS Adrian Eröd: Ich finde, das wäre zu einfach. Golaud ist ja nicht böse, sondern verzweifelt. Pelléas ist nicht böse, er hat sich einfach verliebt, gewissermaßen ohne sein Zutun. Und mit Mélisande ist es ähnlich. Man kann ihnen die Liebe an sich nicht vorwerfen. Und Golaud kann mit der Situation nicht umgehen, daher ist er verzweifelt. Alles was passiert, ist die Folge dieser Verzweiflung, bis hin zum Mord. Natürlich ist er schuldig, aber er ist nicht grundböse.

Simon Keenlyside: Wie jedes große Meisterwerk ist auch diese Oper eine Reflexion des echten Lebens. Das macht die Oper für uns, für uns heute, relevant. Sie hat mit dem Leben zu tun. Und alles was in der Handlung passiert, steht ja regelmäßig in der Zeitung.

Wenn die Geschichte so alltäglich ist: Sind die Figuren Archetypen?

Simon Keenlyside: Archetypen? Ich denke nicht. Wenn ein Fahrradschloss vier Zahlen hat: wie viele Nummernkombinationen und Möglichkeiten gehen sich aus? Wie viele Möglichkeiten seines Handelns und Fühlens hat nun ein Mensch! Ein verstockter Mann, dem seine erste Ehefrau gestorben ist, trifft eine jüngere Frau. Er hat einen Bruder, der auch jünger ist. Das kann nicht nur eine Geschichte ergeben, sondern es können unendlich viele sein. Wie die Geschichte gewichtet ist, wie die Figuren sind, was sie antreibt: das bestimmt der Blickwinkel des Regisseurs. Zum Beispiel Mélisande: Sie ist ein Rätsel. Nicht schuldig – genauso, wie es Adrian gesagt hat. Aber auch nicht unschuldig. Sondern einfach ein Mensch. Alle Figuren der Oper sind so.

Hilft diese symbolistische Unschärfe, die die Oper hat, bei der Gestaltung der Figuren. In dem Sinne, dass es mehr Freiheiten gibt?

Simon Keenlyside: Im Laufe meines Sängerlebens habe ich herausgefunden, dass es sehr gefährlich ist, wenn man zu viele Möglichkeiten hat und diese auch nützen möchte. Wenn man vieles zeigen will, sieht der Zuschauer am Ende nichts. Man muss daher auf ein oder zwei Dinge scharfstellen. Das Symbolistische, dafür müssen Regisseur, der Lightdesigner, der Bühnenbildner – in unserem Fall ist das ja eine Einheit – der Kostümbildner achten. Ich als Sänger muss einen Fokus wählen, und der muss klar sein. Echte Gefühle, echtes Spiel. Im Ungefähren darf da nichts sein.

KS Adrian Eröd: Das sehe ich auch so. Der Regisseur muss ein klares Bild vor sich haben, was er möchte. Das ist der Rahmen, in dem wir uns dann bewegen. Dabei muss es fixe Momente geben, und diese Momente sind im Grunde in der Musik und im Text vorgegeben. An diesen Fixpunkten kann man sich festhalten. Die Freiheiten liegen dazwischen.

Simon Keenlyside: Was ich bei Debussy in diesem Zusammenhang interessant finde ist, dass er den jeweiligen Sängerinnen und Sängern eine Auswahl an Farben zuschreibt. Ein ganz bestimmtes Set – und nicht mehr. In dieser Oper: Pelléas hat helle, junge Aspekte. Golaud ganz andere. Im Zusammenspiel ergibt sich ein Puzzle aus den unterschiedlichsten Stimmungen.

Das bedeutet aber, dass man nur diese Bereiche der Persönlichkeit ausleben kann.

Simon Keenlyside: Ja. Pelléas ist eben noch kein erwachsener Mann. Emotional erfüllend, in dem Sinne dass man kathartisch komplett gereinigt wird, fand ich Pelléas nicht.

KS Adrian Eröd: Wobei ich sagen muss, dass diese Oper in ihrer Gesamtheit auf mich enorm kathartisch wirkt. Sie putzt mich geradezu komplett durch. Mir ging es immer schon so, dass die Atmosphäre, die Musik mich mit einer unwiderstehlichen Kraft in das Werk hineingesogen haben. Die Musik wird ja immer körperlicher, dichter und tiefer, bis zum Mord. Da ist es nicht mehr symbolistisch, sondern direkte, scharfe Emotion. Das Finale hebt einen dann wieder in eine Unwirklichkeit. Das Ende in Cis-Dur: das hat mit dieser Welt nichts mehr zu tun.

Oliver Láng


KS Adrian Eröd sang den Pelléas bereits sehr früh in einer Produktion der Wiener Musikhochschule – in der Kammerfassung von Peter Brook. Später folgten eine Premiere in Linz (Regie: Olivier Tambosi) sowie eine Wiederaufnahme in Hamburg (Regie: Willy Decker)

Simon Keelyside wird am Premierenabend seinen ersten Golaud geben. Als Pelléas war er in zahlreichen Produktionen zu erleben: unter anderem in San Francisco, Madrid, Paris, Salzburg, London, Genf, Boston, Berlin, sowie an der Carnegie Hall.


Pelléas et Mélisande | Claude Debussy
Premiere: 18. Juni
Reprisen: 20., 24., 27., 30. Juni

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